So beruhigend und ausgleichend die sommerliche Vorabendstimmung vor dem Reichstag mit Blick auf die in der Spree vorbei gleitenden Ausflugsschiffe, so wirkte auch der Interview-Gast der ARD. Wer das Gesicht des SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz gestern gesehen hat, begreift, warum er als plötzlicher Shooting-Star seinen Mitbewerbern für das Kanzleramt in der Beliebtheit der Deutschen davon geeilt ist. Keinerlei Unsicherheit und Nervosität, wie bei der Grünen Annalena Baerbock, die durch aufgeregtes und schnelles Sprechen diese Schwächen zu überspielen versucht. Kanzler-like ist die Grüne für die Mehrheit der Deutschen ganz und gar nicht. Aber auch mit dem CDU-Mann Armin Laschet können sie sich nicht so recht anfreunden. Es ist seine schwammige Unverbindlichkeit, sein Auftreten in einer Mischung aus heiterem Landesvater und gewollter Staatsmann-Attitüde, die nicht überzeugt.
Scholz zu listig und Lindner zu selbstgewiss
Scholz tut so, als wäre die SPD nicht schon lange in der Koalition mit der CDU, weiß nichts vom Zusammenhang von Kernkraft und Klimathema, Lindner täuscht durchsichtig vor, nicht mit den Grünen zu wollen.
Und so wirkte Scholz auch gestern Abend wieder kompetent und ernsthaft – im Gegensatz zu seinen Rivalen einfach erwachsen. Doch wie so oft liegen zwischen Wirken und wirklichem Sein Welten. Die Forderung nach höheren Mindestlöhnen und mehr Tarifverträgen ist Teil der sozialdemokratischen Mantra – mit der Zukunft, der durch die Digitalisierung unserer Wirtschaft mit all den strukturellen Folgen, hat das freilich nichts mehr zu tun. Keine Steuersenkungen für die „Reichen“, kriminelle Ausländer sollen abgeschoben werden. Populär ist das Letztere in seiner eigenen Partei und vor allem bei den Grünen als mögliche Partner nicht. Zoff vorprogrammiert. Wie alle anderen Wahlkämpfer wich Scholz den wirklichen großen Problemen aus. Herausforderungen wie die Zukunft der Renten, die Migration, der Zustand des Bildungssystems und Deutschlands Rolle in der Welt wurden weder nachgefragt noch erwähnt.
An all den Versäumnissen der Vergangenheit sei ausschließlich die CDU/CSU Schuld. Alle brauchbaren Konzepte der SPD seien blockiert worden. Besondere Schuld treffe den Wirtschaftsminister Altmaier. Von den Wahlkämpfen der Vergangenheit ist man ja harten Tobak schon gewöhnt, Aber so eine dreiste Schuldzuweisung ist mehr als eine Unverschämtheit. Seit mehreren Legislaturperioden sind CDU und SPD ein Politehepaar. Nur tut Scholz jetzt so, als habe er die Braut erst gestern gesehen. Natürlich weiß der gewiefte alte Hase selbst ganz genau über die Lage Bescheid und weiß, was auf die Bürger zukommt. Allzu schön für die Genossen, dass ein Sündenbock gefunden ist, den man dann auch gleich für die Explosion der Strompreise verantwortlich machen kann. Man darf gespannt sein, ob die CDU diese Tücke ahndet oder weiter dem 26. September entgegen schlummert.
Bei all dem ist der Gedanke nicht verwegen, dass der übereilte und völlig überflüssige Atom-Ausstieg rückgängig gemacht werden muß. Die Schuld trägt natürlich die CDU/CSU. So ungerecht kann das Leben sein. Da ist sie übrigens auch, die listige Verschmitztheit, die immer wieder mal in den Augen des Hamburger Sozialdemokraten aufblitzt. Mit eben dieser manövrierte er gestern auch die Vorwürfe einer Zuschauerin aus, die durch den Wirecard-Skandal ihr ganzes Erspartes verloren hat. Scholz tröstete die Unglückliche: „Ja, das war eine schlimme Sache, ein Schurkenstück. Aber ich habe die entsprechenden Maßnahmen danach sofort ergriffen.“
Vorlieben für mögliche Koalitionspartner äußerte der SPD-Kanzlerkandidat trotz mehrerer Nachfragen nicht. Nur, dass er gern an der Spitze der Regierung stehen würde, dies aber hätten die Wähler in der Hand.
Ein Zusammengehen mit Grünen und SPD könne er sich nur sehr schwer vorstellen. Die Konzepte lägen einfach zu weit auseinander. Die Union stehe ihm näher, obwohl auch diese ein liberales Korrektiv benötige. Im klaren Gegensatz zu Scholz sprach er sich gegen jede Steuererhöhung aus. Gefragt seien jetzt Neugier und Erfindungsreichtum in einer Atmosphäre der Freiheit und nicht der Verbote. Schon jetzt zahlten die Deutschen die weltweit höchsten Steuern und Abgaben. Dies hemme den nötigen Aufschwung. Der Redlichkeit halber sei hier angemerkt, dass die FDP mit ihren gesellschaftspolitischen Vorstellungen den Grünen weitaus näher steht, als jeder anderen Partei, denn bekanntermaßen ist auch das Linkslibertäre neben dem Wirtschaftsliberalen ein Markenzeichen der Freien Demokraten.
Die entscheidende Aussage Lindners aber kam ganz zum Schluß, auf die Frage, ob sich aus seiner Sicht auch wieder eine Situation ergeben könne, wie vor vier Jahren, als er für die FDP eine Machtbeteiligung ausschlug und die Koalitionsverhandlungen abgebrochen hatte. Lindner antwortete: „Frau Merkel wollte damals mit den Grünen abgestimmt ein Konzept durchsetzen, für das die FDP nicht zur Verfügung stehen konnte. Ich werde in einer ähnlichen Situation wieder genauso entscheiden.“
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