1970 war die Welt noch in Ordnung. Zumindest für ARD und ZDF. Streamingdienste gab es nicht. Konkurrenz im Fernsehen auch nicht. Und so sorgten ihre Formate für Quote sowie für Gesprächsstoff auf Schulhöfen, in Kantinen und an Theken. Etwa „Das Millionenspiel“. Darin jagt die Bevölkerung die Hauptfigur, dargestellt von Jörg Pleva. Gewinnt er, erhält er einen fetten Preis – ansonsten stirbt er.
Gewinnen bedeutet einen Preis, verlieren den Tod – dieses Konzept kritisieren ARD und ZDF nun in ihren verschiedenen nachrichtlichen Formaten. Allerdings handelt es sich nicht um eine selbstkritische Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit. Der Finger der Öffentlich-Rechtlichen zeigt auf andere – in dem Fall auf den privaten Netzanbieter Netflix. Der feiert seit knapp zwei Monaten Erfolge mit der Serie „Squid Game“. Die Zugriffsraten sind hoch und all überall reden Menschen über das südkoreanische Format.
Es müsse eine Beschränkung für alle unter 18 sein, fordert Iren Schulz im Interview mit der FAZ. Auch über eine Indexierung müsse nachgedacht werden. Dann dürfte Netflix für „Squid Game“ auch nicht mehr werben. Kinder würden die Spielszenen auf Schulhöfen nachstellen, begründet Schulz ihre Forderung. Allerdings ist Schulz keine neutrale Expertin. Geld verdient sie mit dem Projekt „Schau hin!“. Das wiederum finanzieren das Bundesfamilienministerium und die AOK – sowie ARD und ZDF. Sie berichten also nicht nur negativ über den Konkurrenten, sie stellen auch die Experten für weitere Berichterstattung.
Doch der Schuss könnte nach hinten losgehen. Denn ARD und ZDF machen auf eines ihres größten Probleme aufmerksam: In der Unterhaltung sind sie vielleicht noch Marktführer, aber sicher nicht mehr Meinungsführer. Unterhaltungs-Sendungen der Öffentlich-rechtlichen finden keinen Widerhall in öffentlichen Debatten – höchstens in den Träumen ihrer Zuschauer, die in ihren Ohrensesseln sanft weggenickt sind.
Gesellschaftliche Debatten haben ARD und ZDF früher ausgelöst. Etwa mit dem erwähnten Millionenspiel. Dessen Autor Wolfgang Menge schuf auch die Figur „Ekel Alfred“, ebenfalls ein in den 70ern stark diskutiertes Thema. So wie später die Sterbehilfe oder die Selbstjustiz in der Schwarzwaldklinik, Aids oder der schwule Kuss in der Lindenstraße oder die Schummelwette bei Thomas Gottschalk; selbst die Frage, ob ein Kommissar Schimanski im Tatort „Scheiße“ sagen darf, war heftig umstritten.
Mit Unterhaltungsformaten lösen ARD und ZDF keine Debatten mehr aus – höchstens noch mit ihrem Polit-Aktivismus. Etwa wenn bei Hart aber Willner wieder mal rote und grüne Politiker mit rotgrünen Journalisten und Experten rotgrüne Forderungen bestärken. „Die Jugend“ kommt in diesen Formaten auch vor. Entweder werden die Teilnehmer direkt als Mitglieder von FFF und Grünen vorgestellt oder als angeblich repräsentative Vertreter ihrer Generation – die sich aber als Mitglieder von FFF und Grünen entpuppen, wenn man ihre Namen googelt.
Dass sich die Journalistenblase mit diesem Bild der Jugend selbst (erfolgreich) belügt, zeigte sich an dem Schock nach der Wahl – als klar wurde, dass „Die Jugend“ eben nicht automatisch Mitglied bei FFF ist, sondern der FDP am häufigsten ihre Stimme gibt. Ob ARD und ZDF nun ausgerechnet mit einer Kampagne gegen eine Netflix-Serie Jugendliche für sich gewinnen, ist fraglich. Genauso gut möglich ist auch, dass sie den noch verbliebenen jungen Zuschauern zeigen, dass ARD und ZDF eher ein Ding von 1970 sind – als die Öffentlichkeit noch über ihr „Millionenspiel“ debattierte.