Dieser Tage schlug Ulrich Deppendorf auf Twitter Revolutionäres vor: „Wie wäre es mit einer 60 minütigen ARD-Sondersendung über die Problematik der Impfpflicht. Mit Pro und Contra !“ So, als ob die Debatte um eine mögliche Impfpflicht nicht schon seit über einem Jahr Thema wäre. Und vor allem so, als ob das Darstellen von Pro und Contra im Journalismus nicht eigentlich selbstverständlich sein sollte. Für die, die ihn nicht kennen. Deppendorf ist kein Querdenker oder einer, der „Lügenpresse“ ruft – er war Leiter und Chefredakteur des ARD-Hauptstadtstudios und Fernsehdirektor im WDR. Nur wenige kennen das Geschäft so gut wie er.
Allerdings ist Deppendorf auch ein Ehemaliger. Und die Kritik am handwerklichen Vermögen des öffentlich-rechtlichen Journalismus kommt derzeit von den Ehemaligen – so wie jüngst von Claus Kleber, der zu seinem Abschied vom „Heute Journal“ meinte: „Ideologie vergiftet den Journalismus.“ Die ehemaligen Journalisten kritisieren die Qualität, die aktiven Journalisten liefern die Gründe für diese Kritik.
So überschrieb tagesschau.de vor Weihnachten einen Beitrag über Servus TV mit: „Ein Sender für Corona-Leugner?“ Das Fragezeichen in der Überschrift ist ein beliebtes Stilmittel unter Journalisten. Allerdings eher von welchen, die sich dem Boulevard verschrieben haben. Sie verwenden es, wenn sie eine Botschaft zuspitzen wollen – sich aber nicht sicher sind, ob ihr Text diese Aussage trägt. In diesem Fall heißt der Autor Srdjan Govedarica, er arbeitet für das ARD-Studio Wien.
Der Sender für Corona-Leugner, wie es Govedarica suggeriert, soll Servus TV sein. Und der ARD-Journalist macht fleißig weiter mit dem, was man vor Gericht Belastungseifer nennen würde: Erst schildert er Demonstranten. „Einige“ – so ungenau bleibt der ARD-Mann – würden „Lügen, Lügen, Lügen…“ skandieren. Deren Feindbild seien auch die Medien, aber Servus TV sei für sie eine Ausnahme – womit er die „Lügen“-Rufer und Servus TV unausgesprochen gleichsetzt.
Govedarica selbst führt zwei Gründe an, die das Label des „Sender für Corona-Leugner“ rechtfertigen sollen. Zum einen hat Servus TV Sucharit Bhakdi eingeladen. Er ist Professor für Medizinische Mikrobiologie und war Leiter des Instituts für Medizinische Mikrobiologie und Hygiene an der Mainzer Gutenberg-Universität. Das erfährt der Leser des Tagesschau-Textes indes nicht. Govedarica stellt Bhakdi seinen Lesern als „Corona-Verharmloser“ vor.
Was wäre, wenn ein Journalist Christian Drosten in einem Text als „Impfpflicht-Befürworter“ oder „Corona-Dramatisierer“ vorstellen würde. Zumindest sähe er sich des Vorwurfs ausgesetzt, journalistisch nicht sauber zu arbeiten und das Gebot der Neutralität zu verletzen. Nichts spricht dafür, Govedarica von diesem Vorwurf zu entlasten. Er hat laut BR.de Medienmanagement und Politikwissenschaft studiert. Das reicht in der ARD offensichtlich schon aus, um zu entscheiden, welcher Wissenschaftler als solcher anzuerkennen ist und welcher durch eine Bezeichnung wie „Corona-Verharmloser“ diskreditiert werden darf und nicht ernst genommen werden muss.
Die ARD habe Servus TV angefragt, aber keine Antwort erhalten. Mit TE hat Wegscheider indes gesprochen: Das Zitat sei von ihm, sagt der Intendant, wenn auch im hinteren Teil leicht verfälscht. Es sei eine Reaktion auf eine Ankündigung österreichischer Politiker gewesen, eine Impfpflicht für Kinder ab fünf Jahren einzuführen. Ein Schritt, vor dem die Weltgesundheitsorganisation WHO noch fünf Monate in einer offiziellen Empfehlung gewarnt hatte.
