Tichys Einblick
Mediales „Augen zu und durch“

Nach der historischen Schuldenorgie: War da was?

Der deutsche Blätterwald steht still und schweigt, obwohl es zum Thema noch viel zu sagen gäbe. Ein mediales „Augen zu und durch“.

IMAGO / Achille Abboud

Bloß nicht hinschauen oder gar nachtreten? Der deutsche Blätterwald steht still und schweigt, obwohl es zum Thema noch viel zu sagen gäbe. Ein mediales „Augen zu und durch“

Beim „Stern“ jubelt Rolf-Herbert Peters: „Warum die 500 Milliarden für unsere Kinder ein Glücksfall sind … Kritiker wettern, die kommende Regierung hinterlasse der folgenden Generation erdrückende Schuldenberge. Das Gegenteil ist richtig: Nicht zu investieren, wäre ruinös … Das Sondervermögen lässt alle am Ende besser dastehen … ist eine gute Idee. Weil es eine volkswirtschaftlich kluge, unternehmerische Entscheidung ist. Das Sondervermögen dürfte sich sogar als wahrer Glücksfall für kommende Generationen erweisen.“

Beim „Focus“ ist der neue UN-Job von Frau Baerbock und der Protest von Heusgen dagegen die wichtigste Nachricht, gefolgt von der dringenden Warnung vor – man höre und staune – finanzieller Instabilität in den Familien, da müssten jetzt „… die Eltern ran. Aber wie, wenn sie selbst nicht so gut im Umgang mit Finanzen sind? – Geizige Mütter, verschuldete Väter: Wie man Kindern einen gesunden Umgang mit Geld vorlebt.“ Nur ganz, ganz weiter unten kommentiert Ulrich Reitz: „Merz verstolpert seinen Adenauer-Moment – Grüne und Pistorius nutzen es aus.“ Und Gabor Steingart findet in seinem Gastkommentar: „Schulden-Merz im Glück: Jetzt erlebt unser Land 6 Wirtschafts-Überraschungen“.

Volker Petersen darf bei „n-tv“ das Gestern medial abhaken und weiterwinken: „Die nächste Bundesregierung darf sich verschulden wie keine vor ihr – das gibt dem künftigen Kanzler Merz die Chance für kraftvolles Regieren. Damit der Schuss nicht nach hinten losgeht, muss er jetzt aber sein zweites großes Versprechen einhalten.“

Basta bei der Frankfurter Rundschau: „Der Bundestag hat die Grundgesetzänderungen für das Finanzpaket von Union und SPD angenommen. Merz’ Plan hat damit die nächste Hürde genommen.“ Und unterstellt dem Erfolgreichen dann gleich: „Maske fällt“: Friedrich Merz zeigt laut Therapeutin Besorgnis erregendes Verhalten“

Bei der „Süddeutschen“ sorgt man sich vernehmbar um die vermeintlich gute Sache: „Merz‘ schwerer Weg ins Kanzleramt … für ihn war die Abstimmung am Dienstag im Bundestag ein dringend benötigter Erfolg. Der Bundestag hat für eine Änderung des Grundgesetzes und für Investitionen in Billionenhöhe gestimmt. Steht damit die neue Koalition? Drohen Klagen? Die wichtigsten Fragen und Antworten.“

Die Seite MSN stellt nach dem gestrigen Tiefpunkt den Sparfuchs Merz heraus: „..in den kommenden Wochen will der voraussichtlich nächste Kanzler Friedrich Merz (CDU) ‚harte Entscheidungen‘ bei den Sozialausgaben treffen … es muss einen Kassensturz unseres gesamten Haushaltes geben“, sagte Merz dem ‚RTL Nachtjournal Spezial‘ am Dienstag.“

Auch beim „Spiegel“ hat den Raum für eine mögliche kritische Berichterstattung über die Mutter aller Schuldenabstimmungen der schlichte Kehraus nach einer gaaaanz normalen Abstimmung eingenommen: „Finanzpaket von Union und SPD … so haben die einzelnen Abgeordneten abgestimmt“.

