Seine Behauptungen über einen angeblichen sexuellen Missbrauch von Frauen durch den Rammstein-Sänger Till Lindemann darf das Magazin nicht wiederholen. Jetzt gibt es den Verdacht, dass das Medium manipulierte eidesstattliche Versicherungen benutzte.
Der SPIEGEL gehörte zu den Medien, die Missbrauchsvorwürfe gegen den Sänger der Band „Rammstein“ Till Lindemann publizierten. Das darauffolgende Ermittlungsverfahren gegen Lindemann stellte die Staatsanwaltschaft später ein – auch deshalb, weil keine einzige der angeblichen Opfer, die in SPIEGEL und anderen Medien zu Wort kamen, gegenüber den Ermittlern aussagten. Ihre Zitate kursierten ausschließlich in den Medien, die meisten ihrer Urheberinnen blieben anonym. Nach dem Zusammenbruch der Kampagne gegen Lindemann gibt es nun doch ein juristisches Nachspiel – für den SPIEGEL.
Die Kanzlei Schertz Bergmann stellte Strafanzeige gegen die Verantwortlichen des Magazins, weil zwei eidesstattliche Versicherungen, die der Verlag in einem Prozess einreichte, offenbar in mehreren Varianten existieren, die erheblich voneinander abweichen. Im Raum steht also der Verdacht der Urkundenfälschung und des versuchten Prozessbetrugs. Die beiden Erklärungen reichte der SPIEGEL in einem Verfahren Lindemanns ein, das Lindemann gegen die Behauptungen in dem Artikel mit der Überschrift „Sex, Macht, Alkohol – was junge Frauen aus der Row Zero berichten“ anstrengte. Der SPIEGEL-Text im Juni 2023 unterstellte Lindemann, junge Frauen mit KO-Tropfen willenlos gemacht und sie in diesem Zustand sexuell ausgenutzt zu haben.
Dabei stützte sich das Magazin auf anonyme Aussagen. In dem presserechtlichen Verfahren, das Lindemann gegen das Magazin anstrengte, tauchten zwei der Aussagen als eidesstattliche Versicherung wieder auf – allerdings in einer auffälligen Form. So endet die Erklärung einer „Zoe“ mitten im Satz, es folgt auf einem nächsten Blatt nicht die Fortsetzung der Erklärung, sondern nur noch die Unterschrift der jungen Frau. Das erweckt den Eindruck, dass zu der Versicherung ursprünglich noch eine weitere Seite gehörte, die nun fehlte. Inzwischen bestätigte das Hanseatische Oberlandesgericht am 19. Juli 2024 eine frühere Verfügung, die es dem SPIEGEL verbietet, seine Behauptungen über Lindemann zu wiederholen.
Zu den Merkwürdigkeiten der eingereichten eidesstattlichen Versicherungen erklärte der SPIEGEL, es seien „aufgrund eines Versehens des eigenen Prozeßbevollmächtigten und seines Sekretariats verschiedene Fassungen miteinander vertauscht worden“. Was bedeutet: Sie wurden offenbar nicht so vor Gericht eingereicht, wie sie ursprünglich verfasst worden waren. Das betrifft nicht nur die Versicherung von „Zoe“, sondern auch eine zweite von „Sophie W.“.
Lindemann-Anwalt Simon Bergmann hält das für besonders gravierend – denn der SPIEGEL hatte in den Verfahren immer darauf hingewiesen, den eidesstattlichen Versicherungen käme besonderes Gewicht zu. Schließlich sei die Abgabe einer falschen Versicherung ja strafbewehrt. Bergmann stellte nun im Namen von Lindemann Strafanzeige gegen den SPIEGEL wegen des Verdachts der Urkundenfälschung und des versuchten Prozessbetrugs. Das Hamburger Magazin äußerte sich bisher noch nicht.
Allerdings veröffentlichte SPIEGEL Online am Donnerstag eine umfangreiche Geschichte über Beschuldigungen gegen den Bestsellerautor Neil Gaiman („Der Sandmann“), die nach gleichem Muster wie der Text über Lindemann aufgebaut ist: Auch hier geht es nicht um justiziable Vorgänge – teilweise liegen die angeblichen sexuellen Übergriffe Gaimans schon Jahre, in einem Fall Jahrzehnte zurück. Gaiman sagte, die sexuellen Beziehungen mit den Frauen, die sich jetzt meldeten, seien durchweg einvernehmlich gewesen.
Anzeige
Wenn Ihnen unser Artikel gefallen hat: Unterstützen Sie diese Form des Journalismus. Unterstützen