Schön, mal wieder einen Text mit einem „Herrje“ anfangen zu dürfen. Also: Herrje, was für ein Durcheinander drapiert um eine eigentlich banale Talkshow am Montag. Plasberg verhedderte sich in „Hart aber fair“ in den unendlichen Weiten einer immer komplizierter werdenden bundesdeutschen Gegenwart.
Zunächst sollte es nur mittelkompliziert werden, weil Plasberg Redaktion beschlossen hatte, eine Dokumentation zu diskutieren, die bereits um 20:15 Uhr ausgestrahlt wird, also unmittelbar vor der Talkrunde. Nun gut, das bindet zum einen den Zuschauer noch eine Stunde länger an den Sender und diese Kombination verspricht hohe Einschaltquoten.
Die Doku heißt „Das Mädchen und der Flüchtling“. Aufgearbeitet werden sollen die beiden Messerattacken auf Mädchen in Kandel und Darmstadt im Dezember 2017. In beiden Fällen ist der mutmaßliche Täter ein jugendlicher Flüchtling aus Afghanistan. Plasberg „Hart aber fair“ folgt unmittelbar mit der Überschrift „Flüchtlinge und Kriminalität“.
Diese direkte Bezugnahme sorgte für „Hohn und Spott im Netz“ – genauer in dem Teil des Netzes, auf den die Scheinwerfer der Leitmedien gerichtet sind, wenn es darum geht, die gutmeinende Seite des Landes wohlwollend auszuleuchten. Plasberg bekam dort die Höchststrafe, die Twitterscharfrichter zur Verfügung haben: Den solitären Hashtag. Hier heißt er: #AlternativefürPlasberg und er wurde bis kurz vor Sendebeginn zu so etwas wie einem kleinen Shitstorm.
Nun sind Reaktionen auf Schittstürme oft interessanter als der Shitstorm selbst. Die hart-aber-fair-Redaktion muss nicht lange überlegt haben, wie sie den Vorwurf der Anti-AfD-Themen-Seilschaft wegbiegen kann: selten war die Gelegenheit so günstig. Na klar irgendwas mit Gauland. Plasberg verkündet: Den laden wir nicht mehr ein.
Nun also übergangslos „Das Mädchen und der Flüchtling“. Kommt Ihnen bekannt vor? Ja, hatten wir so ähnlich schon einmal, als Kika Drei- bis Dreizehnjährigen Zuschauern Malvina und Diaa vorstellte, eine minderjährige Deutsche und ihr erwachsender syrischer Freund, der erklärte „Du bist ein Geschenk Allahs“. Aber damals ging es um Liebe, die folgenlos blieb. In „Das Mädchen und der Flüchtling“ geht es konkret um zwei Mädchen und zwei Flüchtlinge. Eines der Mädchen ist tot, das andere wurde schwer verletzt, beide Lungenflügel durchstochen, ein weiterer Stich nur knapp am Herzen vorbei. Beide machten Bekanntschaft mit den Messern ihrer afghanischen Freunde, die zuvor nach Deutschland eingewandert waren.
Stecken hinter den Taten von Darmstadt und Kandel „mehr als Einzeltaten?“, fragen die Autoren Christian Gropper und Kai Diezemann gleich zu Beginn. Liefern die Fälle gar „Argumente gegen die Flüchtlingspolitik“, wie nicht nur rechtsextreme Gruppierungen glauben? Darum soll es in dem Film gehen. Die Hamburger Morgenpost schreibt zur Doku: „Dass junge Flüchtlinge, die aus einer islamisch- patriarchalisch dominierten Heimat kommen, mit dem Leben in der offenen westlichen Gesellschaft überfordert sein können, ist keine neue Erkenntnis.“
„Hätten wir den Film ein halbes Jahr früher gedreht“, spricht die Off-Stimme der Dokumentation, „dann hätten wir wohl über ein gelungenes Integrationsprojekt berichtet.“ Nun lassen sich Mord und versuchter Mord nicht mehr wegreden. Der hessische Polizeipräsident klärt über die überproportionalen Sexualdelikte und Delikte gegen das Leben aus den Reihen der Zuwanderer auf. Und dann debattieren Soziologen und Sozialpädagoginnen über die Möglichkeit, dass Menschen aus solchen Kulturen möglicherweise doch gewaltbereiter sind und auch Mädchen und Frauen gegenüber andere Verhaltensweisen an den Tag legen als westliche Männer.
