Die Medien haben vieles rund um die Wahl von Donald Trump nicht verstanden und nicht vorhergesehen. Dazu zählte auch die „Alt-Right“-Bewegung, die zeitlich bereits vor Trump erstarkt war, von diesem aber gezielt für seinen Wahlerfolg genutzt wurde. Denn am 8. November stellte sich heraus, dass hinter den ungezählten „Memes“, den Verschwörungstheorien, den Trollen und den haltlosen Gerüchten über Hillary Clintons Gesundheitszustand tatsächlich eine unterschätzte Anti-Establishment-Bewegung stand, die einerseits die Demokraten demoralisiert und andererseits viele eigentlich politikferne Amerikaner zur Wahl von Trump mobilisiert hatte.
Seitdem sind die Medien stets bemüht, das Phänomen der Alt-Right zu durchleuchten. Sie tun dies jedoch gewiss nicht, um in einen Dialog zu treten, sondern primär mit der Absicht, „Alt-Right“ als das neue „rechts“ zu etablieren. Während sich in der Alt-Right-Szene tatsächlich leicht Rassisten, Antisemiten und Verschwörungstheoretiker finden lassen, machen diese Gruppen nicht die gesamte Bewegung aus. Dennoch hat sich schnell ein medialer Kodex entwickelt, welche Attribute man der Alt-Right zuschreiben kann und wem man das Alt-Right-Etikett anhängen sollte: Nämlich jedem, der sich selbst außerhalb des Establishments positioniert. Dabei vollführen die Medien einen logischen Fehlschluss, denn zwar ist jeder innerhalb der Alt-Right auch Anti-Establishment – aber nicht jeder, der sich zum Anti-Establishment zählt, ist auch Alt-Right.
„Amerikas gefährliche Manipulatoren“ lautet der Titel eines SPIEGEL-Artikels von Philipp Oehmke, der sich eben dieses Fehlschlusses bedient, indem er einerseits tatsächliche Stars aus der Alt-Right-Bewegung vorstellt, andererseits aber an der Alt-Right völlig unbeteiligte Persönlichkeiten mit dem gleichen Etikett diffamiert. Diese vorgebliche Enthüllungsgeschichte ist wohlgemerkt auch in die Print-Ausgabe dieser Woche aufgenommen worden. Man darf also davon ausgehen, dass an die Story die höchsten redaktionellen Maßstäbe angelegt wurden.
Oehmke hat Rubin anscheinend persönlich getroffen und eine Führung durch Rubins Heim und Studio erhalten, denn beides beschreibt er ausführlich – oder anders ausgedrückt, mit vielen belanglosen Details. Welche Relevanz hat es, dass Rubins Ehemann (Rubin ist homosexuell und lebt mit seinem Ehepartner in Los Angeles) gerade Kaffee mit Hilfe einer italienischen Kaffeemaschine zubereitet? Soll hier bereits die Nähe zum Faschismus durchscheinen, der ja bekanntlich aus Italien stammte? Die Frage nach der Relevanz stellt sich deshalb, weil Oehmke viele Zeilen mit diesen Belanglosigkeiten füllt, während eine Person überhaupt nicht zu Wort kommt: Dave Rubin selbst. Im gesamten Text wird nicht ein einziges Mal eine Ansicht von Dave Rubin zur Alt-Right, zu Donald Trump, oder zu seinen Vorstellungen einer politischen Talkshow zitiert. Der Verfasser behauptet einfach etwas, führt keinerlei Belege für die Behauptung an und räumt dem Gegenstand der Behauptung keinen Raum zur eigenen Darstellung ein.
Neben Rubin selbst versucht Oehmke außerdem, dessen Gesprächspartner zu desavouieren:
„An diesem Tag sind zwei Muslime zu Gast. […] Doch in der Sendung stellt sich schnell heraus: Die Ägypterin Yasmine Mohammed und der Iraker Faisal Said al-Mutar sind Exmuslime, sie verabscheuen den Islam. Und während das ganze Sendung suggeriert, dass hier eine normale Talkshow stattfinde, lässt Rubin sich von Yasmine Mohammed erklären, wie schlimm der Islam sei, und zwar von ihr als Betroffener, […] Der Iraker Mutar genießt es sichtlich, dass die üblichen Grenzen politischer Korrektheit ausgesetzt sind und er mit seiner Nummer als Islamhasser im rechten Amerika so prima ankommt.“
Es ist schmerzhaft, aber man muss den Versuch wagen, den gedanklichen Verrenkungen des SPIEGEL-Schreibers zu folgen: Es ist nur dann in Ordnung, Muslime in eine Talkshow einzuladen, wenn es sich um gläubige Muslime handelt, die davon erzählen, wie gut ihre Religion sei. Handelt es sich jedoch um Atheisten, deren Leben negativ vom Islam beeinflusst wurde, dann ist das Format unseriös und die Gäste sind islamfeindliche Hetzer. Oehmke wirft der Alt-Right religiöse Diskriminierung vor, während er selbst Menschen und ihre Meinungen auf Basis ihrer (Nicht-)Religiosität diskriminiert und verleumdet.
