Tichys Einblick
Sinkende Auflage

Wenn sich das Gute schlecht verkauft

Chefredaktionen und Verlage erleben, dass sich weit weniger Käufer für aktivistischen Journalismus finden als erhofft. Die Fehlkalkulation kostet Geld – und viele Mitarbeiter den Job.

picture alliance / Maurizio Gambarini/dpa

Das Jahr 2021 beginnt trübe für viele etablierte Medien – auch, aber nicht nur wegen des Corona-Lockdowns. Durch die Reduzierung von Verkaufsstellen verschärften sich Probleme, mit denen etliche Verlage schon vorher zu kämpfen hatten. Im Januar entschied die Chefredaktion des schwächelnden „Stern“, das Politik- und Wirtschaftsressort des Blattes aufzulösen. Den politischen Teil der Illustrierten soll ab 1. März eine zentrale Wirtschafts- und Politikredaktion für das Magazin „Capital“ , den „Stern“ und „Business Punk“ produzieren, die ebenfalls zu Gruner + Jahr gehören. Für die neue Zentraleinheit können sich „Stern“-Redakteure aus dem aufgelösten Ressort zwar bewerben – aber nur wenige der 11 Journalisten dürften dort auch unterkommen. Schließlich geht es darum, Kosten zu sparen und zumindest einen Teil der Einnahmenverluste auszugleichen.

Einstweilen noch im Hintergrund bahnt sich die Fusion von Gruner + Jahr und RTL zu einem Medienkonzern an, die, wenn sie zustande kommt, zwangsläufig auch zu einem Stellenabbau führen würde.

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Einen sehr ähnlichen Schritt wie „Stern“ verkündete der Burda-Verlag für sein Magazin „Focus“ in der vergangenen Woche. Dort wird das Ressort Kultur und Leben komplett verschwinden. Von den bisher neun Redakteuren können, wie es im Verlagsumfeld heißt, nur zwei bleiben – um künftig Beiträge bei kostengünstigeren freien Mitarbeitern zu bestellen und zu redigieren, die das Blatt mit Kultur- und Lifestyle-Themen beliefern sollen. Den Titel „Das Jahrzehnt der Chancen“ vom 23. Januar 2021, in dem „Focus“ ein „goldenes Jahrzehnt“ verspricht und zum „Durchhalten“ auffordert, lesen die Redakteure des Magazins wahrscheinlich sehr unterschiedlich, je nachdem, ob sie zu denjenigen gehören, die bleiben – oder weggespart werden.

Als drittes Wochenmedium steht die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ (FAS) vor einem großen Umbruch, der wahrscheinlich zu einem Stellenabbau führt: Bis 2022 will das Blatt seinen Erscheinungstag auf Samstag vorziehen. In einigen Testregionen lag die „FAS“ schon im vergangenen Jahr am Samstag an den Kiosken. Der Verlag begründet den Schritt damit, dass es Schwierigkeiten gebe, die Zeitung am Sonntag überall an die Abonnenten zu liefern. Außerdem sei die Sonntagszustellung sehr teuer. Kosten lassen sich durch den vorgezogenen Verkaufstermin tatsächlich sparen – allerdings mit weitreichenden Konsequenzen für die Mitarbeiter von „FAZ“ und „FAS“. Denn es dürfte eher selten passieren, dass ein Medienkonsument am Samstag die reguläre „FAZ“-Samstagsausgabe und die Sonntagszeitung zusammen in den Einkaufskorb legt. Nur eins der beiden Blätter kann das Experiment nach dem Urteil von Branchen-Insidern als eigenständiges Medium überleben. Intern taufte der Verlag das Projekt „Hydra“ – nach der vielköpfigen Wasserschlange aus der griechischen Mythologie. Ein Kopf weniger, so die subtile Botschaft, tut es auch.

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Dem Spar-Druck können große Verlage nicht mehr ausweichen, weil sich der Leserverlust 2020 noch einmal stark beschleunigte. Größter Verlierer unter den Magazinen im Schlussquartal 2020 war der „Stern“, der verglichen mit dem 4. Quartal 2019 im Gesamtverkauf (Kiosk und Abonnements) 16,1 Prozent einbüßte. In der harten Auflage – also ohne Lufthansaexemplare und sonstige Verkäufe weit unter dem regulären Preis – verlor die Illustrierte 10,5 Prozent. Das Flaggschiff von Gruner + Jahr, das sich in ihren guten Zeiten wöchentlich gut eine Million Mal verkaufte, brachte in den letzten drei Monaten des Corona-Jahrs im Schnitt nur noch 245.354 Exemplare an den Käufer oder Abonnenten. Das liegt nicht nur am Shutdown, der zu einer Reduzierung der Verkaufsstellen führte, sondern offenbar auch an dem Versuch der Hamburger Redaktion, das Heft noch stärker auf die so genannte woke Richtung zu trimmen. Der aus den USA stammende Begriff woke (übersetzt so viel wie: erwacht) steht für eine Weltsicht, in der die Schlüsselworte Rassismus, Geschlecht und Klima die Erklärung für fast alle gesellschaftlichen Konflikte liefern. Mit dem Selbsttest-Titel „Wie rassistisch bin ich?“ (Heft 26/2020) bemühte sich der „Stern“, auf die Welle Black Lives Matter aufzuspringen. Damit kam das Blatt allerdings nur auf knapp über 100.000 Verkäufe. Auf den Titel des Heftes 44/2020 hob die „Stern“-Mannschaft ein relativ unpolitisches Thema, den Rapper Bushido und dessen „Krieg“ mit dem Abu-Chaker-Clan. Damit erreichte das Blatt nur 96.417 Käufer, so wenige wie noch nie in seiner Geschichte.