Solche Widersprüche würden in anderen deutschsprachigen Programmen kaum noch angesprochen: „Die Corona-Berichterstattung der meisten Medien in Deutschland und Österreich widerspricht journalistischen Grundsätzen, insbesondere der journalistischen Pflicht, Dinge kritisch zu hinterfragen.“ Dies sei in einer schwierigen Lage wie einer Pandemie besonders wichtig. Doch in „österreichischen TV-Sendern kommen fast nur Stimmen zu Wort, die auf Regierungslinie liegen. Und das ist in Deutschland – soweit ich das überblicken kann – nicht anders“, sagt Wegscheider.
Der Presseclub Concordia hat nun eine Sachverhaltsdarstellung bei der österreichischen Medienaufsicht KommAustria eingereicht. Generalsekretärin der Concordia ist seit 2019 Daniela Kraus. Davor war sie Leiterin des „fjum_forum journalismus und medien“. Die Weiterbildungsstätte finanziert sich unter anderem durch die Österreichische Presseförderung. Zu den Kooperationspartnern gehört OE1, die Funkwelle des ORF.
In Deutschland war Servus TV bisher ein wenig beachteter Sender, in der TV Spielfilm findet er sich zum Beispiel auf der fünften Seite der Programmankündigungen. Aber in Österreich sind die Privaten eine ernst zu nehmende Konkurrenz, wie es Web.de am 7. Januar analysiert hat: „In Österreich hat der Sender inzwischen einen Marktanteil von 3,7 Prozent.“ ORF1 komme kaum noch über zehn Prozent – und Wegscheider habe als Ziel ausgegeben, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu überholen.
Im Dezember habe die Zahl der Attacken noch einmal deutlich zugenommen und die „offenbar konzertierte Aktion“ sei auch nach Deutschland übergeschwappt. „Die Art und Weise, in der die mediale Kritik gegen ServusTV geführt wird, lässt Motive abseits journalistischer Grundsätze vermuten“, sagt Wegscheider. Das motiviere seine Mitarbeiter. Der Sender betrachte die Angriffe als eine Art Auszeichnung. Denn sein Team und er würden nach journalistischen Kriterien arbeiten: „ServusTV fühlt sich dem Recht der Öffentlichkeit auf Wahrheit verpflichtet und sieht es als seine journalistische Pflicht, gerade in schwierigen Zeiten Dinge kritisch zu hinterfragen. Gerade jetzt sind Meinungsvielfalt und Diskussion wichtig.“ Freie Diskussion und Meinungsvielfalt zu fördern und alle Perspektiven zu vertreten, sei eine bewusste Positionierung von Servus TV. Andere Medien würden Impfkritiker und Regierungsgegner seit Monaten nicht mehr zu Wort kommen lassen.
Der Vorwurf des Rechtsdralls und der „Einstiegsdroge für Corona-Leugner“ entspricht für Wegscheider einer Masche: „Der Vorwurf entspricht der gängigen Praxis der Mainstream-Medien beziehungsweise dem Narrativ, jede von der Regierungslinie abweichende Kritik pauschal als Verschwörungstheorie zu diffamieren.“ Auch der Untersuchung der KommAustra sieht er gelassen entgegen: „Inhaltlich ist die Beschwerde substanzlos, zumal sie mehrfach von falsch berichteten Fakten in der ‚Berichterstattung‘ spricht, aber ausschließlich auf die Sendung ‚Der Wegscheider‘ abzielt.“
Die Sendung sei ein persönlicher Kommentar zum Zeitgeschehen und ausdrücklich als solcher gekennzeichnet: „Aus rechtlicher Beurteilung müsste die Beschwerde umgehend abgewiesen werden.“ Das Motiv des Presseclubs sei offensichtlich: „Wenn es nach dem – mit klarer politischer Schlagseite ausgerichtetem – Vereinsvorstand des Presseclubs geht, soll ServusTV die Zulassung entzogen und damit eine kritische Stimme mit steigender Reichweite zum Schweigen gebracht werden.“