Weder Sprinkleranlagen noch Brandmauern hielten die Ausbreitung der Flammen auf – sie gab es einfach nicht. Rasch geriet das Feuer außer Kontrolle, fraß sich durch jahrhundertealte Eichenbalken, die eigentlich als kaum brennbar galten, und wuchs zu jenem Großbrand heran, der am 15. April 2019 die Pariser Kathedrale Notre-Dame zu einem großen Teil zerstörte.
Draußen filmten und fotografierten Touristen bereits die dichten Rauchschwaden, die aus dem Dach von Notre-Dame kamen, während drinnen eine Messe zur Karwoche weiterging. Zuvor hatte der Brandschutzbeauftragte nach einer Alarmmeldung einen Wachmann alarmiert, der jedoch keinen Brand im Dachstuhl der Sakristei fand. Dort brannte auch nichts – sondern im Dachstuhl über dem Kirchenschiff. Der Brandschutzbeauftragte hatte seinen ersten Arbeitstag und konnte die Alarmmeldung nicht richtig deuten. Die Messe wurde gelesen; eine wertvolle halbe Stunde verging, ohne dass etwas geschah und bis die Feuersbrunst entdeckt wurde.
Die Brandursache steht offiziell noch nicht fest
Die Schreckensbilder des großen Brandes der Kathedrale Notre-Dame in Paris am 15. April 2019 gingen um die Welt. Beinahe wäre das gewaltige Bauwerk eingestürzt – wäre da nicht der heldenhafte Einsatz der französischen Feuerwehrleute gewesen. Daraus hat der französische Regisseur Jean-Jacques Annaud einen spannenden Film gemacht, der vor ein paar Monaten Premiere hatte, vor kurzem in die Kinos kam und jetzt auch auf Deutsch auf DVD und Blu-Ray erhältlich ist.
Jean-Jacques Annaud – bekannt durch seine Verfilmungen „Der Name der Rose“ und „Jahre in Tibet“ – ließ Teile der Kirche nachbauen („Natürlich wollte ich mir nicht den ‚Spaß‘ erlauben, die Kathedrale anzuzünden“, Annaud im Interview bei Radio France). Er hat den Kern des Kirchenschiffs von Notre-Dame im Studio mit identischen Säulen nachbauen lassen und sogar das Schachbrettmuster des Bodenbelages sowie die Stühle, die derselbe Hersteller rekonstruierte, der auch die echten Stühle hergestellt hatte. Dann ließ er das brennende Material auf den Bodenbelag stürzen, während elf Kameras dies gleichzeitig aus unterschiedlichen Perspektiven filmten. Annaud hat dies mit realen Filmaufnahmen kombiniert, die während des Brandes am 15. April 2019 gemacht wurden.
Die eigentliche Brandursache steht offiziell noch nicht fest. Wohl aber brachte er zutage, dass der „Wald“, wie jene 900 Jahre alten Eichenbalken im Dachstuhl genannt wurden, ein Jahr vor dem Brand mit einem Antipilzgel besprüht worden waren. Dies geht aus Dokumenten eines französischen Chemikers der Universität Shanghai hervor. Doch dieses Antipilzgel Xilix Gel Fongi+ machte die uralten Hölzer leicht entflammbar. Annaud sprach mit Nachbarn aus den sehr engen Straßen in der Nähe der Kathedrale, die sich an den Geruch des Sprays erinnern konnten, das auf alle Holzteile aufgetragen worden war.
Die Feuerwehr leistete Übermenschliches
Zusätzlich war dieses Spray mit einer Warnung versehen: ‚Im Falle eines Brandes niemals Wasser verwenden‘. Wasser auf diesem Produkt werde die Flammen verstärken. Die Feuerwehrleute wiederum, mit denen Annaud gesprochen hatte, waren nicht darüber informiert und hatten keine Ahnung. Annaud resümiert: „Es gab so viele Fehler, alles was schief gehen konnte, ist schief gegangen!“
Lediglich die Feuerwehr leistete schier Übermenschliches. Nicht nur, dass sie erhebliche Probleme hatte, durch den dichten Pariser Verkehrsstau an die brennende Kathedrale heranzukommen, sie hatte gegen unzureichenden Wasserdruck und durchlöcherte Schläuche zu kämpfen. Vor allem mussten die Feuerwehrleute durch die engen Wendeltreppen nach oben kommen; doch die waren so eng, dass sie übereinander steigen mussten, um durchzukommen.
