Der Titel der neusten Illner-Sendung lautet: „Deutschland ausspioniert – Vertrauen verspielt?“. Ob sich das reimen sollte? Ein solcher unreiner Reim fand sich zu Beginn der Sendung nochmal, als es hieß: „Deutschland blamiert, Putin jubiliert“. Die Ankündigung der Sendung liest sich derweil wie ein Haiku: „Olaf Scholz scheint blamiert, die westlichen Alliierten desavouiert und die Ukraine massiv verunsichert. Putins Lauschangriff gegen die Bundeswehr destabilisiert auf mehreren Ebenen.“ Ob die Gästeliste – bestehend aus Kevin Kühnert, Roderich Kiesewetter, Daniel Cohn-Bendit, Carlo Masala und Sarah Pagung – ebenfalls ein Gedicht ist, können Sie gern für sich entscheiden.
Mir war schon klar, als einen Tag nach der letzten Illner-Sendung am 1. März die Taurus-Leaks veröffentlicht wurden, dass dies das Thema der nächsten Sendung sein würde. Zwar ist sie nun eine Woche später, in der nun wirklich bereits alles dazu gesagt wurde, also etwas sehr „late to the trend“, wie man in meiner Generation sagen würde. Doch das ist für Maybrit Illner noch absolut „on theme“. Ich verspreche, das war’s jetzt mit dem Englisch. Wir melden uns jetzt also eine Woche später mit einem für die Branche uralten Thema zurück, mit Carlo Masala wird der Zuschauerschaft sogar ein Teil der Gäste der letzten Woche wieder vorgesetzt. Hat Illner keine Lust mehr? Ist das der Grund, weshalb sie dieses unpassend jugendliche Puffärmeloberteil in pastellgelb angezogen hat: um von ihrer Lustlosigkeit abzulenken?
Daniel Cohn-Bendit soll angeblich Grünen-Politiker sein – das kann allerdings nicht stimmen, ich habe ihn zu 100 Prozent als den Synchronsprecher von Bugs Bunny identifiziert. Allerdings legt ein Artikel von Correctiv aus dem Jahre 2019 nahe, dass es sich bei ihm tatsächlich um einen Grünen-Politiker handelt. Man räumte darin ein, das Zitat von ihm, das zu der Zeit auf Facebook rumgeisterte, in dem er es als „wahnsinnig erotisches Spiel“ bezeichnete, wenn ein fünfjähriges Mädchen sich auszieht, sei tatsächlich echt und wirklich von ihm. Solche Typen muss man natürlich wieder heraus kramen und ins Fernsehen setzen, auch wenn Cohn-Bendit seit mindestens einem Jahrzehnt – er war bis 2014 EU-Abgeordneter – keine Relevanz mehr hat.
Cohn-Bendit ist ganz Feuer und Flamme für die Lieferung der Taurus, das ist in der Sendung allerdings kein Alleinstellungsmerkmal. Er ist stattdessen dafür zuständig, die Lyrik wieder in die Sendung zu bringen, indem er so ausgelutschte Sätze sagt wie: „Die Ukrainer sind teilweise ausgeblutet. Viele können nicht mehr.“ Oh, wenn ich doch einen Cent bekommen würde für jedes Mal, dass jemand bei Illner haargenau diese Sätze sagt. Dann könnte ich mir vielleicht gerade mal ein Gummibärchen am Kiosk kaufen, aber es ist doch seltsam, dass sich die Crème de la Crème der Politikelite, die Illner wöchentlich zusammentrommelt, nicht mal ein neues Sprachbild ausdenken kann.
Roderich Kiesewetter (CDU) schüttelt bei diesen Äußerungen wiederholt energisch den Kopf. Er hält an seiner „whatever it takes“-Strategie in der militärischen Unterstützung der Ukraine fest. Wenn Russland uns ohnehin schon als Feind sieht, „sind wir doch lieber ein starker Feind als ein schwacher Feind“. In die Haare kommen Kiesewetter und Kühnert sich, als die Debatte beginnt, ob Deutschland denn genug tue. Kühnert betont wiederholt, dass Deutschland weltweit der zweitgrößte Unterstützer der Ukraine sei. Er stört sich massiv daran, dass Länder wie Frankreich oder Großbritannien andauernd so tun, als würde Deutschland gar nichts tun, nur weil es zögert.
Kiesewetter kann mit dieser Zahl gar nichts anfangen. Sie käme überhaupt nur durch den finanziellen Aufwand für die Aufnahme und Versorgung der ukrainischen Flüchtlinge zustande. Militärische Unterstützung mache von der deutschen Aufwendung „lediglich sieben Milliarden Euro“ aus. Würde man dies auf das Bruttoinlandsprodukt hochrechnen, würde Deutschland im Vergleich nur noch auf dem 15-ten Platz stehen. Das weckt in Kühnert den Sozialdemokraten: Ob Kiesewetter nicht auch im Bürgerdialog die Sorgen und Ängste der Wähler mitbekommen würde, fragt er ihn. „Wie klingt denn eine Bemerkung wie ‚lediglich sieben Milliarden Euro‘ für diejenigen, die von den Sparbeschlüssen der Bundesregierung Ende des vergangenen Jahres betroffen gewesen sind?“
Das Ironische daran ist doch, dass Olaf Scholz nun in dem Bett liegen muss, das er sich selbst gemacht hat. Wie war das noch mit den „gefallenen Engeln aus der Hölle“? Bevor Olaf Scholz selbst zum Putinversteher betitelt wurde, weil er mit der Taurus so zögert, war er derjenige, der dies – in biblischem Ausmaß, muss man sagen – anderen an den Kopf warf, die die Flagge schwangen, derer er sich nun für den nächsten Wahlkampf bedient. Ironisch ist auch, dass während Kiesewetter und Cohn-Bendit sich so euphorisch für den Einsatz der Taurus in der Ukraine einsetzen und schon planen, worauf man sie richten sollte – überzeugt davon, dass dies die Wunderwaffe ist, die den Krieg entscheiden wird –, ausgerechnet Masala, der Experte betont, dass die Taurus eben nicht kriegsentscheidend ist.
Er hat schon mehrmals in den verschiedenen Talkshow-Auftritten betont, dass das große Problem der Ukraine die mangelnde Munition ist. Nichtsdestotrotz besteht auch er auf die Lieferung der Taurus an die Ukraine. Sein Argument: Die anderen Länder sehen sonst, dass Deutschland zögert und tun es ihm gleich. Deutschland dürfte damit das einzige Land sein, dem es gelingt, einerseits peinlicher Nachzügler und großer Vorreiter zu sein. Aber wem sollen all die kleinen Feinheiten schon auffallen? Es haben doch eh alle schon seit der Tagesschau abgeschaltet.