Bekanntlich ist am Mittwoch das „Manifest für einen neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk“ veröffentlicht worden. (TE hat als erstes Medium darüber berichtet.) Unterschrieben haben es etwa 100 aktive und ehemalige Mitarbeiter des ÖRR sowie namhafte Vertreter aus Wissenschaft und Kultur.
Der Text kritisiert in bisher nicht gekannter Offenheit einerseits die Arbeitsbedingungen vor allem für freie Journalisten im ÖRR. Andererseits wird in dem Papier eindrücklich dargelegt, wie ein Klima der Angst im ÖRR zu einer zunehmend vereinheitlichten, homogenen, regierungsnahen, links-woken Berichterstattung führt.
Vor allem aber bitten die Autoren in dem Manifest um einschneidende Reformen des Systems. Korrektur: Eigentlich flehen sie darum. Wer den Text liest, kann förmlich spüren, wie da Menschen sich einfach nicht mehr anders zu helfen wissen, als öffentlich um Hilfe zu rufen.
Manche der Erstunterzeichner haben sich getraut, das Manifest mit ihrem Klarnamen zu unterzeichnen. Andere haben sich an Ole Skambrak erinnert: Das war ein Mitarbeiter des SWR, der – sehr nüchtern und mit guten Beispielen belegt – die einseitige Corona-Berichterstattung seines Senders kritisiert hatte. Dafür wurde er schließlich gefeuert.
Aus schierer Angst vor dem Jobverlust haben einige Unterstützer des Manifests jetzt deshalb ihren Namen nur bei einem Rechtsanwalt hinterlegt. Von Journalisten der ARD-Anstalten, des ZDF und des Deutschlandradios ist zu hören, dass die jeweiligen Chefetagen – sagen wir einmal: sich enorm darüber freuen würden, die Namen dieser anonymen Unterstützer des Manifests in die Finger zu bekommen.
Nun leben nicht wenige Formate des ÖRR von Informationen, die sie aus vertraulichen Quellen erhalten. Diese Quellen würden sofort versiegen, wenn sie befürchten müssten, enttarnt zu werden. Und andere potenzielle anonyme Informanten würden dauerhaft abgeschreckt. Das wissen auch die Granden von ARD, ZDF und Deutschlandradio. Und so kurzsichtig sind sie nicht, dass sie sich die Blöße geben würden, jetzt selbst eine Aufhebung des Quellenschutzes für ÖRR-Kritiker zu fordern.
Stattdessen haben sie jemanden gefunden, der das für sie fordert: den Deutschen Journalisten-Verband DJV. Dass die – gemäß ihrer Selbstdarstellung – „Spitzenorganisation der Journalistinnen und Journalisten in Deutschland“ sich den Anstalten als Gehilfe für die Identifizierung der ÖRR-kritischen Journalisten anbietet, ist teils absurd, teils unappetitlich und teils lachhaft.
Absurd ist es, weil hier eine Gewerkschaft Mitarbeiter von Unternehmen (in diesem Fall: des ÖRR) völlig unironisch dazu auffordert, Kritik keinesfalls anonym zu äußern – sondern gefälligst Job und Existenz zu riskieren und Missstände nur unter dem eigenen Klarnamen zu melden. Wie sanft und verständnisvoll der ÖRR mit Kritikern aus den eigenen Reihen umgeht, kann ja jeder bei Ole Skambrak erfragen.
Absurd ist es auch deshalb, weil der DJV ansonsten bei jeder sich bietenden Gelegenheit (zurecht übrigens) auf Quellenschutz pocht und einen besseren Schutz für sogenannte „Whistleblower“ fordert. Sobald es aber um Whistleblower aus Medienbetrieben geht, sind nun all diese Forderungen vergessen. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, dass hier irgendwie mit zweierlei Maß gemessen wird.
Unappetitlich wird es, wenn Pressesprecher Hendrik Zörner belegfrei eine Nähe der Manifest-Autoren zu einer AfD-Politikerin herbei fabuliert. Da bewegt sich der DJV-Mann irgendwo zwischen Agitprop und Denunziation. Für einen kurzen Moment kommt einem der Gedanke, dass der Herr zu anderen Zeiten womöglich eine blendende Karriere gemacht hätte.
Lachhaft ist das Vorgehen des DJV vor allem wegen des intellektuellen Niveaus, auf dem sich der Verband bewegt. Zörner zweifelt in einem Kommentar recht offensichtlich an, dass es die anonymen Unterstützer des Manifests überhaupt gibt. Dass er dadurch dem angesehenen Münchener Rechtsanwalt Dr. Harald von Herget – der die Namen hütet – automatisch einen groben Verstoß gegen das Standesrecht vorwirft, scheint der Pressesprecher des DJV nicht zu merken. Oder es ist ihm schlicht egal.
Ebenfalls entgeht Zörner offenkundig, dass er die Existenz von Kollegen anzweifelt, die sein eigener Verbandsvorsitzender gerade aufgefordert hat, ihre Namen zu veröffentlichen. Irgendwie hat man das beim DJV noch nicht zu Ende gedacht.
Schließlich noch die Taktik, Kritik überhaupt nur aus einer bestimmten Richtung zuzulassen. Es müsse „klar sein, von wem das kommt“, postuliert der Verbandsvorsitzende Beuster. Sonst drohe das Manifest „in der Schublade zu verschwinden“.
Zörner gibt dann Butter bei die Fische: Ihm missfällt, dass eine Erstunterzeichnerin des Manifests ausgerechnet TE ein Interview gegeben hat. Das ändert zwar natürlich rein gar nichts an der in allen Punkten berechtigten Kritik am ÖRR – aber darauf kommt es dem DJV-Sprecher offensichtlich auch gar nicht an. Er tut so, als sei der Inhalt einer Botschaft davon abhängig, wer sie überbringt.
Wer solche Interessenvertreter hat, braucht nun wirklich weder Feinde noch Tarifgegner. Der DJV hatte einmal mehr als 40.000 Mitglieder. Heute sind es noch etwa 27.000. Seit Jahren gibt es eine wahre Völkerwanderung von freien Journalisten zum Konkurrenzverband „Freischreiber“ und zu „Freelens“, einem anderen Konkurrenzverband für freie Fotografen. Warum nur, warum …?
Die Mitgliedschaft, vor allem aber die Funktionärselite des DJV, ist geprägt von festangestellten Redakteuren in tarifgebundenen Vertragsverhältnissen. Das ist im deutschen Journalismus inzwischen eine Randgruppe. Und der ÖRR hat es in einer durchaus beachtlichen strategischen Anstrengung geschafft, ihm genehme Leute so zu platzieren, dass sie die Verbandspolitik still, aber enorm wirksam dominieren – mindestens überall da, wo es um den ÖRR geht.
Vielleicht sind sie beim DJV mittlerweile wertfrei. Vielleicht biedern sie sich aber auch deshalb so sehr ARD, ZDF und Deutschlandradio an, weil ihnen schwant, dass sie sich tatsächlich in einer Schicksalsgemeinschaft mit dem öffentlichen-rechtlichen System befinden: Geht der ÖRR unter, verschwindet auch der DJV.