Andere studierte Fachleute drängen darauf, „auf kulturelle Unterschiede besser Rücksicht zu nehmen, als man das bisher getan hat.“ Aber wie kann so ein Satz gemeint sein? Wie nimmt man Rücksicht auf tickende Testosteron-Zeitbomben, die, wie es der Film zeigt, in ihrer Heimat gelernt haben könnten, dass Frauen, die ihre Männer verlassen, getötet werden müssen? Mit diesem Weltbild sind viele der jungen Männer aufgewachsen, es hat sie von klein auf geprägt, erklärt der Film in erstaunlicher Offenheit. Spätestens hier beginnt man zu verstehen, wie der Shitstorm entstanden ist gegen Plasberg und die Doku. Wenn beide Seiten gleichwertig gezeigt werden, dann fällt ein merkwürdiges Bild auf die interviewten deutschen Sozialwissenschaftler, die dem unvoreingenommenen Zuschauer auf erschütternde Weise aus der Welt gefallen erscheinen.
Wo aber jede Kritik, wo jedes offene Wort zum Risiko geworden ist, wird es immer schwerer, eine Akzeptanz für Maßnahmen zu bekommen, die diesen Männern etwas abverlangt, das dann eventuell den einen oder anderen an seine Grenzen führt. Nein, die westliche Kultur ist ganz und gar nicht drauf vorbereitet, auf strenge Art und Weise ihre Werte zu verteidigen. So eine irgendwie geartete Strenge ist nicht Teil der westlichen Kultur. Hier hat sich der Westen selbst eine unüberwindbar erscheinende Hemmschwelle gebaut. Und damit ist eine Unlösbarkeit fundamentiert, die nun bei Plasberg diskutiert werden soll.
Gäste der Sendung sind die Grünen-Chefin Annalena Baerbock, CSU-Generalsekretär Markus Blume, BKA-Präsident Holger Münch, der Berliner Migrationsforscher Ruud Koopmans und „Weltspiegel“-Moderatorin Isabel Schayani.
Markus Blume bezieht sich zunächst auf die Angriffe gegen die Sendung und die Doku und stellt für sich klar: „Es ist nicht nur richtig, es ist sogar notwendig über diese Dinge zu reden.“ Isabel Schayani findet, dass sei doch alles eine Wahrnehmungsfrage, denn wenn ein Deutscher auf eine Deutsche los ginge, „reden alle nur von einer Beziehungstat.“ Sie erinnert an 2015, „wo die ganze Gesellschaft ProAsyl und Amnestie war.“
War das wirklich so? Vielleicht ist das aber auch eine Form der reinen Selbstwahrnehmung, ein Trugschluss, wenn man zu den überschaubaren Menschengruppen gehörte, die am Münchner Bahnhof und anderswo Welcome-Schilder hoch hielt oder die BILD versuchte, hunderttausendfach ihre „Refugees-Welcome-Sticker“ an Windschutzscheiben kleben zu lassen. „Das war nur der Moment der Teddybären“, weiß Schayani, viel spannender fand sie, dass sich auf einmal eine Zivilgesellschaft erhoben hätte. „Es ist was passiert in der Gesellschaft. Aber wir waren auch naiv, da kamen keine Surfer aus Kalifornien.“ Es ließe sich nicht leugnen, dass wir auch „Beifang” hatten. Was für eine Wortwahl. Das muss man sich aus dem Munde eines AfD-Politikers einmal vorstellen. „Und wenn die Türen auf sind, kommen eben auch welche, die man nicht will.“ Sagt Frau Schayani, hat aber einen Lösungsvorschlag: Wenn die Kriminalität runter geht bei Bleibeperspektive, dann müssten sie eben bleiben und alles wäre in Butter.
