Tichys Einblick
Serie: Krise der Öffentlich-Rechtlichen

Die Talkshow zeigt die Welt nur als Schatten an der Wand

Der Skandal um die gescheiterte ARD-Vorsitzende Patricia Schlesinger hat den Blick auf die Krise der Öffentlich-Rechtlichen freigelegt. Diese besteht aus vielen ineinandergreifenden Elementen. Eines davon ist das Format Talkshow.

IMAGO

Kriege bringen merkwürdige Phänomene mit sich. Eines davon ist Roderich Kiesewetter. Ein zurecht unbekannter Hinterbänkler der CDU. Das Morden am Don brachte Kiesewetter seine 15 Minuten des Ruhms. Zuerst durfte er im Gefolge von Friedrich Merz nach Kiew reisen. Dann luden ihn die Talkshows ein, um zu erzählen, wie das in Kiew so ist. Im Krieg. Als das schon längst keiner mehr hören wollte, saß Kiesewetter immer noch in Talkshows und ergänzte jeden dritten Satz damit, dass er das wisse, weil er mit Friedrich Merz in Kiew war.

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Talkshows sind wie die Höhle in Platons berühmtem Gleichnis: Dort knien die Menschen gefesselt in einer Höhle mit dem Blick zur Wand. Das Einzige, was sie zu sehen bekommen, sind die Schatten der Menschen, die draußen vorbeigehen. Wenn sie dann aufgefordert werden zu beschreiben, wie die Welt aussieht, schildern sie die Schatten. Wie jeder Vergleich hinkt auch dieser: Die wenigsten sind in Deutschland gefangen, sie könnten ihre Höhle jederzeit verlassen. Doch zwischen 1,2 und 4 Millionen Zuschauer, nur noch selten sind es mehr, entscheiden sich Woche für Woche, Tag für Tag, die Talkshows der ARD und des ZDF zu sehen. Was sie dort wahrnehmen, sind die Schatten der Welt. Erzählt aus dem Mund von medialen Erscheinungen wie Roderich Kiesewetter, der was weiß, weil er mit Friedrich Merz in Kiew war.

Der Ukraine-Krieg ist das beste Beispiel für die Impotenz, die ARD und ZDF erleiden, wenn sie Themen so aufarbeiten sollen, dass sich der Zuschauer ein eigenes Bild machen kann. Der Krieg traf die deutsche Politik vielleicht überraschend. Viel überraschender kam er aber für die Höhlenbewohner, die vor der Wand knien, auf der ARD und ZDF laufen. Als die erste Bombe am Don einschlug, waren die Höhlenbewohner davon überrascht, denn davor waren sie pausenlos damit beschäftigt, sich vor einem Virus zu fürchten. Abend für Abend hämmerte es von der Wand auf sie ein, wie gefährlich der ist. Sodass sie jede Maßnahme letztlich als angemessen empfanden.

Jetzt änderte sich die Wand. Nicht im Prinzip, nur im Thema. Denn ARD und ZDF haben sich längst davon verabschiedet, Informationen liefern zu wollen – so breit wie möglich, so gründlich wie möglich und so vorbehaltlos wie möglich. Stattdessen wollten sie Informationen einordnen; auswählen, was der Höhlenbewohner wissen muss und auch, was er nicht wissen darf. Wer aber führen will, braucht eine Richtung. Das geht besser mit nur einem Thema. Ab dem 24. Februar war das die Ukraine. Zwischenzeitlich. Wenn es sein musste sogar mit Roderich Kiesewetter. Denn der hatte Friedrich Merz nach Kiew begleitet.

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Die Talkshow ist zum bevorzugten Mittel von ARD und ZDF geworden, ihre politische Agenda darzustellen. Wenn eine Moderatorin im Frontalunterreicht der Nachrichten allzu sehr auf die Höhlenbewohner einhämmert, wird schnell offensichtlich, wie inzestuös nahe Einordnen mit Propaganda verwandt ist. In der Talkshow kann man die Verwandtschaft geschickter überspielen – durch eine Inszenierung wie im antiken Drama: Dazu braucht es einen roten Politiker, eine grüne Politikerin, eine grün-rote Journalistin, am besten von der Zeit, und eine Vertreterin einer Nicht-Regierungs-Organisation, die von der Ampelregierung meist haufenweise Geld erhält. Als Alibi wird noch ein Christdemokrat eingeladen. Die sind nah genug an Grün-Rot dran, wahren aber den Schein der Meinungsvielfalt. Charisma müssen sie nicht haben. Roderich Kiesewetter eignet sich ganz gut. Zumal der mit Friedrich Merz in Kiew war.

