„Vergiftete Beziehungen – wie umgehen mit Putins Russland?“ – so jedenfalls wurde im Vorfeld von Hart aber fair das Thema der Sendung u.a. von der Augsburger Allgemeinen angekündigt. Sind solche Wortspielchen angesichts eines schwer vergifteten Kritikers des russischen Präsidenten angebracht? Wobei eine These im Raum steht: Im Zweifel war’s immer der Russe.
Interessanter wenn auch wenig überraschend ist sowieso, welche groteske Schlagseite die Runde dazu bei Plasberg hat, wo der Oppositionsführer im deutschen Bundestag, dessen Abgeordnete ja eine mindestens ergebnisoffene Haltung zu Wladimir Putin haben, ebenso, wie sie zum Nordstream-2-Projekt stehen, wieder einmal nicht eingeladen wurden.
Stattdessen ist mit Annalena Baerbock erneut eine grüne Politikerin zugegen – zum einen, als Vertreterin einer Partei, die via Katrin Göring-Eckardt gerade zur Genüge erklärt hat, dass sie nichts mehr von der Pipeline aus Moskau hält und offensichtlich lieber das Gas der USA über den Atlantik schippern lassen möchte. Denn darum geht es ja wohl, wer das große Geschäft macht mit Merkels Energiewende. Wir steigen aus Kohle aus und in Gas ein; beides nicht erneuerbare Energieträger, die Klimagase ausstoßen beim Verbrennen und über Tausende von Kilometern transportiert werden müssen. Wir vertreiben Schmutz mit teurem Schmutz, das ist Merkel-Logik; und jetzt geht es darum, wer liefern darf.
Theo Sommer darf den Senior-Journalisten spielen, es sei ihm vergönnt, denn Wirtschaftsminister Peter Altmaier darf ja auch zum x-ten mal. Man munkelt, sein Sitz bei Hart aber fair trüge schon ein kleines Messingschildchen mit seinem Namen drauf, so oft wie Altmaier schon im Öffentlich-rechtlichen Talkshowzirkus den Erkläraugust für die Bundesregierung gegeben hat und vor allem: geben durfte und wollte. Er ist Merkels Fachmann, wenn es darum geht, den Kopf hinzuhalten. Dafür braucht man wahrlich ein dickes Fell. Und Altmaier hält hin.
Der Schriftsteller und Diskjokey Wladimir Kaminer darf auch dabei sein. Der kommt ursprünglich aus Russland und soll den Russlandintimus geben. Udo Lielischkies war lange Jahre Leiter des Moskauer Büros der ARD, kann er Licht ins Dunkel bringen mit oder ohne russische Gaslaterne?
Plasberg meint in seiner Anmoderation, dass, sollte die Pipline ad acta gelegt, werden, könnte das ein „empfindlicher Schlag gegen den Devisensammler Putin“ sein.
„Ist der Präsident ein skrupelloser Herrscher, der Feinde aus dem Weg räumt und Nachbarn bedroht?“, fragt Plasberg. Ist das tatsächlich die nahe liegende und beste Frage? „Geht Wirtschaft vor Moral, müssen wir uns mit Russland arrangieren?“, will der Moderator weiter wissen.
Jedenfalls wurde Nawalny schwer verletzt und sollte wohl (sicher?) zu Tode kommen nach einer ihm irgendwie verabreichten Dosis eines aufwendig hergestellten Nervenkampfstoffs, der in Russland entwickelt worden sein soll. Angela Merkel fordert die russische Regierung auf, sich dazu zu erklären. Es gäbe Fragen, „die nur die russische Regierung beantworten kann und beantworten muss.“
Annalena Baerbock verhaspelt sich gleich zu Beginn, als sie erklärt, die Pipeline müsse gestoppt werden auch deshalb, weil sie Europa spalte (sie meint die Energiewende). Der Anschlag auf Nawalny hier also doch nur gefundenes Fressen, eine alte Forderung neu aufzuladen?
Für Udo Lielischkies ist der Nachweis des Nervenkampfstoffes klare Botschaft des Kremls als Warnung: Seht her, dass machen wir mit unseren Kritikern (Old School der Moskologie).
Plaberg feixt und lächelt diese ersten Minuten der Sendung, als befände er sich im vierten nie gedrehten Teil des Hollywood-Blockbusters „Der Pate“ – unangenehm, denn immerhin schwebte hier ein Mensch akut in Lebensgefahr.
