Das Bild vieler Deutschen über die „Hitler Tagebücher“ hat der Film „Schtonk“ geprägt. Uwe Ochsenknecht gibt darin einen triebigen und geschäftstüchtigen Fälscher und Götz George einen ebenso schmierigen wie eigentlich dummen Journalisten. Doch so cineastisch gelungen und unterhaltsam der Film auch ist, so falsch könnte das Bild sein, das er vermittelt. Denn der NDR hat nun die Affäre aus dem Jahr 1983 untersucht und System im Vorgehen des Sterns entdeckt.
Bekannt und zugänglich waren die Texte der gefälschten „Tagebücher“ allerdings schon lange. Die Bild-Zeitung dokumentierte und analysierte sie schon 2013. Auch damals waren schon Stellen aufgefallen, wo Kujau-Hitler offenbar humaner erscheinen soll, etwa, wenn er „SA-Angehörige“ aus der Partei ausschließen lassen will, weil sie „Marxisten“ misshandelten.
Funke sieht darin mehr als das Schelmenstück eines Kleinkriminellen und eines skrupellosen Stern-Journalisten: Es sei ein „klarer Akt von Geschichtsfälschung“, ein „Ausdruck von Holocaustleugnung“. Ebenfalls an der jüngsten Forschung war die Historikerin Heike Görtemaker beteiligt, sie erkennt in den Hitler-Tagebüchern des Sterns eine „massive historische Umdeutung“. Der Stern habe öffentlich ein neues Bild vom Massenmörder zeichnen wollen: „Der fiktive Hitler (des Sterns) hat mit nationalsozialistischen Gewaltverbrechen nichts zu tun. Er ist sogar derjenige, der versucht, andere seiner Parteigenossen im Zaum zu halten.“
Der Fälscher Konrad Kujau und der Stern hätten ein Bild zeichnen wollen von einem Adolf Hitler, der sich für die Juden einsetzt. Auf eine besonders bösartige Stelle weist der NDR in seiner Pressemitteilung hin. Am 20. Januar 1942 schreibt Kujaus Hitler in sein vermeintliches Tagebuch: „Erwarte die Meldungen der Konferenz über die Judenfrage. Wir müssen unbedingt einen Platz im Osten finden, wo sich diese Juden selbst ernähren können.“ Am 20. Januar 1942 tagten am Wannsee hochrangige Vertreter des NS-Reichs und beschlossen die „Endlösung der Judenfrage“, was eine Chiffre ist für den systematischen Mord an den Juden Europas. Kinder, Frauen, Männer, Kranke, Gesunde, Alte, Junge – jeden Einzelnen.
Der Stern wäre heute gerne ein Frontläufer der woken Bewegung, sieht sich als Flaggschiff des Haltungs-Journalismus. Zu seiner Vergangenheit als Verbreiter der größten und dümmsten Fake News der bundesrepublikanischen Geschichte schweigt das Haus heute brüllend laut. Damals, 1983, tönte der Stern: „Die Geschichte des Dritten Reiches wird in großen Teilen neu geschrieben werden müssen.“ Vom linken Vorzeigeblatt. Im Sinne der extremst extremen Rechte.
Der NDR deckt auch Hintergründe der mittlerweile selbst historisch gewordenen Figur Kujau auf. Demnach habe der Lieferant des Sterns Kontakte bis ins Umfeld des Neonazi-Führers Michael Kühnen gehabt. Seine Initiative, sich an den Stern zu wenden, sei aus einer Diskussion innerhalb der Szene hervorgegangen, darüber, wie einfach es sei, historische Dokumente zu fälschen. Ermittlungsansätze damals gaben Hinweise, wie sehr Kujau wohl in die Nazi-Szene jener Tage verstrickt gewesen war – doch das hätten die Medien seinerzeit totgeschwiegen. Die Konkurrenz, die auf eine Ente hereinfällt, war für sie offensichtlich eine Story – das linke Vorzeigeblatt mit rechtem Dreck am Stecken aber nicht.
Die vollständige Recherche war Thema in „Reschke Fernsehen“, am Donnerstag, 23. Februar, ab 18 Uhr, und um 23.35 Uhr in Das Erste, in der ARD Mediathek zu sehen.