Der Generaldirektor Laurent Prades, der den Schlüssel für jene Vitrine mit einer der heiligsten Reliquien der Christenheit – der Dornenkrone – hatte, war an diesem Abend bei einer Soirée in Versailles und hatte den Schlüssel mitgenommen. Ludwig IX. hatte die Reliquie im Jahr 1238 für 135.000 Pfund von Kaiser Balduin II. von Konstantinopel erworben, der die Krone an Venedig verpfändet hatte – und Frankreich damit 35 Jahre lang erheblich verschuldet. Heute würde diese Summe über 2 Billionen Euro entsprechen, so Annaud.
Doch Treppenwitz der Geschichte: In der Vitrine befand sich lediglich eine Replik der Reliquie. Die echte Krone wiederum befand sich in einem Tresor in Notre-Dame. Doch der aus Versailles an den Großbrand in der Pariser Innenstadt zurückgeraste Generaldirektor, der überdies noch seinen Zug zurück verpasste, konnte den Tresor nur entsprechend einem Code öffnen. Zunächst wurde er wie im Hollywood-Film von Polizeikontrollen zurückgeschickt; zudem konnte er sich im Stress den Code nicht merken und musste erst einen anderen Code-Inhaber anrufen. Dies alles, während glühende Holzstücke von oben herunter fielen, das Kirchenschiff mit verbrannten Balken übersät und das Gewölbe bereits durchlöchert war.
Die legendäre Orgel in Notre-Dame blieb weitgehend verschont
Mehr Drama geht kaum; Annaud setzt es perfekt um, zeigt erstaunlich junge Feuerwehrleute und etwas merkwürdig viele „Feuerwehrleutinnen“, obwohl nur ein Prozent der französischen Feuerwehrleute weiblich sein sollen. Während die Chefs der Feuerwehrleute nicht bereit waren, das Leben ihrer Feuerwehrleute zu riskieren, meldeten sich Freiwillige, die nicht ansehen mochten, wie ein Nationalheiligtum in Flammen untergeht. Annaud zeigt, wie der verantwortliche Feuerwehrchef offenbar Staatschef Macron bittet, die Verantwortung zu übernehmen, damit der Einsatz stattfinden könne.
So jedenfalls wurde es ihm erzählt; er verwendet auch echtes aktuelles Filmmaterial. Doch er benutzt nicht die gleichen Schnitte und die gleiche Erzählung wie im französischen Fernsehen. Dort hatte man den Eindruck, dass Macron „Ja“ gesagt habe. Doch Annaud in einem Interview mit dem „Telegraph“: „Das hat er nie getan.“ Er hat lediglich die Hand auf die Schulter des Chefs gelegt und hatte nicht ‚nein‘ gesagt. Sein Schweigen wurde als Zustimmung gewertet. Die Freiwilligen legten dann Wasserleitungen hoch in den lichterloh brennenden Dachstuhl – eine sehr gefährliche Angelegenheit. Doch sie konnten wundersamerweise den Brand löschen.
Das Schicksal eines der größten Kulturgüter Europas berührte viele Menschen auf der gesamten Welt. Der Brand öffnete die Spendengeldbörsen in aller Welt, es kam genug Geld für Wiederaufbau und Restaurierung zusammen. In Frankreich sind die Kirchen im Gegensatz zu Deutschland nicht so reichlich mit Staatsgeldern gesegnet. Das ist mehr als der Brand eines Gebäudes. „Es war weit mehr als nur ein Denkmal, das brannte“, sagt Annaud. „Hier haben wir es mit etwas Heiligem zu tun … Es ist nicht nur ein Symbol des Glaubens, sondern auch der westlichen Zivilisation … Es geht über Europa hinaus.“
Dazu passt, dass das Schicksal eine der legendärsten Meisterwerke des späten Mittelalters verschont. Denn jene legendäre Orgel in Notre-Dame wurde weitgehend verschont. Die wurde kaum mehr verändert, seitdem sie im 17. Jahrhundert gebaut wurde. Sie war lediglich mit einer dichten Staubschicht bedeckt. Der Staub ist bleihaltig, deswegen können die Fachleute höchstens fünf Stunden mit Atemschutz arbeiten. Sie müssen jede der 8000 Pfeifen ausbauen, dekontaminieren, restaurieren, einbauen und wieder stimmen. Nur die großen hölzernen Pfeifen bleiben. Die sind zu groß und zu empfindlich, um sie auszubauen.
Für Oliver Latry, einen der drei Titularorganisten von Notre-Dame in Paris, ist es fast wie ein Wunder, dass nur ein paar Pfeifen etwas Löschwasser abbekamen. Sonst wurde an der Orgel nichts durch Feuer und Hitze beschädigt. Im April 2024 soll sie wieder erklingen – fünf Jahre nach dem Inferno.