Dann bekommen die Höhlenbewohner in verteilten Rollen vorgetragen, was sie von der Welt wahrzunehmen haben: Der Westen müsse Russland hart sanktionieren. Deutschland werde das allerdings auch treffen, weil es sich in Abhängigkeit von Russland begeben hat. Dass die kommende Not sozial verträglich gestaltet werde. Dass Russland wegen der Sanktionen früher oder später in die Knie gehen werde. Raum für Zwischentöne gibt es wenig. Und für ein Format wie eine Talkshow spielt die Nachfrage eine erstaunlich unbedeutende Rolle: Wie funktionieren die Sanktionen in der Praxis? Was heißt sozial verträglich? Warum sind wir auf einmal abhängig von Russland? Haben wir nicht vor kurzem noch Donald Trump ausgelacht, Seit’ an Seit’ mit Außenminister Heiko Maas (SPD), weil Trump auf genau die Abhängigkeit hingewiesen hat? Der Zuschauer soll nicht die Welt erkennen können, sondern die Parole des Tages. Die Parole vom Vortag ist schon nicht mehr wichtig.

Doch auch die Talkshow hat einen fundamentalen, strategischen Nachteil für die Höhlenbesitzer. Der Zuschauer lässt sich nur mit einem Thema fesseln: Verbreitet man Panik vor der „absoluten Killervariante“, versichert aber auch, die soziale Krise werde nicht so schlimm, und warnt, es sei das sechste Jahr in Folge, das als letztes das Jahr sei, indem man das Klima retten könne und bestärkt obendrein die Bereitschaft zu Kriegs-Sanktionen – dann hat der Zuschauer schon wieder vergessen, die „absolute Killervariante“ zu fürchten. Während Roderich Kiesewetter erzählte, wie er mit Friedrich Merz in Kiew war, hat Karl Lauterbach (SPD) den Zugriff auf seine Panikgemeinde verloren. Plötzlich waren Niederlagen möglich. Etwa das Nein des Bundestags zur allgemeinen Impfpflicht im April.

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Ein Dilemma. Nach dieser schweren Niederlage der Impfpflicht-Befürworter ARD und ZDF stellten sie um. Dafür mussten die Einordner eine Lebenslüge eingestehen – oder wenigstens praktisch akzeptieren: dass sie nur Ordner und Anheizer sind. Dass der Krieg nicht in der Talkshow entschieden wird, weil sie nicht die Welt ist, sondern nur ein Ort, an dem sich vor einer Wand Kniende die Schatten zur Welt umdeuten. Also suchten die Talkshow-Macher wieder Schutz bei dem Thema, bei dem ihre Methode so gut funktioniert hatte. Das hieß: freie Fahrt für die „absolute Killervariante“ und ihren Zeremonienmeister, Panik-King-Karl.

Zu seinem Amtsantritt hatte Lauterbach versprochen, seine Präsenz in Talkshows runterzufahren und sich auf seine Arbeit als Minister zu konzentrieren. Schon am ersten Abend saß er wieder bei Maybrit Illner – wie ein Junkie, der nicht von seinem Glücksbringer lassen kann. Seitdem war er achtmal in den großen Talkshows. So oft wie kein anderer Regierungsvertreter – nicht mal Robert Habeck (Grüne) – wie es der Focus ausgerechnet hat. Und seine Arbeit als Minister? Statt die Krankenkassen zu sanieren, stopfte Lauterbach für ein Jahr die Löcher mit Krediten, aufgebrauchten Rücklagen und einer Beitragserhöhung für die Versicherten. Der Pflegenotstand interessiert ihn nur als Motiv, das dazu beitragen kann, die Panik vor der „absoluten Killervariante“ zu schüren.

Wie geht es weiter? Erstmal wie gehabt. Zur Krise von ARD und ZDF gehört, dass sie die Krise genau so wenig verstehen, wie sie den Krieg in der Ukraine haben kommen sehen, die Abhängigkeit von Russland oder das Energie-Drama, das uns nun droht. Fällt der Strom aus, hat sich die Debatte um die Öffentlich-Rechtlichen inhaltlich erst einmal erledigt. Ihre Zuschauer müssten die Höhle verlassen. Sie werden die Welt nicht erkennen. Mit den Schatten, die sie gewohnt sind, hat sie wenig zu tun.

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