Tichys Einblick
Tino Chrupalla und Robert Habeck

Sommer-Interview bei ARD und ZDF: Chrupalla, AfD und Habeck, Grüne

Einst besuchten ARD und ZDF führende Politiker an ihren Urlaubsorten, heute haben die Politiker die Anstalten aufzusuchen: Unfreiwillige Symbolik. Und dass nicht bei allen Gesprächspartnern gleich kritisch nachgefragt wird versteht sich von selbst.

Screenprint: ZDF/ Das Sommerinterview

Die Sommer-Interviews von ARD und ZDF mit den Vorsitzenden der im Bundestag vertretenen Parteien haben eine lange Tradition. Die Machart ist weitgehend gleich geblieben, wenn sich auch die Formen verändert haben. Saß man zu früheren Zeiten mit dem CSU-Vorsitzenden Franz-Josef Strauß schon mal bei einer bayerischen Brotzeit mit zünftigem Umtrunk zusammen oder begrüßte Helmut Schmidt auf einer Segeljolle, ganz zu schweigen von den ausführlichen Plaudereien mit Helmut Kohl bei einem guten Schoppen vor der Kulisse des Wolfgangsees, ist all dieses einer eher sachlichen Nüchternheit gewichen. Bevorzugte Schauplätze sind heute markante Punkte innerhalb des Regierungsviertels oder gar der ARD- oder ZDF-Gebäude selbst. Dies entspricht auch der veränderten politischen Kultur im Lande und der großen persönlichen Distanz, insbesondere der jüngeren Generation, gegenüber Führungspersonen.

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Gegensätzlicher als die beiden Gäste des gestrigen Abends können Menschen und Politiker gar nicht sein. Als erstes wartete die ARD mit dem AFD-Spitzenkandidaten und Parteisprecher Tino Chrupalla auf. Eine Stunde später machte dann der Grünen-Spitzenpolitiker, wohlgemerkt nicht die Spitzenkandidatin, Robert Habeck dem ZDF die Aufwartung. Der eine Malermeister und selbständiger Unternehmer aus dem Osten, der andere Grünen-Profi und Ex-Minister mit akademischer Ausbildung und einem Hang zur Schriftstellerei und Philosophie.

Wie nicht anders zu erwarten, empfing den AfD-Politiker ein spürbar feindseliges Klima. Chrupalla, der in früheren Interviews häufig mit einer hemdsärmelig-naiven Jovialität reagierte, zeigte sich diesmal schlagfertig und in der Argumentation bei Sachfragen informiert und kenntnisreich. So, wenn er als eine der Ursachen des Nachwuchsmangels an Fachkräften den miserablen Zustand unseres Bildungssystem kritisierte und von daher die Beschäftigung zugewanderter Arbeitskräfte nicht als einzigen Weg aus der Misere bezeichnete. Zuzustimmen ist dem AfD-Mann auch, wenn er davor warnt, mit dem Verweis auf die Klimakrise Missstände bei der Bekämpfung der Flutkatastrophe unter den Teppich zu kehren. Hier erwies sich die Zuschaltung von Zuschauern mit ihren Fragen als sinnvoll und für das Format der Sendung erfrischend.

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Erste wirkliche Schwächen zeigte Chrupalla bei konkreten Nachfragen zum Thema Steuern. Dem Vorwurf des Moderators, die AfD begünstige die Besserverdienenden, begegnete er mit Attacken auf die Steuerpläne der anderen Parteien im Wahlkampf. Ins Strudeln kam Chrupalla, als er sich von rechtsextremistischen Äußerungen einzelner AfD-Funktionäre distanzieren sollte. Als Chrupalla könne er sich nur von eigenen Äußerungen distanzieren, nicht aber von denen Dritter. Der Kommentar des AfD-Politikers, der Fall Nawalny sei eine ausschließlich innerrussische Angelegenheit, war nicht qualifizierend. Auch scheint es um die historischen Kenntnisse des Spitzenkandidaten der AfD nicht allzu gut zu stehen. Denn die Weltgeschichte zeigt, dass Staaten mit Repressionen nach innen über kurz oder lang auch immer ihre Nachbarn gefährden. Der Rest des Interviews erschöpfte sich dann im Wiederauftischen alter Spendenvorwürfe, die angesichts ganz anderer Skandale – CumEx-Geschäfte und Wirecard-Skandal, in die SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz verwickelt ist – niemanden mehr interessieren.

