Rund um den RBB kommt es dieser Tage zu vielen absurden Meldungen. Zu den schillerndsten gehörte die Forderung von Dorette König, es solle künftige keine Vortreffen mehr geben, bevor die Gremien des Senders zusammenkommen. König vertritt derzeit Wolf-Dieter Wolf als Vorsitzende des RBB-Verwaltungsrates. In diesen Vortreffen hatten Einzelne, so wie es der Business Insider berichtete, ausgeklungelt, welche Entscheidungen der Verwaltungsrat trifft und mit welchen Themen sich das Aufsichtsgremium überhaupt beschäftigt. Der Versuch, solche Vortreffen zu unterbinden, ist gut gemeint. Doch Klüngelei verhindern zu wollen, indem man Treffen verbietet, ist im Zeitalter von Teams und Whatsapp bestenfalls ehrenhaft – vor allem aber ist der Versuch hilflos.
Doch die Gremien haben zwar jetzt den finalen Schritt in der Affäre Schlesinger gesetzt und die fristlose Kündigung ausgesprochen. Aber eine Affäre eines einzelnen schwarzen Schafes ist es eben nicht. Denn die Gremien haben in der Affäre genauso versagt wie die Intendantin.
Zum einen waren ihre Mitglieder daran aktiv beteiligt: Wolf musste den Vorsitz im Verwaltungsrat ruhen lassen, weil er im Verdacht steht, mit Schlesinger Gefälligkeit gegen Gefälligkeit ausgetauscht zu haben. Zum anderen haben die Aufsichtsgremien darin versagt, Schlesinger zu beaufsichtigen: private Partys, die als Dienstessen abgerechnet wurden, Luxus auf der Chefetage, Prunkbauten, ohne Ausschreibung vergebene Aufträge, PS-starke Dienstwagen – das alles ist vor der Nase von Rundfunkrat und Verwaltungsrat passiert. Sie haben noch nicht mal angefangen aufzuräumen, als andere Medien über die Versäumnisse berichtet haben. Sie haben erst aufgeräumt, als andere Medien nicht mehr aufgehört haben, über die Versäumnisse zu berichten. Der Versuch, sich nachträglich als die Spitze der Bewegung auszugeben, ist so verlogen, wie er hilflos ist.
Die Aufsichtsgremien sind nicht die Lösung der Probleme im öffentlich-rechtlichen Rundfunk – sie sind Teil des Problems. Ihrem Zweck, im Namen der Zivilgesellschaft Aufsicht auszuüben, kommen sie nicht nach. Dafür gehen die Mitglieder viel zu stark ihren eigenen Interessen nach. Der sparsame Umgang mit staatlich ertrotzten Rundfunkgebühren gehört nicht dazu. Der Topf ist mit 8,5 Milliarden Euro so üppig gefüllt. Da überlässt der Verwaltungsrat Schlesinger gerne den dienstlichen Massagesessel, wenn der Rat an anderer Stelle bekommt, was er will.
Selbst wenn die 8,5 Milliarden Euro nicht ausreichen sollten, hat das Bundesverfassungsgericht ja einen Freibrief für jede weitere Gebührenerhöhung ausgestellt. Am Rande erwähnt: auch ein Aufsichtsgremium, das in Sachen öffentlich-rechtlichem Rundfunk versagt und so Affären wie die Schlesingers erst ermöglicht hat.
Die Grundidee des öffentlich-rechtlichen Rundfunks war gut. Die Alliierten wollten für Deutschland nach dem Sieg über die Nazi-Diktatur einen Rundfunk, der öffentlich, aber nicht staatlich ist. Deswegen schufen sie das Konstrukt der Rundfunkgebühren, um die Sender finanziell unabhängig aufzustellen. Und sie schufen die Aufsichtsgremien, die sich aus der Zivilgesellschaft zusammensetzen sollten. Eine gute Grundidee, die aber im Laufe der Jahrzehnte korrumpiert wurde – von der Parteienpolitik, die sich die Gremien untertan machte. Spätestens seit 2013, seitdem die Gebühr nicht mehr an ein Gerät gebunden, sondern für alle Haushalte zwingend ist. Inklusive Beugehaft bei Nichtzahlung.
Jeder öffentlich-rechtliche Sender hat einen Rundfunk- beziehungsweise Fernsehrat sowie einen Verwaltungsrat. Der Rundfunk- beziehungsweise Fernsehrat ist für das Programm zuständig. Es ist die Alibi-Veranstaltung für die Öffentlichkeit. Als das Verfassungsgericht seiner Kontrollfunktion noch nachkam – bevor Stephan Harbarth (CDU) Präsident wurde –, fällte es ein Urteil, dass die Parteipolitik aus den Gremien drängen sollte. Umgesetzt wurde es: vor allem in den Fernsehräten. Doch die eigentliche Musik spielt in den Verwaltungsräten. Dort geht es um das, was immer gleichbedeutend mit Macht ist: Geld.
Vier von zwölf Verwaltungsratsmitgliedern des ZDF sind zum Beispiel Ministerpräsidenten: Malu Dreyer (SPD, Rheinland-Pfalz), Markus Söder (CSU, Bayern), Reiner Haseloff (CDU, Sachsen) und Dietmar Woidke (SPD, Brandenburg).
