Schon vor rund sechs Wochen hatte der Privatsender „RTL“ – nach einer Überprüfung etlicher Sendebeiträge – darüber informiert, dass ein Reporter des Regionalsenders „RTL Nord“ (eine hundertprozentige Tochter von „RTL Köln“) im Verlauf von etwa zwölf Jahren sieben Film-Beiträge für das nationale „RTL“-Programm teils gefälscht hat. Daraufhin wurde der 39-jährige Journalist entlassen. „RTL“ selbst leitete umgehend eine weitere, umfassende Überprüfung aller Beiträge des ehemaligen Mitarbeiters ein.
Ein sechsköpfiges Prüf-Team hat in den vergangenen Wochen sämtliche 104 Reportagen des Reporters analysiert, die primär für das bundesweit ausgestrahlte „RTL“-Mittagsjournal „Punkt 12“ gedreht worden waren. Ergebnis: 14 weitere Manipulationsfälle wurden aufgedeckt. Es gibt allerdings noch andere Verdachtsfälle, die jetzt eingehend überprüft werden sollen.
Drei konkrete Fälle
Ein erster Hinweis auf die Manipulation war am 15. Mai bei der Geschäftsführung des TV-Senders eingegangen. Einer Mitarbeiterin waren einige Unstimmigkeiten in einem Beitrag über Codein-Missbrauch aufgefallen. Die angeblichen Fakten in dem gesendeten Film stimmten nicht mit dem gedrehten Rohmaterial überein.
Bei einem weiteren Beitrag nutzte der Fälscher mehrere Passagen aus einem Dreh mit der Musikerin Melanie C. für seine Manipulationen. Im zweiten Film ging es um das Thema „Desinfektionsmittel“. Hier wird zu einer Filmpassage behauptet, dass sich Melanie C. gerade die Hände desinfiziere. In Wirklichkeit, so stellt sich nun heraus, zeigen die Bilder, wie sich die Musikerin Hände und Unterarme mit Feuchtigkeitscreme eincremt.
Nach welchen Grundmustern wurde gefälscht?
Folgende primäre Manipulations-Methoden sind laut „RTL“ immer wieder angewendet worden:
Der scheinbar seriöse Journalist überredete mehrfach Personen dazu zu behaupten, ihnen seien Dinge widerfahren, die sie selbst in Wirklichkeit nie erlebt hatten. Dabei hatten diese Personen Geschichten „nachzuerzählen“, die der Reporter von anderen Personen erfahren hatte, die aber nicht selbst gefilmt werden wollten. Dabei wurde oftmals „verdeckt“ gedreht.
- Der RTL-Mitarbeiter gab vor dem Film-Dreh gegenüber Protagonisten an, geschilderte Szenen nur nachstellen zu wollen. Später wurden diese Sentenzen aber als „echte“, verfremdete Szenen in die Filmbeiträge eingebunden.
- Darüber hinaus nutzte der Reporter häufig Archivbilder, um seine aufgestellten Thesen „zu untermauern“ und seine Filme so attraktiver zu gestalten. Statt diese Methode kenntlich zu machen, wurde dem Fernsehzuschauer mehrmals vorgegaukelt, die Bilder seien frisch gedreht worden.
Michael Pohl, Programmchef und Geschäftsführer von „RTL Nord“, erklärte zu dem Skandal eher beschwichtigend:
„Die von uns geprüften Beiträge waren im Gesamtkontext zwar nicht erfunden, aber handwerklich und inhaltlich sehr geschickt dahingehend manipuliert, dass sie aufregender und größer wirken sollten, als es die Realität hergab. Damit hat der Reporter ganz bewusst rote Linien des überschritten. In logischer Konsequenz haben wir mit sofortiger Wirkung die Zusammenarbeit beendet.“
Nun ist laut „RTL“-Chefredaktion in Köln geplant, zusätzliche Kontrollmechanismen im Sendebetrieb zu installieren. So soll es bei „RTL“ künftig eine „Optimierung der Bestell- und Abnahmeprozesse durch das Qualitätsmanagement von ‚infoNetwork’“ geben, und zwar ergänzend zur Überprüfung durch den jeweils zuständigen und sendungsverantwortlichen „CvD“ (Chef vom Dienst): Demnach ist zukünftig vorgesehen, dass ein Team von wechselnden Mitarbeitern stichprobenartig Fernseh-Beiträge überprüft und diese dazu auch mit dem jeweils vorliegenden Rohmaterial vergleicht. Außerdem: Mitarbeiter sollen ebenfalls anonym Hinweise auf Unregelmäßigkeiten geben können; hierzu soll ein Extra-Postfach eingerichtet werden.
Die Dunkelziffer ist hoch
Der Fall des „RTL“-Fälschers erinnert an den Fall des „Claas Relotius“, der zahlreiche gefälschte Reportagen für den „Spiegel“, aber auch zum Beispiel für die „Zeit“ und die „Süddeutsche Zeitung“ geschrieben hat. Aber es gibt weitere bekannt gewordene Fälschungen ebenfalls im Bereich Fernsehen – etwa beim öffentlich-rechtlichen „WDR“. In einigen Folgen der „WDR“-Dokureihe „Menschen hautnah“ haben sich etliche „Fakten“ als falsch herausgestellt. Der Sender hat personelle Konsequenzen gezogen und sich von der verantwortlichen Autorin getrennt.
Doch die Dunkelziffer bleibt offenbar hoch. Für viele Fernsehbeobachter wird ebenfalls mit zahlreichen Sendungen der „Scripted Reality“ – oftmals handelt es sich um Serien – zumindest indirekt der Eindruck vermittelt, es gehe um Aufnahmen realen Geschehens in der Gesellschaft. In Wirklichkeit wird nach genauen Regieanweisungen und detaillierten Drehbüchern gefilmt, geschrieben von Autoren, die sich die angeblich realen Fälle schlicht ausgedacht haben. Ein Trash-TV-Autor dazu vielsagend: „Fette faule Mütter ziehen immer.“ Im besten Fall geht es bei dieser Art von Manipulationen etwa darum, tatsächliche Geschehnisse nachzustellen.
Dr. Manfred Schwarz ist Politologe. Er war jeweils acht Jahre Medienreferent in der Hamburger Senatsverwaltung und Vizepräsident des nationalen Radsportverbandes BDR [Ressort: Medien] sowie Mitglied des Hamburger CDU-Landesvorstandes.