Die Zukunft des Fernsehens spielt nicht im Fernsehen – in Zeiten von YouTube, Netflix und Co. scheint das Konsens zu sein. Darüber sprach man auch auf der „ConCon“ – der „Content Convention“, einer Medienkonferenz, die sich mit „neuem Content, neuen Kanälen und neuen Technologien“ beschäftigt. Bei der maßgeblich vom Land Rheinland-Pfalz mit SWR und ZDF organisierten Veranstaltung dreht sich alles um „Synthetic Media“, „Community Building“ und Content Commerce“. Bei so vielen Anglizismen muss die Konferenz ja extrem modern und auf der Höhe der Zeit liegen, oder? – Nun, nicht zwingend. Denn trotz den vielen geschäftig-bunten Buzzwords scheinen einige die Zeichen der Zeit nicht erkennen zu wollen.
„Streaming kills TV?“ lautet der Diskussionstitel. Mit der übermäßigen Verwendung von englischen Schlagwörtern soll aber wohl vor allem die eigene Ideen- und Konzeptlosigkeit übertüncht werden. Denn in allerbester ÖRR-Tradition sind sich die Teilnehmer sehr schnell einig: Streaming doesn’t kill TV. Im Gegenteil: Das lineare Fernsehen sei aktueller denn je, das versichern sich zumindest die Fernsehjournalisten gegenseitig.
So stellt zum Beispiel Phoenix-Chefin Kolster direkt zu Beginn fest, dass „die Menschen“ eigentlich nach wie vor das lineare Fernsehen haben wollen – sie wollten gerne diktiert bekommen, was läuft. Die schwierige Aufgabe, auf Netflix die Serie oder den Film selbst auszuwählen, möchten ÖRR-Journalisten den Menschen eben nicht zutrauen. Das Bild in den Köpfen ist deutlich: Der Zuschauer als dumm-dumpfer, passiver Konsument, der von ARD und ZDF an die Hand genommen und geführt werden muss. So erklärt SWR-Intendant Kai Gniffke, die Tagesschau sei „in der DNA“ der Menschen angelegt. „Dann will man sich einmal noch abgleichen – was ist jetzt wirklich wichtig, was muss ich wissen?“, fabuliert er über die angeblichen Bedürfnisse der Fernsehzuschauer. Die ARD sei der „Sortierer“, der den Menschen das zu Wissende einordnet. Es existiert wohl noch kein moderner, englischer Ausdruck für „betreutes Denken“ – sonst hätte Gniffke ihn verwendet.
Das Panel verkommt schnell zu einem Kreis der Selbstbeweihräucherung des Öffentlich-Rechtlichen mit teils massiver Dissonanz. Kai Gniffke redet stolz von den hohen journalistischen „Standards, nach denen wir arbeiten“. Dazu gehöre auch, den Menschen die Wahrheit zu sagen – zum Beispiel die „Wahrheit“, dass es keine langfristigen Covid-Impfschäden gäbe. Die Selbstversicherung der eigenen Relevanz geht ungebremst weiter. Gniffke und Co. fabulieren von der gesellschaftlichen Wichtigkeit von ÖRR-Liveübertragungen – ein Diskutant attestiert solchen etwas „Gemeinschaftsstiftendes“. Es ist absurd: Die aktuell größten Spalter der Gesellschaft inszenieren sich als Mittel gegen Spaltung – als wäre die live gesendete Leichtathletik-WM das, was die Nation zusammenhält.
Man kennt sich, man schätzt sich – und kurze Wege zwischen privaten amerikanischen und öffentlich-rechtlichen deutschen Meinungspolizeidirektionen gibt es wohl auch. Neue Medien kommen im besten Fall nicht in den Genuss einer solchen Premium-Behandlung, werden im schlimmsten (und oftmals realen) Fall im Gegenteil eher in der Reichweite eingeschränkt („Shadowban“), zensiert und gegängelt. Selbst auf YouTube, einem „neuen Medium“, wiederholt man die Denkfehler der alten – und meint, den Zuschauer betreuen und erziehen zu müssen.
Die einhellige Diskussion fragt, ob Streaming das Fernsehen töten würde – nein, so ist man sich einig. In Wahrheit zeigt sich das erzieherisch Herablassende – und der Glaube, man wisse besser als der Zuschauer, was dieser sehen will und soll. Doch diese Einsicht erfolgt erwartungsgemäß nicht.