Wird sich nun die ganze Sendung hindurch um das böse Wort „Abschiebung“ gedrückt? Gewalt als erstes Mittel der Wahl, hier bleiben zu dürfen? Ist das am Ende die Erklärung für Zuwanderungskriminalität? Der Wunsch, hier bleiben zu dürfen? Was für ein bizarres Spiegelbild einer völlig verwirrten Gesellschaft, das die deutsch-iranische Fernsehjournalistin da allen Ernstes live im TV vorstellt. Markus Blume hat es sofort bemerkt und traut sich, diese krasse Kausalität als solche zu benennen. Dafür grätscht ihm Plasberg rein und Annalena Baerbock darf Blume dafür schelten als jemanden, der die Lösungen der Flüchtlingsintegration behindert. Plasberg wird später sogar behaupten, Blume hatte mit einer Unterstellung operiert. Der Moderator hört nicht zu, und was er nicht gehört hat, wird eben zur Unterstellung.
Die Grünen-Chefin hat einen „sehr differenzierten Film“ gesehen, der gezeigt hätte wie unterschiedlich die Fälle sind, aber eine Religion alleine „macht doch noch niemand zu einem Straftäter“, weiß sie zu berichten. Es seien eben bestimmte Faktoren, die zusammenkommen könnten und zu Straftaten führen. Integration fällt nicht vom Himmel, die ist harte Arbeit, die braucht Geld.
BKA-Präsident Holger Münch klärt zunächst einmal darüber auf, dass die Kriminalitätsbelastung deutlicher größer ist als bei der Durchschnittsbevölkerung hier in Deutschland. Das läge eben an der „Testosteronkurve“. Nun mag dass eine Erklärung sein, eine Beruhigung für die Bevölkerung ist es keineswegs.
„Es ist leider staatliche Politik in zwei Dritteln der muslimischen Länder der Welt.“, beendet der Migrationsforscher Koopmans seine nicht enden wollende Aufzählung von Unterdrückungsmechanismen dieser archaischen Gesellschaften. Die jungen Männer, die hierher kommen, erlebten einen riesigen Kulturschock: „wie von einem anderen Planeten.“, so Koopmans. Isabel Schayani findet da alles zu undifferenziert, erzählt allerdings auch mit einem Schmunzeln, dass ihr männliche Zuwanderer begegnet sind, die zum ersten Mal überhaupt mit Frauen an einem Tisch gesessen hätten. Zum Schmunzeln? Jedenfalls nicht zum Schnitzel. Man saß wohl bei Tee.
Reicht überhaupt eine Generation aus, „das umzudrehen, sich unserer Gesellschaftsnorm anzupassen?“, fragt Plasberg. Zunächst reißt sich niemand um eine Antwort. Hier allerdings verfügt zumindest die alte Bundesrepublik über Erfahrungen mit Millionen türkischen Zuwanderern über mehrere Generationen. Wie lange hat es da gedauert? Oder dauert es nicht noch an?
„Integration heißt nicht, dass man sich in der Mitte trifft“, sagt Markus Blume und die grüne Parteichefin fährt ihm wieder dazwischen im Brustton der Überzeugung, das Richtige zu sagen, zu wissen, zu tun und zu leben, dass man ihr jetzt spontan einen Integrationskurs empfehlen möchte, so weit ab vom Schuss sind solche ideologisch geprägten, in Autogamie vorgenommenen Heiligsprechungen. „Integration bedeutet, da Mittel reinzustecken.“, sagt Annalena Baerbock. Der heilige Gral dieser grünen Zuwanderungsreligion in einem Satz identifiziert: die Euro-Puderdose. Die Kamera fährt ganz nah heran an das Ray-Ban-Logo der Brille Blumes.
