Wenn der Kampagnenjournalismus tobt, dann ist die mediale Treibjagd nicht fern. Der Vorwurf richtete sich in der Vergangenheit nicht immer, aber häufig gegen die Bild-Zeitung. Die Stimmung gegen Springer hat sich seit den Studentenunruhen kaum verändert; sie lebte nur latent und hinter der Maske intellektueller Überlegenheit fort, indes man innerlich immer noch dem Motto frönt, Springer am besten zu enteignen. Schon vor der Reichelt-Affäre manifestierte sich etwa in den sozialen Medien das Hashtag #HaltDieFresseSpringerPresse als Wiederauflage längst vergangener Revolutionschöre.
Dieselben Personalien, die eine Millimeterverschiebung des Diskurses weg von der linken Meinungshegemonie als mögliche Errichtung eines „Vierten Reiches” denunzieren, sind sich gleichzeitig einig, dass eben dieser vermeintliche Platzhirsch des linksfeindlichen Journalismus beseitigt werden muss. Man lebt in der paradoxen Weltsicht, einerseits als beherrschender „Gatekeeper“ zu bestimmen, was gesagt werden darf und was nicht, führt sich andererseits als Rebell gegen ein imaginäres konservatives Establishment auf, das nur noch aus einem einzigen Mitbewerber besteht.
Seit der Causa Reichelt schallt das Halali durch den medialen Wald. Doch es handelt sich um keine Treibjagd – sondern eine Ausdauerjagd. Eine Ausdauerjagd treibt das Tier bis zur Erschöpfung. Es handelt sich um die brutalere, rücksichtslosere Form. Das Opfer soll durch Hetze totgetrieben werden. Der Kopf von Reichelt hängt an der Trophäenwand, aber das eigentliche Ziel ist Döpfner, ist Springer selbst. Das öffentliche Narrativ schiebt bereits den Springer-Chef in die Rolle des eigentlichen Täters, Reichelt spielt fast keine Rolle mehr. Vielleicht wäre ohne Politico-Übernahme die Reichelt’sche Schürzenjagd nie wieder aufgetaucht. Die strategische Lancierung eines New York Times-Artikels vor der Übernahme von Politico war der Warnschuss: Wenn Springer es wagt, sich nicht nur im heimischen Milieu, sondern auch jenseits des Teichs breit zu machen, dann stört Döpfner die Harmonie im linken Juste Milieu.
Die üblichen Register werden jetzt gezogen. Eine Privatnachricht, dumm wie die Reichelt-Affäre, aber nicht halb so skandalös wie aufgebauscht, soll Döpfners Fall beschleunigen. Der Spiegel stempelt ihn als „politischen Wirrkopf“ ab. Döpfner düpiert seine Kollegen, weil er ihnen attestiert, den Bezug zur Realität und zu den Lesern verloren zu haben. Für die etablierten Medien kann das nur AfD-Sprech sein. Vielleicht ist die Reaktion auch deswegen so vehement, weil sich die „Propaganda-Assistenten“ ertappt vorkommen. Die Kontext-Wochenzeitung mokiert sich darüber, dass Döpfner Deutschland als „DDR-Obrigkeitsstaat“ bezeichnet und schreibt: „Man stelle sich vor, ein Politiker hätte das gesagt. Einer von der Linken etwa. Er wäre zum Totengräber der Demokratie erklärt worden.“ Dabei ist es doch das prägende Element der Berliner Republik, dass linke Politiker über Lager und Erschießung Oppositioneller witzeln können, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen – aber ein vermeintlich „Rechter“ wie Döpfner nicht über die meinungsmediale Herunterwirtschaftung des besten Deutschlands aller Zeiten.
Jetzt wird eifrig an Döpfners Stuhl als Präsident des Bundesverbandes Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) gesägt. Das Klima soll offensichtlich so feindlich aufgeladen werden, damit der Springer-Chef den prestigeträchtigen Posten verliert. Es wäre ein Signal im Machtkampf. „Übermedien“ hatte bereits eine Anfrage gestellt, ob Döpfner als BDZV-Präsident noch haltbar sei. Christoph Rüth von der Funke Mediengruppe lieferte: Döpfners Formulierung sei eines BDZV-Präsidenten „nicht angemessen“ und die Bezeichnung „Propaganda-Assistenten“ für die Mehrheit der Journalisten „völlig unpassend“. Die „Kontext“-Wochenzeitung drehte den Spin weiter und fragte 13 Vertreter von Medienhäusern an. Darunter Richard Rebmann, ehemaliger Geschäftsführer der Südwestdeutschen Medien Holding GmbH und früherer BDZV-Vizepräsident.
Man muss keine Liebesappelle Richtung Springer senden. Aber es ist auffällig, wenn die Medien genau jene Hebel bedienen, die sie in der Vergangenheit als Eigenart des Bild-Journalismus anprangerten. Der vermeintliche Qualitätsjournalismus unterscheidet sich vom Boulevard nur noch durch dünnere Überschriften, weniger Bilder und längere Texte. Schöngeschraubte Sätze, intellektuelle Luftschlösser und in sich selbst badende moralische Wohlgefälligkeit können dagegen die eigene Niedertracht kaum verbergen, die sie auf ihren Konkurrenten projizieren. Die unschöne Fratze des Machtkampfes schmücken die Verantwortlichen mit hehren Zielen: Anti-Sexismus und Kampf gegen Rechts. Dagegen war die Bild immer ehrlich.