Tichys Einblick
EU-Wahl und Abschiebung

Bei Maischberger: Feiern wir einmal 25 Jahre offene Grenzen?

Zwischen längst vergangenen Zeiten und Delirium schwankt der Bundespräsident a.D. Christian Wulff im Sessel bei Sandra Maischberger. Er will im Jahr 2040 „25 Jahre offene Grenzen“ feiern. Es ist eine groteske Parade der Weltfremdheit und Wirklichkeitsverdrängung.

Screenprint ARD

Es wird über die EU-Wahl und deren Konsequenzen diskutiert, aber auch über die Sache mit der Abschiebung. Die Gäste von Sandra Maischberger wissen, dass die Ampelregierung und der Kanzler es sich bei der Bevölkerung verscherzt haben. Von den Verantwortlichen der aktiven Bundespolitik befindet sich aber keiner unter den Gästen. Nur die Vorsitzende der Linken, Janine Wissler – ihre Partei hat gerade einmal 2,7 Prozent erhalten.

Aber auch die SPD und der Kanzler erleben einen historischen Tiefpunkt. „Das war das schlechteste Wahlergebnis der SPD seit 1887“, so Maischberger. Allerdings muss man diese Aussage einschränken: Es war das schlechteste Ergebnis bei einer bundesdeutschen Wahl seit 1887. In vielen Bundesländern wie Bayern und Sachsen ist die SPD bei Landtagswahlen schon lange kein relevanter Faktor mehr. Der Journalist und Publizist Sergej Lochthofen, die ARD-Moderatorin Anna Planken und der Leiter des Politikressorts von RTL/n-tv Nikolaus Blome kommentieren die Bilanz der EU-Wahl. Ein Schlagabtausch: Wer ist denn nun schuld? Der Kanzler, die SPD oder doch die ganze Ampelregierung?

Keine der Ampel-Parteien hat Lust auf Neuwahlen

Die SPD ist ganz offensichtlich keine Arbeiterpartei mehr, denn die arbeitende Bevölkerung wird von deren Politik bestraft. Vielleicht ist es auch die Attitüde, mit der Olaf Scholz auftritt – wer hört schon gerne von einem Kanzler auf die Frage, ob er Stellung nehmen möchte zu dem desaströsen Wahlergebnis, ein rotziges „Nö“? Und da wäre auch noch dieses immer größer werdende Loch im Haushalt.

Sergej Lochthofen findet, dass man in der aktuellen Krise mit Sparen nicht weiterkommt. Er sagt: „Der FDP-Vorsitzende gehört in ein dunkles Zimmer gesperrt und kann erst wieder raus, wenn es Geld gibt”, und plädiert dafür, „den Bürgern mit Ausgaben gute Laune zu kaufen“. So einfach ist Politik. Man kauft sich Wählerstimmen mit Geld, das man nicht hat. Nikolaus Blome fragt dagegen irritiert, was daran so „schwer ist, einen Haushalt zu trimmen“.

Auf Maischbergers Frage, ob die Ampelregierung die Haushaltsfrage übersteht, folgert Planken, dass es keine Alternative gibt. Denn sie „kann sich kaum vorstellen, dass eine der drei Parteien Lust auf Neuwahlen hat – bei dem Ergebnis“. Eine Regierung der Sitzenbleiber? Auch das wird nicht durchzuhalten sein. Zu gewaltig sind die selbst herbeiregierten Probleme.

Die Jugend ist nicht grün und die AfD ist nicht blau

Bei der EU-Wahl durfte das erste Mal ab 16 Jahren gewählt werden. Die Grünen hatten große Hoffnung, wurden aber bitterlich enttäuscht. Die 16- bis 24-Jährigen haben überwiegend die Union, die AfD und – zum großen Überraschen – kleinere Parteien gewählt. ARD-Moderatorin Anna Planken weist darauf hin, dass die Jugend oft konservativer sei als die Eltern-Generation, aber auch „sehr volatil“. Den ausschlaggebenden Grund sieht sie in der Präsenz der AfD in den sozialen Medien. Ach ja, wenn es kein Tiktok gäbe und TE verschwinden würde und nur die ARD sichtbar wäre – dann wäre die Welt sicherlich in Ordnung. Für die ARD und die Grünen und Roten jedenfalls. Die Wirklichkeit ist eine andere.