Dann werden Gruppensitzungen mit Zuwanderern vorgestellt, die ja alle Sinn machen mögen irgendwie, die sich redlich bemühen, wo sich Menschen engagieren, wo tägliche Konfliktsituationen durchgespielt werden, aber es wirkt doch wie ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn der Gruppenleiter aus dem schwierigen Alltag dieser Gruppen erzählt. Ein Umerziehungsprogramm light einmal die Woche ein paar Stunden lang.
Umso länger man zuhört, desto mehr wünscht man auch dem Moderator, dass er sich einmal in so eine Gruppe begibt, manche Fragen klingen, wie von dem Planeten herüber gesprochen, der eingangs als Herkunftsort einer Gruppe von Zuwanderern identifiziert wurde. Plasberg fragt: „Begreifen junge Flüchtlinge (…) eigentlich irgendwann auch (…) welche Chance darin liegt in einer freien Gesellschaft? (nach dem Motto:) Das ist doch ein Sechser im Lotto.“
Isabel Schayani möchte nicht, dass immer über „die und wir“ geredet wird. Für sie ist also auch das “wir“ etwas, das wir hinschenken sollen. Als Vorleistung? Möglicherweise ist das ein Kernpunkt des Dissenses dieser ganzen Debatte, wenn Schayani ein Roll-Back beobachtet, den sie auf dem Kirchentag aber nicht erleben würde. Und Parallelgesellschaften sieht sie auch in Bayern, sagt sie noch augenzwinkernd zum Generalsekretär der CSU.
Und der nutzt nun eine partielle Erschöpfung der anderen zum Ende der Sendung, um noch einmal mit einem Quantum Ernsthaftigkeit in die Debatte zu gehen, die wir hier im O-Ton wiedergeben möchten, wenn Blume Sorge hat,
„dass wir nicht konsequent genug sind an der Stelle mit denjenigen, die zeigen, dass sie nicht mit uns hier leben wollen. Die Fälle, die ja leider in dem Film auch dokumentiert sind, das sind diejenigen, die die Integrationsbemühungen der anderen diskreditieren und dazu führen, dass Menschen, die in diesem Land best(ens) integriert sind, die sich seit zwanzig, dreißig Jahren hier integriert haben, dass die heute mit Vorurteilen konfrontiert werden, die sie nicht verdient haben. Und deshalb müssen wir auf der einen Seite Humanität und Integration zeigen, aber auf der anderen Seite auch konsequent sein bei denjenigen, die zeigen, dass sie nicht mit uns sondern gegen uns leben wollen.“
Plasberg will dann kurz vor Ende noch wissen: „Warum tut sich der Staat mit Abschiebungen so schwer?“ Und na klar, dann kommt noch Alexander Dobrindt mit seiner Anti-Abschiebe–Industrie zu Wort. Wer das genau sei? Blume erklärt es ihm:
„Das sind die, die glauben, dass ihr Gefühl mehr wiegt als das Recht. Wenn ein Gefühl an die Stelle des Rechts tritt, dann verschwindet zuerst die Gerechtigkeit und am Ende auch der Rechtsstaat. Diese Erosion des Rechtsstaates dürfen wird nicht zulassen. Die Menschen müssen erwarten können, dass ein starker Staat dann auch Recht und Gesetz durchsetzt.“
Frau Baerbock wird eingeblendet. Zitronig. Gallig. Versteinert. Aber ausgepowert. Danke.
„Das Asylrecht ist kein Zuwanderungsrecht.“, setzt Blume die nächste Spitze noch kurz vor Ende. Und weil Frau Baerbock offensichtlich ihre Patronen verschossen und aufgesteckt hat, weil sie da schweigt, wo die Runde an einem weiteren Hotspot der Debatte angekommen ist, wollen wir es nun auch dabei bewenden lassen.
Ein wichtiges Thema, eine langer Abend. Und ein viel zu langer Text. Wenn Sie es dennoch bis hierher geschafft haben, Ihnen herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.