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Das Wochenmagazin „Focus“ musste im 4. Quartal ein Minus der harten Auflage von 5,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr hinnehmen (Gesamtauflage: minus 28 Prozent). Vor allem der Wegfall vieler Lufthansa-Bordexemplare macht sich in der Gesamtzahl der Hefte bemerkbar. Mit der Reichweite sinkt auch der Erlös für die wenigen Anzeigen, die das Magazin in Corona-Zeiten noch einwerben kann.

Auch hier setzte sich die Entwicklung der vorangegangenen Quartale fort. Einen Tiefpunkt erreichte das Magazin schon mit seiner Ausgabe 5/2020, der aktivistischen Titelgeschichte „Wann, wenn nicht jetzt! 77 Ideen für Klima und Umwelt“. Gerade 33.201 Interessenten wollten das Weltrettungs-Heft lesen – damals ein historisches Tief. In den letzten drei Monaten 2020 ging die Kauflust des „Focus“-Publikums weiter zurück. Die Burda-Illustrierte „Bunte“ büßte mit einem Gesamtrückgang von 17 Prozent und einem Minus in der harten Auflage von 6,8 Prozent noch etwas stärker ein.

Im 4. Quartal 2020 gab es ähnlich deprimierende Zahlen für die „FAS“: die Gesamtauflage der Wochenzeitung sank im Vergleich mit dem Schlussquartal 2019 um 10, 5 Prozent, die harte Auflage um 6,8 Prozent. Die „FAS“ hatte sich in vielen Themen politisch vom Mutterblatt noch weiter nach links abgesetzt. Kritik des Regierungskurses, für den sich gerade in Corona-Zeiten viele Ansätze bieten, findet sich bei „Stern“, „Focus“ und „FAS“ nur sehr sparsam.

Ein relativ großer Teil des potentiellen Publikums will für politisch korrekte Unterweisung und große Regierungsfreundlichkeit nicht in dem erhofften Maß bezahlen. Aus der regelmäßigen Zustimmung in Umfragen zu Klima- und Gerechtigkeitsthemen zogen Verlagsmanager und Chefredakteure offenbar über längere Zeit den Schluss, es gebe eine große Käuferschaft für Medien, die sich diesen Themen verstärkt zuwenden. Vorläufiger Höhepunkt dieser Entwicklung war ein „Stern“-Heft („#Kein Grad weiter“), das die Redaktion von Vorkämpfern der Friday for Future-Bewegung füllen ließ. Die Ausgabe lief am Kiosk allerdings schlecht.

Union und SPD
Auf dem Weg zur Staats-Presse
Auch der Versuch, mit politisch korrekten Tugendbotschaften neue Leser aus der jüngeren Generation zu binden, scheiterte praktisch überall: 2020 stellte „Spiegel“ sein Projekt „bento“ ein, ein Online-Ableger, der sich fast ausschließlich mit Klimaapokalypse, Geschlechtsumwandlung und Antirassismus-Kampf befasste. Es blieb defizitär, offenbar erreichte es nur ein schmales Lesersegment. Die Online-Ausgründung „ze.tt“ der „Zeit“, die sich speziell für eine junge Leserschaft mit Inklusion, Diversität und Gender befassen wollte, überlebte das vergangene Jahr ebenfalls nicht als eigenständiges Medium. Der Axel-Springer-Verlag stellte sein auf woke und korrekt gebürstete Online-Jugendangebot „Noizz“ wegen Erfolglosigkeit ein. „Wir richteten einen Mental-Health-Monat aus, nahmen die LGBTQ-Community in den Blick, widmeten uns vermehrt Rassismus, Sexismus sowie Antisemitismus und jeglicher Art von Diskriminierung“, erinnerte sich Noizz-Editorial Director Manuel Lorenz – um dann festzustellen: „Wir dachten: Wir werden überleben. Wir haben uns geirrt.“

Unter Antirassismus verstanden es zwei „Noizz“-Redakteurinnen übrigens, eine erfolglose Kampagne gegen den heiligen Mauritius im Stadtwappen von Coburg zu starten. Aus diesem Wappen war der aus Afrika stammende Heilige schon einmal entfernt worden – 1934 durch die NSDAP.

Nicht alle Print-Medien leiden gleichmäßig unter Reichweitenverlust und Leserflucht. Das monatlich erscheinende Heft „Tichys Einblick“ gewann auch im 4. Quartal trotz Shutdown und damit eingeschränkter Verkaufsstellenzahl Leser dazu – im zweistelligen Bereich. Das Magazin verbuchte ein Plus von 13 Prozent im Vergleich zum Schlussquartal 2019 bei den Kioskverkäufen und Abonnenten.

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