Tichys Einblick

Sondersendung zur EU-Wahl: „Gipfeltreffen Europa“ als Groteske der ARD

Öffentlich-rechtliche Politparodie: Defilee der politischen Untoten als EU-Gladiatoren.

Screenprint: ARD/Gipfeltreffen Europa

Nein, wirklich nicht: Es wird kaum noch einen Zuschauer überrascht haben, wenn der Einmarsch der EU-politischen Gladiatoren einmal mehr zum Defilee der Untoten geriet, wie gestern Abend bei dieser öffentlich-rechtlichen Politparodie mit dem zweifelhaften Titel: „Gipfeltreffen Europa“.

Nun stand dieses öffentlich-rechtliche Fiasko von Beginn an unter keinem gutem Stern, wenn neuerlich mit Tina Hassel der größte Zeremonienzombie dieser Commedia dell’arte vorangestellt wurde. Hier muss man sich in der Nacherzählung fast bei seinen Lesern entschuldigen, dass man so marktschreierisch beginnt, aber was da angeboten wurde, spottete jeder Beschreibung, wenn schon nach der Hälfte der Sendung der dringende Eindruck entstehen musste, dass von Christian Lindner bis Annegret Kramp-Karrenbauer jeweils nur drittklassige Schauspieler mit den Masken dieser deutschen Politiker in den Studios der ARD erschienen, aber es  dann leider doch die Originale waren.

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Diese dick gepuderte Veranstaltung erinnerte zunächst an eine politische ESC-Veranstaltung mit Hass-Elementen. Die unbedingte wie unverzichtbare Abgrenzung gegenüber Jörg Meuthen als Vertreter der rechtskonservativen AfD machte, dass – so sehr sie sich auch um eine interne Diversität bemühten – die politischen Vertreter der weiteren im Bundestag vertretenen etablierten Parteien wie aus einem Guss wirkten. Nein, ihre Vertreter bemühten sich nicht einmal mehr um eine individuelle Profilierungsshow, man genügte sich erneut darin, die etablierten Machtpositionen gegen den so lästigen Spielverderber und Neuling zu verteidigen. Gegen den Bösewicht, dessen Wähler so verdammt unbeeindruckt von jedem neuerliche Nazi-Vorwurf sind, dass es schon zum Verzweifeln ist.

Diese wiederholte Aufführung der immergleichen Komödie geriet allerdings so plakativ, dass sich der AfD-Spitzenkandidat im unfreiwilligen Mittelpunkt dieser Sendung wohl eine neue Strategie überlegt hatte und nach seinem Kantersieg bei Anne Will fast tollkühn agierte, wenn er sich einmal nicht nur vorantreiben ließ, sondern in ungewohnter Bissigkeit Kontrapunkte setzte, zu denen die anderen dann Stellung beziehen mussten, wenn sie denn wollten oder konnten.

Die Süddeutsche titelte gestern nach Anne Will: „Weniger Meuthen wäre schön gewesen“. Das Blatt unterschlug dann allerdings, wovon man stattdessen mehr gesehen haben wollte. Bei Tina Hassel wäre Gelegenheit gewesen, aber es kam auch hier nichts weiter, als der Blick auf Meuthen wie die Maus vor der Schlange.

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Denn tatsächlich hatte Moderatorin Hassel alle Mühe, die Vertreter der Etablierten von Bernd Riexinger für die Linke bis zur Grünen Annalena Baerbock gegen Jörg Meuthen in Stellung zu bringen, wenn sie jeweils nach Redebeiträgen des AfD-Spitzenkandidaten zur EU-Wahl die weiteren Diskutanten wiederholt darum bitten musste, doch eine „Replik“ zu Meuthens Beiträgen abzugeben. Natürlich, so etwas darf man im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nicht einfach so stehen lassen, als hätten eben nur Kramp-Karrenbauer oder der ebenfalls anwesende Markus Söder ihre erwartbaren Polittonbänder ablaufen lassen. Wie viel grauseliger geht es eigentlich noch?

An drei Stellen eingespielt als eine Art Impulsgeber wurden Korrespondenten aus Ländern der EU, die von Hassel befragt wurden und ein paar Filmchen zur Lage vor Ort aus dem Hut zauberten. Als blasser Mitmoderator dieser ESC-artigen Groteske stand Christian Nitsche neben Tina Hassel. Er erschöpfte sich allerdings schon in seiner Aufgabe, die Zeitkonten der Gäste zu überwachen und also gelegentlich rüde zu unterbrechen – hier allerdings unabhängig von der Parteizugehörigkeit, wenn jeder Vorgeladene am Ende der 90-minütigen Sendung knapp sechs Minuten gesprochen hatte, nur Annegret Kramp-Karrenbauer eine Minute mehr für sich verbuchen konnte.

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Das allerdings hatte leider Gründe, die den geneigten Wähler wenig hoffnungsvoll stimmen dürften, wenn sich bei gefühlt jedem Redebeitrag der Saarländerin beim Zuschauer schon nach Sekunden ein dissonantes Summen einstellte, dass jeden Inhalt überdeckte, wir kennen das schon von Angela Merkel, wenn man immer rätseln muss, was genau sie gerade gesagt haben mag, wenn vom Satzbau bis zur Modulation des Gesagten sich sofort eine Monotonie einstellt, die es fast unmöglich macht, den mäandernden Gedankengängen vernünftig zu folgen. Doch, doch, wären Politiker Handpuppen, käme Kramp-Karrenbauer aus der selben Fabrik wie Angela Merkel mit der vom Inhalt her betrachteten gleich defekten Brummsummstimme.