Immerhin, Torben Ostermann darf für die „Tagesschau“ ein paar kritische Töne anbringen: „Milliarden da, Glaubwürdigkeit beschädigt … an Geld dürfte es einer neuen schwarz-roten Regierung nicht fehlen. Doch der Weg zu einer Mehrheit für das Finanzpaket war vor allem für Friedrich Merz schmerzhaft. Der wohl künftige Kanzler hat ein Glaubwürdigkeitsproblem … Vieles an dieser Sitzung wirkte schräg. Vorne saßen die Reste der Ampel-Regierung, inklusive Noch-Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Im Plenum hunderte Abgeordnete, die am Wahltag rausgewählt wurden und nun noch über Grundgesetzänderungen abstimmen dürfen oder müssen … auffällig war aber auch, wie geschmeidig Union und SPD bereits im Umgang miteinander sind.“

Die „Zeit“ rät, unter dem Foto eines behäbig und a bisserl gwampert im Sessel fletzenden Friedrich Merz: „Gewöhnen wir uns dran … Friedrich Merz hat die wichtigste Hürde zum Kanzleramt genommen. Dabei hat er seine Stärken und Schwächen gezeigt, mit denen er Deutschland bald regieren wird.“

Dominik Rzepka gibt beim ZDF in seiner „Analyse“ grünes Licht: „Sondervermögen beschlossen: Jetzt kann Merz auch Kanzler werden … damit öffnet sich für Friedrich Merz das Kanzleramt.“ Auf dem Weg dorthin habe er aber „Fehler gemacht“. Ach neee.

Fürs Handelsblatt war das nur ein Hindernisrennen: „Finanzpaket nimmt erste Hürde – Bundestag stimmt für Grundgesetzänderung“.

Auch beim Merkur aus München ist die historische Abstimmung schon wieder Geschichte, man geht ans Verteilen der erlegten Beute: „Wer regiert nach der Bundestagswahl? Diese Minister stehen für Merz’ Kabinett bereit“.

Nils Hermsdörfer von der Frankenpost darf a bisserl stänkern: die Hofer Mittelstands-Union „schieße gegen Merz“, das sei „…Kritik aus den eigenen Reihen“, denn sie „ärgert sich über das Schulden-Paket von Union, SPD und Grünen – und wittert Wählertäuschung“.

Beim Sender WDR darf Ingo Neumeyer zusammen mit einem Ökonomen namens Carl Mühlbach, Gründer der NGO „Fiscal Future“, stellvertretend für „Wirtschaftswissenschaftler“ erklären, dass zwar „die Milliardenschulden, die mit dem schwarz-roten Finanzpaket möglich werden … auf viele schwindelerregend wirkten … doch seien Schulden wirklich immer schlecht?“ Mühlbach: „Wenn ich mich als Privatperson verschulde, um ein Haus zu kaufen, möchte ich den Kredit in der Regel abbezahlt haben, bevor ich in Rente gehe, denn dann wird mein Einkommen reduziert. Der Staat geht aber nicht in Rente. Es wird immer Löhne und Gewinne in einer Wirtschaft geben, aus denen sich Steuereinnahmen generieren. Ich als Privatperson will irgendwann schuldenfrei sein, beim Staat ist das nicht so.“

WDR: „Merkels ‚schwäbische Hausfrau‘ ist nicht mehr gefragt“: Bundeskanzlerin Angela Merkel habe vor Jahren den Begriff der „schwäbischen Hausfrau“ als Vorbild für die deutsche Finanzpolitik geprägt: sparsam, bedacht, risikoarm, möglichst wenig Schulden machen. Doch viele Ökonomen nahmen später Anstoß an dieser Metapher. Auch Carl Mühlbach: „Keine schwäbische Hausfrau würde zulassen, dass es in ihr Haus hineinregnet, weil das Dach nicht saniert wird. Die würde auch im Zweifelsfall einen Kredit aufnehmen, um ihr Haus instand zu halten.“

