Das kommt selten vor: ein ausdrückliches „Mea culpa“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Der leitende Nachrichtenredakteur des Deutschlandfunks, Marco Bertolaso, gibt offenherzig zu: Der DLF hat an dem Tag mit seiner Berichterstattung, also der Übernahme der Meldung von Nachrichtenagenturen, die wiederum auf Aussagen der Hamas fußten, einen Fehler gemacht. Auf X habe ein Post gestanden, bei dem schlicht von einem israelischen Angriff die Rede war. Neuerlich betont Bertolaso: das war ein Fehler. Die Redaktion habe sich dafür öffentlich entschuldigt und werde daraus Lehren ziehen.
Ersteres stimmt. Der DLF hat neben Bertolasos Kommentar eine lange Entschuldigung veröffentlicht. Ebenso ungewöhnlich. Doch beim zweiten Teil, nämlich, dass man Lehren aus dem Fall ziehen werde, bestehen Zweifel. Denn der Titel von Bertolasos Kommentar lautet: „Auch die Hamas ist eine journalistische Quelle“. Die zweite Hälfte seines Kommentars besteht aus einem Kampf für das Recht, auch Informationen von Seiten aufzunehmen, die man nicht so mag. Es ist schon nicht ohne Ironie, dass in der Flugblatt-Affäre ein Hubert Aiwanger erst einmal unter Generalverdacht steht, und die Umstände des Ingolstädter Zusammenbruchs von Tino Chrupalla kritischer beäugt werden als eine Hamas-Meldung. Audiatur et altera pars?
Denn: auch, wenn Bertolaso behauptet, es habe Stimmen gegeben, die Hamas-Informationen prinzipiell als Quelle ablehnten, so war das niemals der eigentliche Vorwurf in der Debatte. Es ist vielmehr ein Strohmann, um vom Kern abzulenken. „Welche Quellen dürfen Medien nutzen?“, heißt es am Anfang.
Die Antwort ist leicht: alle. Aber auf die Wertung kommt es an. Es gibt in der Geschichtswissenschaft eine Zäsur zwischen Herodot, der lediglich Quellen sammelte und wiedergab, und Thukydides, der die Quellen sammelte, auswertete, gegenüberstellte und bewertete. Das ist die Crux: es gilt nicht nur, die andere Seite zu hören, es gilt auszuwerten, welche Seite glaubhafter unter den Umständen ist. Bertolaso liest die wichtigsten journalistischen Grundsätze vor, nur, um mit einem anschließenden Nebengefecht diese wieder zu entkräften. Es geht am Ende doch wieder nur um Narrative – leider.
Der Fall steht exemplarisch für den Umgang der Medien mit der „Krankenhausmeldung“ aus Gaza. Sensationslust und Voreiligkeit will man sich bei den Öffentich-Rechtlichen schließlich nicht vorwerfen lassen. ZDF-Moderatorin Andrea Kiewel geht in der „Jüdischen Allgemeinen“ mit dem Rundfunk deutlich härter ins Gericht. Sie wendet sich direkt an die Tagesschau. Zitat:
„Am Mittwoch berichten in der ARD sowohl die »Tagesschau« als auch im Anschluss die »Tagesthemen« über einen mutmaßlichen israelischen Angriff auf ein Krankenhaus in Gaza. Der Moderator spricht von mutmaßlich 500 gestorbenen Zivilisten und Hunderten Verletzten. Eigentlich ist das Verb »sprechen« nicht korrekt. Er liest ab, was andere – Redakteure, Journalisten, Verantwortliche – ihm aufgeschrieben haben. Ich kann das Wort »Kollegen« in diesem Zusammenhang nicht verwenden, und dass, obwohl ich eine glühende Verfechterin der Notwendigkeit des öffentlich-rechtlichen Fernsehens bin.“
Kiewel fragt: wie kann die Redaktion der wichtigsten und bekanntesten Nachrichtensendungen im deutschen Fernsehen die Propaganda von Terroristen als Quelle verwenden? Wie kann man dort nur ein Wort für bare Münze nehmen?
Nun, womöglich hat ihr DLF-Kollege Bertolaso bereits die Antwort gegeben. Ein Feature für Kiewel? Der Eindruck entsteht: der ÖRR weiß gerade selbst nicht so recht, welche Haltung er einnehmen soll. Die bösen Verschwörungstheoretiker und ÖRR-Kritiker stehen nun nicht mehr draußen. Sie sitzen auf den Fluren. Wäre es da nicht besser zu hinterfragen, inwieweit man selbst als journalistische Quelle taugt?