Und dann Habeck im ZDF – gewollt lässig und gutgelaunt präsentierte er sich in der schönen Natur des Nordens inmitten von grün und viel Wasser. Mit eiserner Selbstverleugnung stand er unerschütterlich zur Eignung Annalena Baerbocks für das Kanzleramt und damit auch unverändert zu ihrer Spitzenkandidatur. Nur dass in diesen Augenblicken jeglicher Frohsinn aus seinen Zügen wich. Worauf es jetzt ankomme, sei der Blick nach vorn. Angesichts des Schwächelns auch der anderen Kandidaten, sei immer noch alles drin. Habeck, bekannt für sein Talent im Umgang mit Medien, vermied jede aggressive Zuspitzung. Seine Interviewerin machte es ihm aber auch leicht. Als Zuschauer hatte man erwarten dürfen, dass zumindest die Frage nach dem Grund für das Nichterscheinen der Spitzenkandidatin zum Spitzenkandidaten-Interview gestellt würde. Fehlanzeige. Anders als beim Chrupalla-Interview bei der ARD zuvor, war man sich unübersehbar sympathisch.

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In der Sache bezeichnete der Grüne die anderen Parteien bei Klimawandel und Umbau der Gesellschaft als in ihren Aussagen unverbindlich und nicht ehrlich. Nur die Grünen verfügten über Kompetenz und Konzept. Leider wurde auch hier nicht nachgebohrt. Nur Habeck überraschte diesmal mit einer neuen Antwort auf die unumgängliche Kostenfrage bei der großen Transformation hin zu „Klimaneutralität” und Öko-Gesellschaft. Sprach er noch bis vor kurzem von Abgaben jedes einzelnen Bürgers gemäß seines „ökologischen Fußabdruckes“ (Großes Haus, großes Auto, weite Flugreisen gleich hohe Abgabenquote, kleines oder gar kein Auto, bescheidene Wohnfläche und Urlaub zu Hause gleich Energiezuschüsse aus Abgaben und Emissionseinnahmen zum Zwecke der Umverteilung), setzte er gestern Abend den Hauptakzent auf weitere Schulden des Staates. Mit diesen könne dann ein gewaltiges Investitionsprogramm zum nötigen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft in Gang gesetzt werden. Die daraus entstehende Dynamik würde absehbar zu hohen Steuereinnahmen und einer Höherbewertung von Staatseigentum führen, die zu einem raschen Abbau der Verschuldung bei zumal niedrigen Zinsen führen würde. Spätestens hier sind gleich mehrere Fragezeichen angebracht. Es wäre sicher interessant gewesen, von Habeck zu erfahren, wie er das Desaster einer sich anbahnenden Versorgungskrise mit Energie bei gleichzeitigem Ausstieg aus Kernkraft und Kohle abwenden wolle. Außer großen Worten und wolkigen Erklärungen kam da auch gestern Nichts. Es ist der Versuch, die Wähler über die hohen Kosten hinweg zu täuschen, die durch die grüne Absenkung der Wirtschaftsleistung und Verteuerung des Konsums entstehen. Staatsverschuldung ist das Allheilmittel; wen stört es, dass dies noch nie geklappt hat? Habeck nicht, und auch das ZDF interessiert sich nicht dafür – bekanntlich kommt deren Geld vom Verfassungsgericht und damit aus den Wolken.

Ähnlich trickst Habeck auch in der Impf-Frage. „Man hat das Recht, sich nicht impfen zu lassen, aber man hat nicht das Recht, dass alle Geimpften und die Kinder dann Rücksicht darauf nehmen“. Mit anderen Worten: Impf-Zwang durch die Ladentür, wie es die Bundesregierung in schönster Übereinstimmung bereits plant: Ohne Impfausweis soll es verboten sein, Geschäfte, Schulen oder Stadien zu besuchen. Auch hier fehlte kritische Nachfrage; man war ideologisch unter Gleichgesinnten beim ZDF.

Aber eine wirklich überraschende Aussage machte der Grünen-Star dann doch noch. Eigentlich strebten die Grünen ja gar nicht das Kanzleramt an. Ihr Hauptziel sei das Mitregieren an entsprechenden Schaltstellen. Eine Unterstützung zum Beginn der heißen Phase des Wahlkampfs für Baerbock ist das jedenfalls nicht. Treibt Habeck etwa die Sorge, das so manch potentieller Grünen-Wähler aus Angst vor einer Kanzlerin Baerbock taktisch woanders sein Kreuz machen könnte? Dann doch schon lieber jetzt Flexibilität im Machtanspruch demonstrieren – vielleicht sogar bei inks-grüner Mehrheit ein Kanzler Olaf Scholz, verbunden mit dem eigenen Anspruch auf Schlüsselministerien. Doch bei den derzeitigen Schwankungen der Wählergunst gilt mehr als je zuvor: Abgerechnet wird zum Schluss.

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