Tatsächlich folgte diese Politshow auch einer Dramaturgie in Akten. Den Einstieg gab eine Besprechung der aktuellen Lage in Österreich, hier sollte Jörg Meuthen sturmreif geschossen werden, aber die aufgestellten Schützen versagten sich trotz mehrfacher Aufforderung der moderierenden Chefin dieser politischen Schießbude mit dem Effekt, das der Bösewicht aus der blauen Ecke sein Glück wieder kaum fassen konnte.

Beispielsweise, als es im Verlauf der Sendung nach der Besprechung der Klimakrise zur Zuwanderungskrise überging und Meuthen seinen Giftbecher ausschüttete und sich eine „Festung Europa“ wünschte, was den neben ihm aufgebauten Christian Lindner auf den Plan rief, der so eine Festung nicht wollte, aber gesicherte Grenzen. Ähm, also das gleiche.

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Überhaupt dieser Lindner. Wer für sich glaubt, er könne von Wahl zu Wahl die selben Gesichter aufsetzen und Inhalte abspulen, der läuft Gefahr, sich unglaubwürdig zu machen. Wenn in der Runde eine Maske besonders dick aufgepudert war, dann sicher die des FDP-Chefs, der auch zur EU-Wahl 2019 nichts besseres anbieten konnte als dieses seltsam Adrenalin-gedopte Dringlichkeitsgesicht von der Bundestagswahl von 2017. Nur reicht es nicht, die Inhalte auf eine Weise in einem Spagat abzubilden zwischen dem Wunsch, die Nähe zu den AfD-Themen zu halten, aber dabei den Anschluss an die übrige etablierte Schauspieltruppe nicht zu verlieren, um so nur eines zu verlieren: jede Idee von Glaubwürdigkeit.

Steinzeit-Riexinger immerhin weiß, was er abliefern muss. Wer allerdings so oft den Begriff „sozial“ in die Arena schmeißt, der verschreckt die Anderen. Also die vor dem Fernseher, die schaffen und machen und tun und die am Ende die Musik bezahlen müssen, ohne diese große Euro-Puderdosen-Sause jemals bestellt zu haben. Nun gut, immerhin bleibt der Linke sich treu und kann auf so einen schmerzhaften Spagat verzichten, wie Lindner in hier in seinen sechs Minuten für die FDP hingelegt hatte, als wäre man auf einem wirren Turnfest.

Die Grüne im gelben Kleid sonnte sich in der Lust an der Apokalypse, wenn sie einmal mehr den Weltuntergang prophezeite. Aber so abiturientinnenhaft fröhlich es Baerbock vortrug, so schlimm wird es dann schon nicht werden, wenn die Erde in zwölf Sekunden verglüht, weil niemand gelöscht hat. Ach ne, sie sagte in zwölf Monaten … Oder waren es Jahre? Weil sich keiner zu lachen traute, prustete es dann eben wieder aus Jörg Meuthen heraus, der die Rolle des Menschen als Koch der Erderwärmung nicht einmal in Zweifel zog, sondern lediglich die Bedeutung gegen Null rechnen wollte und der Erde selbst den Wandel unterstellte. Ach, wie böse von dem alten weißen Mann.

Auch hier war dann Lindner wieder ganz anderer Meinung, auch wenn er am Ende nur eines forderte: So etwas wie technische Innovationen gegen den Klimawandel. Das könnten wir Deutschen doch. Ach, wollte man ihm zurufen: Wir haben die letzten Jahre soviel Mist gemacht in EU-Europa – also nicht wir, sondern die deutsche Regierung – dass es vielleicht mal an der Zeit ist, für den Moment die deutsche Polit-Klappe zu halten.

TE-Podcast Folge 4
Der Klimawandel als Hebel zur Einführung der Global Governance
Steuern war auch so ein Thema. Und hier fragte man sich tatsächlich, wie es sein konnte, dass diese Grünen in der Wählergunst gerade ein Allzeithoch verzeichnen, wenn die Spitzenkandidatin der Partei geradezu lustvoll eine Steuererhöhung nach der anderen einforderte bzw. wenn sich ihre politische Kreativität darauf beschränkte, immer neue Steuern zu erfinden. Jetzt soll es neben der Abgabe auf CO2 noch eine Kerosin-Steuer geben. Kurzer heftiger Schock bei der Hannoveranerin: Das fand Jörg Meuthen auch toll. Aber Entwarnung, er meinte es irgendwie ironisch, denn er würde es verbinden, so sagt er, mit einer Absenkung der Steuern an den Auto-Tankstellen. Christian Lindner möchte gerne weiterhin mit dem Auto nach Lissabon. Bernd Briexinger riet ihm, es doch mal mit der Eisenbahn zu versuchen.

Höchste Eisenbahn diese Nacherzählung jetzt abzubrechen. Denn die Grenze der Zumutbarkeit, das muss man sagen, war mit dieser öffentlich-rechtlichen Politkomödie tatsächlich deutlich überschritten. Entspannung war übrigens auch bei den Tagesthemen nicht  angesagt, denn da tauchte – wie das Teufelchen auf der Feder aus der Kiste –  Tina Hassel wieder auf und durfte dann noch ihre eigene EU-Sendung besprechen und interpretieren, so, als wäre sie nicht dort gewesen. Aber ungeschehen machen konnte sie es ja auch nicht. Wie so vieles in der heutigen Zeit.

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