Roald Dahl gilt im angelsächsischen Raum als einer der führenden Kinderbuchautoren. Er hat mehr als 200 Millionen Bücher verkauft und prägte mit Bestsellern wie „Charlie und die Schokoladenfabrik“, „Matilda“ und „Hexen hexen“ die britische und amerikanische Popkultur. Sowohl in seinen letzten Lebensjahren wie auch posthum hatte Dahl eine Debatte um seine Person entfacht, die sein Andenken trübten; so gab die Royal Mint keine Gedenkmünze zu seinem 100. Geburtstag aus, weil es sich um einen Autor handele, der mit Antisemitismus „assoziiert“ sei.
Puffin hatte „sensitivity readers“ angeheuert, um anstößige Passagen zu sichten und diese umzuschreiben. Die Aufgabe eines solchen Prüfers: Er soll verhindern, dass sich andere Personen verletzt fühlen. Mitglieder „marginalisierter Gruppen“ werden dabei bevorzugt als „sensitivity reader“ eingesetzt, um Mikroaggressionen aufzuspüren. Der Autor hat schließlich eine gesellschaftliche Aufgabe. Und der benevolente Hirtenhund der Wokeness muss den Schreiberling mit Gewalt zurechtschreiben, wenn dieser nach freundlicher Mahnung nicht spurt – oder bereits unter der Erde liegt und sich nicht wehren kann.
Dabei spielen nicht nur die üblichen Themen wie Rassismus und Sexismus eine Rolle. Bereits Witze über Fettleibigkeit sind problematisch – obwohl man angesichts der wachsenden Zahl von übergewichtigen Personen in westlichen Ländern kaum von einer marginalisierten Gruppe sprechen kann. Doch das ist zweitrangig. Dahls skurrile, übergewichtige Gestalten dürfen nicht mehr als solche benannt werden. Das Wort „fat“ ist sogar gänzlich verschwunden. Augustus Gloop aus der „Schokoladenfabrik“, der Prototyp des verfressenen Jungen, darf nun nur noch als „enormous“ betitelt werden. Das ist nicht die einzige Änderung in der Fabrik. Denn das orange Pygmäenvolk der Oompa Loompas, die im Englischen früher „small men“ hießen, sind nun geschlechterneutrale „people“.
Dahl, dessen Markenzeichen die Groteske ist, erleidet auch an anderen Stellen eine Verharmlosung und Abstumpfung. Das „großartig-pferdegleiche Gesicht“ von Miss Trunchbell (deutsch: Fräulein Knüppelkuh) aus Matilda ist nur noch ein „Gesicht“. Matilda liest auch nunmehr Jane Austen statt Rudyard Kipling, um den Autor der „Bürde des Weißen Mannes“ nicht zu sehr in den Mittelpunkt zu rücken (und gleichzeitig einen merkwürdigen Beitrag zur Wiederentdeckung konservativer Rollenmodelle Vorschub zu leisten).
Laut Daily Telegraph sind auch solch groben Worte wie „crazy“ und „mad“ verschwunden; offenbar, um Menschen mit geistiger Verwirrung nicht zu beleidigen. Der Mantel des Riesen darf nicht mehr schwarz sein und die Gesichter der Protagonisten nicht mehr weiß anlaufen – auch darin könnten Mikroaggressionen stecken.
Der Vorgang macht zugleich deutlich, dass nicht nur das Zeitalter angeblicher Unsensibilität vorbei ist. Den Kinderbüchern wohnt eine fast montypythonesque Anarchie inne. Fräulein Knüppelkuh ist olympische Hammerwerferin und wirbelt die Kinder an den Zöpfen durchs Zimmer. Die Betonung des formidablen Pferdegesichtes ist demnach keine bloße Überstrapazierung, sondern eine physiognomische Warnung vor dem Wesen. Die Lebendigkeit, die solchen Beschreibungen innewohnt, geht verloren. Zuletzt ist die vermeintlich bunte und diverse Welt, in der die Tugendwächter leben, so schrecklich grau wie der von Dahl gezeichnete Alltag mancher Kinder, bevor sie aus diesem endlich ausbrechen können, um Abenteuer zu bestehen. Doch was will man auch von Zensoren erwarten, die den draufgängerischen Kipling gegen die brave Austen eintauschen?