Suche den Fehler: Außer bei TE findet eine gefühlte Übermacht der berichtenden Zunft Bundeskanzler Olaf Scholz nach seiner Rede auf dem SPD-Parteitag plötzlich unheimlich anziehend …
Die Tagesschau meint, den Reigen der Lobhudeleien und kaum verhohlenen Überbegeisterung anführen zu müssen, mit einem Foto des die Huldigungen seiner Parteigenossen Entgegennehmenden und der Überschrift: „Scholz begeistert die Genossen“. Korrekte, nüchterne Berichterstattung hätte wohl eher gemeldet, dass sich das Publikum begeistert gezeigt habe – ohne Ursache und Wirkung so unzweifelhaft in klaren Bezug zu setzen. In demselben kaum unterdrückten Jubelton setzt Georg Schwarte seine, wie er sie nennt, Analyse fort. Berichtet mit Begriffen wie „kämpferisch … öffentliche Auferstehung … hat hier heute geliefert … geplatzter sozialdemokratischer Sehnsuchtsknoten“.
Für die FAZ hat Olaf Scholz die „Genossen begeistert“.
Michael Schlieben von der Zeit verspürt bei der Rede da „plötzlich diese Wärme … der Kanzler strahlt … wird nun von 600 stehenden Delegierten bejubelt. So anhaltend und freudig, als forderten sie eine Zugabe.“ „Nun, in der Not, als Erstes den Ärmsten etwas wieder wegnehmen zu wollen, hält Scholz für falsch … verteidigt energisch den Sozialstaat.“
Und für die BILD-Zeitung malen Philip Fabian und Elias Sedlmayr ein geradezu triumphales Bild: die SPD „feiere Scholz ab … der Kanzler habe seine vielleicht wichtigste Rede gehalten“, trauen ihm mit einer hypothetischen Frage zu, „in der Krise das Steuer herumzureißen wie einst Schröder?“
„Die Rede kam bei den Genossen sehr gut an! Es gab über 5 Minuten lange Standing Ovations für den Kanzler.“ schreibt das Blatt, ohne einen Funken Zweifel, dass die großen Gefühle alleine vom Redner ausgelöst worden sein können …
Auch die Deutsche Welle und ihre Korrespondentin Sabine Kinkartz zeigten sich beeindruckt von der „Rückendeckung für Kanzler Scholz … er und seine Partei sind im Umfragetief. In der SPD rumort es, doch eine Revolte bleibt auf dem Parteitag aus. Stattdessen regieren Trotz, Zuversicht und Hoffnung.“ Unter der Überschrift „Staatspolitische Verantwortung“ schreibt Frau Kinkart: „Mützenich bekam viel Beifall, aber noch mehr bekam Olaf Scholz – vielleicht auch, weil er sich sichtlich um Emotionalität und Leidenschaft bemüht hatte. Eigenschaften, die dem kühlen und rationalen Scholz nicht zu eigen sind.“
Die Süddeutsche Zeitung beruhigt die Gemüter: „Scholz: Mit der SPD kein Abbau des Sozialstaats“ titelt sie. Und orakelt weiter: Zwar liege „der Bundeskanzler in den Umfragen ganz unten“ und „die SPD warte auf seinen Plan zur Lösung der Haushaltskrise … aber er verrät keine Details, schickt aber einige deutliche Botschaften an die Sparkommissare der FDP“.
Das ZDF sieht gar einen Kanzler, der „seine Haltung verteidige“ und „kategorisch Sozialkürzungen ablehne … und den gravierenden Abbruch … von Sozialleistungen“ ausschließe. Zwar habe, so das ZDF weiter, „die SPD sich in Berlin zum Parteitag ohne Haushalt versammelt, aber mit dem festen Willen zur sozialdemokratischen Selbstvergewisserung und scharfer Kritik an der Opposition“.
Und selbst für die ansonsten nicht als besonderer Fan Olaf Scholz bekannte „Welt“ findet Hannah Bethke, dass er wenigstens „die Signale seiner Partei verstanden hat“, die ihm auf „dem Parteitag den Rücken gestärkt“ hätten … und er den Ton der Partei getroffen habe … Anders als „viele Beobachter des politischen Berlins gedacht hatten: Die Sozialdemokraten tun das, was sie in Zeiten größter Krisen am besten können – Geschlossenheit zeigen.“ Statt den Aufstand gegen den Kanzler zu proben, hätten ihm „die Delegierten schon zugejubelt, bevor seine Rede an diesem Samstag überhaupt begonnen hat“. Da darf man natürlich die Frage stellen, woran denn Frau Bethke ihre These dieser besten SPD-Tugend, nämlich Geschlossenheit zu zeigen und keinen Aufstand zu proben, historisch festmacht, und ob der Partei nicht vielmehr irgendeine andere Taktik als die der nun gezeigten Huldigungen einen sofortigen Absturz Richtung Bedeutungslosigkeit beschert hätte.