Vor allem ist sie erstaunt, dass die Jugend nicht mehr wegen eines Klimawandels um ihre Zukunft bangt, sondern ganz konkret wegen Krieg, Migration und schlechter Wirtschaft. Kann man darüber eigentlich erstaunt sein? Wie „die Erwachsenen“ mit dem Ergebnis der EU-Wahl umgehen, beschreibt Maischberger mit der Elefantenrunde des RTL/nt-v. Dort hat Lars Klingbeil die AfD als Nazis bezeichnet. Blome hält diese Strategie von Klingbeil „für nicht klug“, da sie „die AfD-Wähler ziemlich brachial vor den Kopf stößt und anderen sind solche Vorwürfe schnurzegal“.

Dass es einfach dummes Zeug ist, das die Opfer der Nazis verhöhnt – keine historische Ahnung bei Maischberger. Sie haben keine Ahnung, wovon sie sprechen, wenn sie fauchen wie Lochthofen: „Die Braunen haben gewonnen! Das sind keine Demokraten.“ Blome stimmt zu, aber ergänzt: „Nur weil sie nicht alle Demokraten sind, sind sie nicht alle Nazis. Wir verbrennen diesen Begriff, der uns ziemlich wichtig sein sollte.“ Blome und Lochthofen führen die Parade der Selbstgerechten an – wer kritisiert, kann nur braun sein.

Christian Wulff im Fiebertraum

Aber es gibt Steigerungen. Im Gespräch mit Bundespräsident a.D. Christian Wulff wird dem Publikum dann eine kleine selbstdarstellerische Märchenstunde geboten. Auf die Frage von Maischberger, was für Regierungsmöglichkeiten nach den Landtagswahlen möglich wären, betont Wulff: „Für mich ist es selbstverständlich, dass man keine Zusammenarbeit mit der AfD macht.” Er kann es ebenso nachvollziehen, dass die CDU sich nicht mit den Linken zusammenschließen möchte, aber hält weitere Ausschlüsse für einen Fehler.

Als es schließlich um die Migrationspolitik geht, beginnt bei Wulff der Fiebertraum: „Ich rate uns, dass wir den 4. September 2040 im Kalender notieren. Es wird Sondersendungen geben: 25 Jahre Offenhalten der Grenzen.“ Er wird ganz emotional und ist überzeugt, dass man dann eine positive Bilanz seit 2015 ziehen könne. Maischberger holt ihn dann aber wieder auf den Boden der Tatsachen: Das Attentat in Mannheim.

Wulff erklärt nun, dass „dieser längst nach Hause geschickt hätte werden müssen“ und spricht sich auch für eine Abschiebung nach Afghanistan aus. Vom Mord in Frankfurt, wo eine aus der Ukraine geflüchtete Frau von einem angeblichen Flüchtling aus Afghanistan auf einer Parkbank sitzend einfach in Kopf und Hals gestochen wurde: noch nicht angekommen in der TV-Welt. Man suhlt sich im guten Gefühl jenseits der bitteren Wirklichkeit auf Straßen, Plätzen und Erholungsräumen dieses Landes.

Die Sache mit der Abschiebung

In der Debatte um Abschiebungen stimmt auch Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer, ehemaliges Mitglied bei den Grünen, Christian Wulff zu: „Wer die Vertreter unseres Staates angreift, der hat hier leider kein Aufenthaltsrecht.“ Er glaubt auch, dass eine Abschiebung des Täters zum damaligen Zeitpunkt aus Mannheim möglich gewesen wäre. Boris Palmer, der bei den Grünen ausgetreten ist, weil seine Partei nicht mit ihm klarkommen konnte – zu migrationskritisch, zu sehr Realo.

So dreht sich die Debatte im Kreis: Es geht darum, mit dem Rechtsstaat die Täter zu schützen – die Opfer finden nicht statt. Sie haben einen Rechtsstaat zu erleiden, der die Täter schont. Da empfindet Janine Wissler die Debatten über Abschiebungen auch gleich als „Wasser auf die Mühlen der Rechten“. Ihrer Meinung nach werden reale Probleme zwar angesprochen, aber die Falschen dafür verantwortlich gemacht. Es ist wie immer eine Täter-Opfer-Umkehr, die die Linken so professionell beherrschen und damit das Ergebnis von 2,7 Prozent begründen. Ob im Jahr 2040 wohl die Linken noch existieren oder Palmer wieder Mitglied bei den Grünen ist?

Wieder einmal steht fest, dass Politiker in Deutschland zwischen Nostalgie und unrealistischen Vorstellungen gefangen sind. Die EU-Wahl zeigt, dass die Bevölkerung das Vertrauen in die Ampelregierung endgültig verloren hat – das ändert sich auch nicht mit einer Demonstration gegen Rechts. So wird die veröffentlichte Politik zu einer Parade der Wirklichkeitsverdrängung.

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