Tichys Einblick
„Wucherähnlich“

Arbeitsgericht kassiert ARD-Gehälter: Höhe schlicht „sittenwidrig“

Eine Ex-Direktorin will ein Millionen-Ruhegeld vom RBB einklagen. Doch das Gericht erklärt stattdessen ihren gesamten Arbeitsvertrag für unwirksam. Die juristische Aufarbeitung des Berliner Zwangsgebührenskandals wird jetzt richtig spannend.

IMAGO

„Da ist einfach Geld verschwendet worden.“ Was der Zwangsgebührenzahler sowieso schon vermutete, hat jetzt genau so auch ein Richter festgestellt. Es ist damit aktenkundig: Beim Rundfunk Berlin-Brandenburg RBB haben die sogenannten Führungskräfte die Kohle munter zum Fenster hinausgeworfen.

Und ein beträchtlicher Teil davon landete dann in den Taschen der Geschäftsleitung.

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Nachdem bekannt geworden war, welchen unfassbaren Luxus sich Patricia Schlesinger als Intendantin vom RBB hatte bezahlen lassen, wurde die Dame bekanntlich gefeuert. Im Zuge weitergehender Untersuchungen wurde dann eine nicht für möglich gehaltene Infrastruktur der kollektiven Selbstbedienung in der Geschäftsleitung des Mini-Senders aufgedeckt.

Mehrere Direktoren mussten ebenfalls gehen. Deren Unrechtsbewusstsein hält sich in Grenzen: Mehrere haben den RBB verklagt, weil er den (ja nicht etwa grundlos) Gefeuerten einst vertraglich festgelegte hohe Summen nicht mehr auszahlen wollte.

Unter ihnen ist auch die frühere Juristische Direktorin Susann Lange. Trotz ihres Rauswurfs schuldet ihr der RBB laut Arbeitspapier in den kommenden Jahren Ruhegelder in Höhe von 1,8 Millionen Euro (!). Die neue Führung des Senders – der schon seit vielen Jahren für seine Fernseh- und Radioprogramme praktisch kein Geld mehr hat – will nicht zahlen. Lange pocht auf Vertragserfüllung.

Also hat man sich jetzt vor dem Berliner Arbeitsgericht getroffen. Dort ist Bemerkenswertes passiert: Das Gericht hat den Arbeitsvertrag der früheren Führungskraft für ungültig erklärt. Denn die festgeschriebenen, äußerst üppigen Versorgungsansprüche sind – Zitat: „sittenwidrig“.

Für den juristischen Laien klingt das recht harmlos. Tatsächlich ist es eine kleine Sensation.

Und es ist die zweite Sensation binnen kurzer Zeit. Vor kurzem wollte auch der frühere Verwaltungsdirektor Hagen Brandstäter Geld vom RBB einklagen. Schon bei ihm hatte das Berliner Arbeitsgericht die Ruhegeldregelungen für sittenwidrig erklärt und deshalb seinen Arbeitsvertrag komplett in die Tonne getreten – nicht etwa einzelne Teile des Vertrags, sondern den Vertrag insgesamt.

„Ich habe keinen Fall im Arbeitsrecht gefunden, in dem das in dieser Form schon einmal passiert wäre.“ Das sagt der Arbeitsrechtler Wolf Reuter. „Absolut exotisch“ sei das Urteil. „Sittenwidrig – das ist die größte Ohrfeige, die du bekommen kannst“, ergänzt sein Kollege Pascal Croset. „Das ist sozusagen rechtswidrig hoch zehn.“

Brandstäter und Lange waren in ihren Funktionen zentral für korrekte Arbeitsverträge beim RBB verantwortlich, zusammen mit der früheren Personalchefin Sylvie Deléglise. Die war mit Susann Lange verheiratet. Getraut wurden beide von Pfarrerin Friederike von Kirchbach, damals Vorsitzende des RBB-Rundfunkrats. Man bleibt halt gerne unter sich. Jedenfalls, ausgerechnet die Verträge von Brandstäter und Lange hat das Gericht jetzt förmlich in der Luft zerrissen.

Langes Vertrag zum Beispiel sicherte ihr ab dem Tag ihres Ausscheidens ein lebenslanges Ruhegeld zu: die besagten 1,8 Millionen Euro bis zum offiziellen Renteneintritt. Zusätzlich hätte die 50-Jährige jedes Jahr bis zu 100.000 Euro verdienen dürfen, die nicht auf das Ruhegeld angerechnet werden sollten.

Das Gericht ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Ein normaler leitender Angestellter in Langes Einkommensklasse könne nach 19 Jahren mit einer Abfindung in Höhe von etwa 150.000 Euro rechnen – nur ein Zehntel des Ruhegehalts der kommenden Jahre, das Lange sich in ihren Vertrag hatte schreiben lassen.

Es handele sich um ein „wucherähnliches Rechtsgeschäft“. Die Leistungen des Senders stünden in einem groben Missverhältnis zur Gegenleistung: „zu günstig für die Klägerin und zu teuer für den RBB“. Der komplette Arbeitsvertrag sei deshalb null und nichtig.

Formal musste über Langes Klage auf Erfüllung ihres Arbeitsvertrags also gar nicht mehr entschieden werden, weil der Vertrag ja unwirksam ist. Das Gericht ließ es sich trotzdem nicht nehmen darzustellen, dass es gleich mehrere Versäumnisse von Lange als absolut ausreichend für eine fristlose Kündigung angesehen hätte.

Einmal ließ Lange es zu, dass einem unliebsamen Mitarbeiter die Kündigung mit 880.000 Euro „Übergangsgeld“ schmackhaft gemacht wurde. Ein anderes Mal ließ sie sich selbst eine Zulage für den ARD-Vorsitz zahlen – schon ein halbes Jahr, bevor der RBB den Vorsitz überhaupt übernahm. Dieses Geld muss sie jetzt an den Sender zurückzahlen.

Ob Lange und Brandstäter mit ihren Klagen bis vor das Bundesarbeitsgericht gehen, haben sie noch nicht gesagt. Bis zu einem höchstrichterlichen Urteil könnten dann noch gut anderthalb Jahre vergehen.

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Die Grundsätze von Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit gelten nicht nur für Behörden, sondern ausdrücklich auch für den RBB. Das haben die Rechnungshöfe von Berlin und Brandenburg erst kürzlich noch einmal unmissverständlich klargestellt.

In diesem Zusammenhang gewinnt das Berliner Urteil noch einmal ein ganz besonderes Gewicht. „Wir haben es zu tun mit einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt“, hat Richter Simon Coenen gesagt.

Dessen Aufgabe bestehe „nicht in erster Linie darin, hohe Gehälter zu zahlen“.

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