Also: keine Sorge! Die hat auch Berthold Kohler von der FAZ nicht, wenn er schreibt: „Der Beschluss sendet – bei all den problematischen Folgen, die mit dieser Kreditermächtigung verbunden sind – das so richtige wie nötige Signal nach innen wie nach außen: Deutschland mobilisiert nun endlich all seine Kräfte und Möglichkeiten, um den schon lange bekannten, zuletzt aber rapide gewachsenen Gefahren für seine Sicherheit und seinen Wohlstand die Stirn zu bieten. Der kranke Mann Deutschland braucht eine strenge Diät!“

Der Tagesspiegel titelt unter einer Luftaufnahme emsig an Schienen werkelnder Arbeiter: „Fast eine Billion für Verteidigung und Infrastruktur: So verändert das riesige Schuldenpaket Deutschland … der Bundestag hat mit Zweidrittelmehrheit für eine Reform der Schuldenbremse gestimmt. Votiert auch der Bundesrat dafür, wird sich das Land nachhaltig verändern..die Abstimmung fiel überraschend eindeutig aus.“ Außerdem nennt das Blatt die drei Abgeordneten, „die Merz’ Schuldenplan nicht zugestimmt hätten“.

Dem „ManagerMagazin“ ist wichtig, dass „… der künftigen Bundesregierung bald wohl erheblich größere finanzielle Spielräume zur Verfügung stehen … , um die geplanten Ausgaben für Verteidigung und Infrastruktur stemmen zu können….“ Das MM zitiert Jürgen Hettler, Analyst der DZ Bank: „Die Renditen der zehnjährigen Bundesanleihen haben angesichts perspektivisch höherer Staatsausgaben und weiterer Anleiheemissionen bereits deutlich zugelegt. Zwar sei in den nächsten Jahren mit einem viel höheren Defizit zu rechnen. „Mit Blick auf den Haushalt und die Schuldenstandsquote steht Deutschland trotz der Milliardenpakete im internationalen Vergleich aber weiter akzeptabel da … die Milliardeninvestitionen böten die Chance, neue und nachhaltige Wachstumsimpulse für die deutsche und europäische Wirtschaft zu setzen. Die künftige Regierung müsse das zusätzliche Geld aber sinnvoll investieren und dabei auch private Anleger einbeziehen.“

Der MDR zieht nach einem „Faktencheck – Hat Merz mit dem Sondervermögen die Wähler getäuscht?“ das zahme Fazit: „CDU-Chef Friedrich Merz hat sich im Wahlkampf nie für neue Schulden ausgesprochen und damit für eine Reform der Schuldenbremse. Jetzt aber, drei Wochen nach der Bundestagswahl, ist der Weg frei für ein Hunderte Milliarden schweres Schuldenpaket.“

Für die Deutsche Welle macht nicht in erster Linie die Höhe der Schuldensumme, sondern das Abstimmungsergebnis die Schlagzeile aus: „das habe es in der Geschichte des Deutschen Bundestags noch nie gegeben: Mit Zweidrittel-Mehrheit stimmte das Parlament für drei Änderungen im Grundgesetz, die eine nie gekannte Schuldenaufnahme möglich machen sollen.“ Und der Sender bebildert im Artikel von Sabine Kinkartz die „Baustellen“, auf denen „Deutschland will viele hundert Milliarden Euro zusätzlich in Landesverteidigung und Infrastruktur stecken will und wofür der Bundestag nun grünes Licht gegeben habe“ großformatig: „Die Bundeswehr – hier Panzer vom Typ Leopard – braucht dringend Aufwuchs … Damit die Bahn wieder zuverlässig und pünktlich wird, muss gebaut werden – so wie hier 2024 in der Nähe von Frankfurt am Main“.

Wie gewohnt: ein mediales „Augen zu und durch“.

Anzeige
Die mobile Version verlassen