Scholz, so Bethke weiter, „schärfe die Konturen der SPD … bekommt die Kurve und wird in seiner Rede zupackend“. Der Kanzler „wählt derweil seine bekannte Strategie, auf akute Konflikte zu reagieren: mit einer Verschönerung der Realität – und mit Ironie (manches hätte ich echt nicht gebraucht) … und kann sich des Rückhalts seiner Partei bereits sicher sein und weiß, dass seine scherzhafte Bemerkung auch so verstanden wird.“
Für die taz ist „Genosse Scholz zurück“ und übersetzt für ihre Leser die Rede. „Im Klartext: Die Regierung macht weiter, das mit dem Haushalt kriegen wir hin.“
In seinem Kommentar bei n-tv attestiert Sebastian Huld Olaf Scholz „Unbeirrbarkeit“ angesichts seiner wütenden Jusos: „Deutschlands Regierungschef präsentiert sich denkbar selbstbewusst – und wird von der überwiegenden Mehrheit seiner Genossen in seinem Kurs bestärkt.“ Es habe „stehende Ovationen für den Regierungschef geregnet, noch bevor der nur ein einziges Wort an seine Genossinnen und Genossen richten kann“. Die „SPD mit ihrem antifaschistischen Erbe“ stehe, so Huld, „wieder vor einer Aufgabe von historischer Dimension“. Scholz verweise auf den Aufstieg der Rechtspopulisten in Deutschland, Europa und den USA und fordert, den Menschen Grund zu „Optimismus“ und „Zuversicht“ sowie „Perspektiven“ zu geben. Diese Vokabeln hätten „den roten Faden in Scholz‘ Rede gebildet“.
Julius Betschka nennt beim Tagesspiegel seinen Lobes-Artikel „Der Kanzler, der die Roten eint“, und meint damit sicher nicht die Ureinwohner Nordamerikas … denn: „in der Krise für Partei und Regierung legt Olaf Scholz eine gute Rede hin. Der eher kühle Hanseate setzt für einmal auf Gefühle – und überzeugt damit viele Genossen.“ Die SPD also „müsse sich gegen all jene wehren, die als beste Antwort auf die Krisen der Zeit rechtsradikale Ideen gut finden, sagt der Kanzler am Samstagmorgen. Mit Zuversicht. Es wirkt wie ein Erlösungsmoment. Endlich.“
Immerhin beendet der Journalist seinen Artikel noch mit dem Hinweis auf sein Gespür für die Realtität, indem er schreibt, dass „mancher die Stimmung auf dem Parteitag beschreibt wie einst das Orchester auf der Titanic: Es spielt bis zum Untergang fröhlich weiter.“
Der einzige Kommentar, der Olaf Scholz neben Tichys Einblick genauso viel Vorschuss einräumt, wie er wohl verdient, ist Hugo Müller-Vogg beim Focus: Scholz bastle sich eine Märchenwelt und nehme es mit den Fakten nicht so ernst.
So eine Traumwelt können Kristina Dunz und Daniela Vates vom Redaktionsnetzwerk Deutschland nicht erkennen: „Der Kanzler wird auf dem SPD-Parteitag für seine Rede bejubelt. Weil es keinen Kompromiss in der Koalition zum Haushalt 2024 gibt, kann er nicht konkret werden. Aber er lässt nicht an den sozialdemokratischen Grundfesten rütteln.“
Und ob Olaf Scholz’ Ansehen, wie die beiden Journalistinnen meinen, „durch beispiellos schlechte Umfragewerte für eine Kanzlerpartei“ geschwächt worden ist, oder vielleicht vielmehr durch seinen eigenen Stil und sein Können, sei dahingestellt. Die Bundestagswahl 2021 habe „Scholz später als Kanzlerkandidat entgegen aller Vorhersagen gewonnen“. Er kenne das also, von ziemlich weit unten wieder hochzukommen. Die SPD schaffe das, weil sie anders als früher geschlossen sei, betont Scholz, „das weiße Hemd oben aufgeknöpft. Wieder Applaus.“
Für Jan Dörner, den Chefreporter der Berliner Morgenpost, erschließen sich nach dieser Rede „Fünf Erkenntnisse“ – und keine davon ist wirklich erhebend für das Land oder die SPD: Der Kanzler lebe noch … wirke nicht mehr kraft- und saftlos … als ob man einen Avatar ins Plenum geschickt habe … ihm sei eine Rede gelungen, die zumindest den Eindruck hinterlässt, dass der Kanzler den Willen hat, diese Krise zu bewältigen … und die SPD stehe weitgehend geeint hinter ihrem Kanzler. Je härter die Angriffe von außen würden, desto geschlossener stütze die Partei Olaf Scholz … der in seiner Rede zwei Pflöcke für den Haushalt des kommenden Jahres eingeschlagen habe … außerdem gehe die SPD auf Konfrontationskurs mit der FDP … wobei die Ampel ein fragiles Gebilde bleibe …
Daniel Mützel von t-online ist begeistert von der Kanzlerrede und fragt: „Warum denn nicht gleich so?“ „Was hatte er nicht alles ertragen müssen in letzter Zeit: eine Klatsche von den höchsten Richtern des Landes, Koalitionspartner, die ihm auf der Nase herumtanzen, persönliche Angriffe der Opposition, Macherimage angekratzt, Umfrageabsturz. Doch als Olaf Scholz an diesem Samstag auf dem SPD-Parteitag ans Rednerpult tritt, ist von diesen vielen Niederlagen kaum etwas zu spüren. Der Kanzler wirkt souverän, gelassen, ist sogar teilweise zu Scherzen aufgelegt. Mentale Rückendeckung bekommt er von den Hunderten Delegierten im Berliner CityCube …“
Inhaltlich setze Scholz „ganz auf die Leib- und Magenthemen der SPD. Dabei tut der Kanzler etwas, was er schon seit einer Weile nicht mehr getan hat und lässt seinen inneren Sozialdemokraten sprechen … ruft mit Verve in den Saal, was von den Delegierten mit tosendem Applaus quittiert wird.“
So viel Lob für eine 52-minütige freie Parteitagsrede (nicht ohne Bewunderung hat man berichtet, Olaf Scholz habe ja sein Notizzettelchen keines Blickes gewürdigt) ist schlicht entwaffnend; die daraus ersichtliche Vertrauensseligkeit fast schon rührend.
Advent, Advent …