An denen vorbei will erstmal eine Mehrheit organisiert werden. Doch die anderen acht Vertreter der Gesellschaft sind lange nicht so zivil, wie sich die Alliierten das mal gewünscht haben. Da ist Michael Sommer, ehemaliger Vorsitzender des Gewerkschaftsbundes DGB. Er ist mehr sozialdemokratischer Funktionär als mancher sozialdemokratische Funktionär. Als er DGB-Chef war, haben die Gewerkschaften die Einschnitte durch die Hartz-Reformen klaglos mitgetragen. Die Nähe zur SPD war Sommer wichtiger als die Mitglieder, die der DGB zehntausendfach verlor. Oder Reinhard Göhner. Er war Parteisoldat der CDU, kam aber über die Rolle des Staatssekretärs nicht hinaus. Daraufhin schickte ihn Helmut Kohl zu den Arbeitgeberverbänden. Kaum ein Gremienmitglied im ZDF-Verwaltungsrat, dessen parteipolitischer Zusammenhang nicht deutlich einzuordnen wäre.
Der Politik geht es oft um Standortfragen. Der baden-württembergische Ministerpräsident will bei seinen Ortsterminen etwas vorweisen können. Also baut der SWR in Mannheim ein neues Studio. Für 16,3 Millionen Euro. Eigentlich beheimatet ist der Sender in Stuttgart und Baden-Baden. Der Stammsitz dort ist gerade mal 95 Kilometer von dem neuen Prunkbau entfernt. In Zeiten, in denen digitale Übertragunstechniken einem Wege abnehmen können. Der Bau in Mannheim ist mehr Standortpolitik, die Verwaltungsrat und Sender zusammenschweißt, als es wirklich eine Verbesserung der lokalen, kurpfälzischen Berichterstattung ist.
Mancher öffentlich-rechtliche Irrsinn ist dadurch zu erklären, dass die Politiker den Sendern Standortpolitik abtrotzen, die mit Rundfunkgebühren bezahlt wird.
Deswegen sitzt Phoenix in Bonn und lässt Gäste aus Berlin einfliegen. Ist das sinnvoll? Für den Zuschauer nicht, ihm gehen nur wieder seine Gebührengelder flöten. Für den Politiker, der versprochen hat, den ehemaligen Regierungssitz nicht im Stich zu lassen, ergibt die Entscheidung aber schon Sinn. So erklärt es sich, dass das ZDF zwar in Mainz sitzt, aber viele Produktionen in Hamburg oder Berlin stattfinden. In der ARD über die Republik verteilt millionenschwere Prachtbauten hochgezogen werden. Und ein Rundfunkorchester in der ARD bei weitem nicht reicht.
Wie das mit politischem Eifer aber oft so ist: Im Bemühen, vielfältigeres Personal einzustellen, schauten die Verantwortlichen stark nach dem ethnischen Hintergrund der Bewerber – und nicht nach anderem. Etwa eine israelfeindliche Einstellung, die dazu führte, dass Bewerber im Vorfeld mehrfach sich auf antisemitischen Demonstrationen zeigten. Wie Nemi El-Hassan, die der WDR erst auf Druck als Moderatorin von „Quarks“ ablehnte – dafür entsorgte der Sender sie dann im Schatten der öffentlich-rechtlichen Plattform „Funk“, die meist unter Ausschluss der Öffentlichkeit arbeitet. Wenn sie nicht gerade mal wieder einen Skandal zu verzeichnen hat.
Neben den lokalen Interessen und der politischen Ausrichtung kommt für die Akteure noch ein viel persönlicheres und banaleres Motiv dazu: die eigene Bereicherung. Zum Beispiel der DGB. In den 60er Jahren erkämpfte sich die Arbeiterbewegung das Recht auf Mitbestimmung in den Betrieben. In der Folge müssen in den Aufsichts- und Verwaltungsräten Arbeiter- und Arbeitnehmervertreter sitzen. Das sind oft Mitarbeiter des DGB. Die gehen bevorzugt in die Gremien der öffentlich-rechtlichen Sender. Nicht weil ihnen die Medienpolitik so wichtig wäre. Kaum ein Thema vernachlässigen ARD und ZDF so sträflich wie die Arbeitswelt. Diese Gremien werden einfach besser bezahlt als etwa im Sozialwesen. Manche Räte verteilen auch Vorteile wie etwa ein Dienst-I-Pad. Zwölf Mitglieder hat zum Beispiel der ZDF-Verwaltungsrat – 170.000 Euro an Aufwandsentschädigungen haben diese laut dem Sender 2020 zusammen erhalten. Über 14.000 Euro für Menschen, die in diesen Gremien aufgrund einer anderen Funktion sitzen, für die sie auch schon gut bezahlt werden. Der Geist von Schlesinger ist bei ARD und ZDF nicht auf eine Person begrenzt – und begrenzbar.
Die amerikanische Armee war der Konstrukteur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Warum sich also nicht an der amerikanischen Graswurzel-Demokratie orientieren? Zum einen gehören die Aufsichtsgremien verschlankt. So würden Verantwortlichkeiten erkennbar und ließen sich nicht hinter einem großen Rat verstecken. Zum anderen würden die Gremien nicht mehr die Interessen der Politiker vertreten, sondern die Interessen derer, die den ganzen Bumms bezahlen: der Bürger. Es stünde SPD, Grünen, Linken und CDU selbstverständlich frei, für eine solche Wahl eine Liste aufzustellen von Vertretern, die im Fernsehrat die Sicht durchsetzen wollen: Ein wichtiger Auftrag des Senders sei es, die Bevölkerung vom Gendern zu überzeugen. Diese Liste würde halt gegen eine andere antreten, die als wichtigstes Ziel vorgibt, der Sender solle neutral und objektiv berichten. Es wäre spannend zu sehen, welche Liste gewinnt – wobei, eigentlich nicht.