Wladimir Kaminer erinnert an die gängige Praxis, sich in Russland seiner Gegner zu entledigen. Ihn wundert, „warum darum ausgerechnet jetzt so viel Aufsehen gemacht wird“. Und er sieht die westlichen Demokratien als Mitschuldige, denn ohne die Wirtschaftsbeziehungen zu Russland wäre das Land längst am Ende. Klar, auch er möchte offensichtlich, dass Nordstream-2 beendet wird. Aber wir dürfen wetten, dass wollte er auch schon vor dem Attentat auf Nawalny.
Theo Sommer sieht in der Tat aufs Neue die Skrupellosigkeit des russischen Machtapparates bestätigt. Weiß er schon mehr oder ist das eine Indizienverurteilung möglicherweise zu Recht (oder einfach auch nur Old School der Moskologie)? Ja, Sommer will auch Sanktionen, aber ein Ende von Nordstream-2 wäre eher „ein Schuss ins eigene Bein.“
Annalena Baerbock: Der Eindruck von ihr ist wieder der einer Halbwüchsigen, die vollkommen überraschend noch über die Schlafenszeit hinaus am Tisch der Erwachsenen mitreden darf und sich darüber eins ums andere Mal ganz erschrocken über die Gelegenheit und auch aus massivem Substanzmangel verhaspelt.
Theo Sommer meint, wer Nordstream-2 abschalten will, der müsste eigentlich dann folgerichtig auch Nordstream-1 abschalten.
Wladimir Kaminer findet die Diskussion bigott, so erinnert er daran, dass die deutsche Kanzlerin Putin gerade ganz Weißrussland in den Rachen geschoben hätte „ohne mit der Wimper zu zucken.“
Annalena Baerbock redet und Peter Altmaier meldet sich derweil mit dem Finger der erhobenen Hand bei Lehrer Plasberg zu Wort, zu verführerisch war wohl für den Moment das Gefühl, sich wieder in der Schule zu befinden. Ach, hätte er doch noch mit den Fingern geschnipst. Altmaier sagt, er kenne kein Land der Welt, wo Sanktionen schon einmal etwas gebracht hätten. Dann erzählt er von Sanktionen, die er mit getragen hätte und Baerbock merkt den Widerspruch.
Baerbock und Kaminer sind auf einer Wellenlänge, so oft wie die Grüne lächelt, wenn der Autor referiert. Der Deutsch-Russe schlägt vor, das Gas, welches irgendwann vielleicht durch die unfertige Pipeline fließt, „Gutes-Gewissen-Gas“ zu nennen. Dann nämlich, wenn der Westen fordern würde, politische Gefangene im Gegenzug für die Inbetriebnahme der Pipeline freizulassen. Was für ein Niveau.
Zum Verhältnis zwischen Minsk und Moskau, Lukaschenko und Putin darf jeder seine Einschätzung dazu abgegeben und sei sie auch noch so Banane. Nichts bleibt wirklich hängen, jeder in seiner Gedankenwelt und Selbstverliebtheit gefangen. Kaminer ist dabei der Emotionale, der Russe in Deutschland, den er in seinen Büchern oft noch so sympathisch ausgemalt hat. Aber hilft das wirklich, dem trotz alledem möglicherweise irgendwie noch interessierten Zuschauer irgendeine Klarheit zu schaffen?
Die eingeblendeten Zuschauerkommentare wünschen teilweise erst einmal eine bessere Beweislage, bevor Russland verurteilt wird. Tatsächlich kommt diese Einschränkung in der Runde zu kurz, wo es die überwiegende Zeit um Sanktionen ging.
Udo Lielischkies sagt noch etwas Komisches, er meint, Korruption würde Russland kaputt machen. Über die Wirkung von Sanktionen verliert er in dem Zusammenhang kein Wort, nicht über bestehende und nicht über kommende. Und auch nicht darüber, wen diese Sanktionen zu erst treffen würden. Theo Sommer philosophiert noch ein wenig darüber, was passieren würde, wenn Nawalny irgendwann russischer Präsident wäre. Seiner Meinung nach nicht viel.
Altmaier sagt dann ziemlich zum Schluss einen Satz über Putin, der bezeichnend ist für das Niveau vieler Beiträge dieser Sendung: „Wir können nicht in die Glaskugel schauen und wissen ob er nun noch zwei oder zwanzig Jahre an der Macht ist.“ Plasberg bedankt sich für die „vielen klugen Gedanken.“ Ja, es wäre möglicherweise erfrischend gewesen, von diesen etwas zu erfahren. Aber wenn sie doch da gewesen sein sollten, haben sie die Denker leider für sich behalten.