Der Tag, an dem Philipp Oehmke Dave Rubin begleitete, endete mit einer von Rubin moderierten Podiumsdiskussion an der University of Southern California. Der New Yorker SPIEGEL-Korrespondent berichtet:
„Später, als die Runde für Fragen geöffnet wird, stehen harmlos aussehende Studenten hinter den Mikrofonen und nennen sie alle, die Codes der Alt-Right-Bewegung. […] Auf einmal wird es ein bisschen zum Fürchten.“
Die auf YouTube abrufbare Videoaufzeichnung der Diskussion entlarvt die ganze Lächerlichkeit und plumpe Falschheit von Oehmkes Darstellung. Zu sehen sind zwei Stunden vollkommen unaufgeregter, erkenntnisreicher Gespräche über wichtige Themen wie Meinungsfreiheit, mit kritischen Blicken in alle politischen Richtungen. Wer sich davor fürchtet, ist bei Klatschgeschichten über das Ehe-Aus von Brad Pitt und Angelina Jolie definitiv besser aufgehoben.
Aber nehmen wir für einen Moment lang an, Dave Rubin wäre wirklich Teil der Alt-Right, dieses rechtsradikalen Troll-Netzwerks, mit dem sich Donald Trump umgibt. Dann sollte es logischerweise reichlich Evidenz dafür geben, dass Rubin im Vorfeld der Präsidentschaftswahl auch für Trump geworben und ihn am Wahltag selbst gewählt hat. Tatsächlich hat Rubin im August 2016 ein Video mit dem Titel „Who I’m supporting for President“ auf seinem Kanal hochgeladen. Darin erklärt er, dass seine Vorbehalte sowohl gegenüber Clinton, als auch gegenüber Trump zu groß seien, als dass er die eine oder den anderen unterstützen könne. Er werde daher den Kandidaten der Libertären Partei, Gary Johnson, unterstützen. Auch nach der Wahl hat sich Rubin in unzähligen weiteren Podcasts zu seiner Stimme für die Libertären bekannt. Man muss Philipp Oehmke dafür danken, dass er in seinem Pamphlet nicht behauptet hat, die Mondlandung sei nur inszeniert worden. Denn die Qualitätskontrolle in der SPIEGEL-Redaktion hätte wahrscheinlich auch das nicht nachgeprüft.
Warum aber wird ausgerechnet ein überdurchschnittlich toleranter Mensch wie Dave Rubin zum Ziel von Diffamierungen? Man muss bedenken, dass der Durchschnittsjournalist in einer linken Zeitungsredaktion erst sehr lange Germanistik studiert und danach die Henri-Nannen-Schule durchlaufen hat. Damit dachte er eigentlich, die zeitlich unbegrenzte Eintrittskarte in die hehren Hallen des Journalismus gelöst zu haben. Für ihn gibt es deshalb nichts Bedrohlicheres als jemanden, der ihm vor Augen führt, dass seine gesammelten journalistischen Statussymbole keinerlei Bedeutung mehr haben und dass seine Arbeit weder besonders gut, noch einzigartig ist.
Oehmke listet die Patreon-Einkünfte Rubins und anderer namhafter Größen peinlich genau auf. Blanker Neid? Nicht nur. Vor etwas mehr als einer Woche befasste sich bereits die linke amerikanische Website „Mother Jones“ mit den Finanzierungswegen der Alt-Right. Auch dort wurde Dave Rubin natürlich fälschlicherweise genannt, was seinen heftigen Widerspruch auf Twitter und eine mehrfache Nacheditierung des Artikels zur Folge hatte. Eine Blamage, die Oehmke aber nicht davon abhielt, genau die gleichen Falschbehauptungen in seinen deutschsprachigen Abklatsch einzubauen.
Dahinter steht das neue Selbstverständnis der Journalisten als politischen Aktivisten. Sie verfolgen eine Neuauflage der aus den USA inspirierten #keingeldfuerrechts-Kampagne, denn sie ärgern sich darüber, dass sie zwar werbetreibende Unternehmen unter Druck setzen konnten, aber nicht an die vielen tausend individuellen Unterstützer herankommen. Deshalb haben sie es nun auf die Finanzierungsplattformen abgesehen: Indem man die Projekte dort als „Alt-Right“ denunziert und verleumdet, sollen Plattformen wie Patreon unter Zugzwang geraten und sich, so die Hoffnung, von den betreffenden Projekten trennen. Mit ihrer Unehrlichkeit bestätigen sie alle negativen Eindrücke von den Medien, die der Alt-Right erst ihren Zulauf beschert haben.
Stellen wir diesem Vorgehen zum Kontrast einige der Grundregeln gegenüber, die Dave Rubin zum Start seiner Show selbst aufgestellt hat: 1.) Ich werde nicht unverhohlen lügen. 2.) Bitte überprüft meine Aussagen auf Fakten! 3.) Ich werde nicht über das Privatleben von Menschen sprechen. 4.) Ich werde kein Parteisoldat sein. 5.) Ich werde beständig für liberale Werte eintreten und nicht jeden dämonisieren, der mir nicht zustimmt.
Von wem braucht unsere Gesellschaft mehr – und auf wen kann sie getrost verzichten?