Am Ende blieb Hitler. Am Anfang stand allerdings nicht der Selbstmord des „Führers und Reichskanzlers“ am 30. April 1945 in Berlin. Der amerikanische Unternehmer, politische Aktivist und zukünftige Regierungsberater von Donald Trump, Elon Musk, hatte seine Unterstützung für die AfD im Bundestagswahlkampf deutlich gemacht. Zuerst auf dem ihm gehörenden sozialen Netzwerk X, anschließend in einem Gastbeitrag in der Welt am Sonntag. Als die Debatte darüber so richtig in Gang gekommen war, kündigte er auf seinem X-Account ein Gespräch mit der AfD-Vorsitzenden Alice Weidel an. Musk ist ein Experte im Triggern, so nennt man in den Medien die Praxis, seine Mitmenschen möglichst schnell auf die Palme zu bringen.
Entsprechend dieses ungeschriebenen Gesetzes der Aufmerksamkeitsökonomie hatte es in klassischen Medien schon länger eine Kampagne gegen Musk gegeben. Robert Habeck, Kanzlerkandidat der Grünen, will sogar die deutsche Demokratie vor dem vermeintlich reichsten Mann der Welt retten. Vom Titelblatt des Spiegel schaute er mit ernster Miene und voller Entschlossenheit auf den potenziellen Leser mit den Worten herab: „Finger weg von unserer Demokratie, Herr Musk“. Diese Finger, so der Verdacht, hantieren an einem mysteriösen Algorithmus, der Musk und seine politischen Gesinnungsgenossen bevorzuge. Der Vorwurf bestand somit darin, dass X das mache, was es vor der Übernahme durch Musk nachweislich praktizierte: eine Manipulierung des politischen Diskurses. Das war auch der Grund, warum die EU Gesprächsbeobachter in Kompaniestärke zum Dienst an der Diskursfront abkommandierte.
Willenlose Weidel-Zombies?
Dieser Vorwurf ließ sich bei X bisher nicht belegen. So kam der WDR-Kollege Georg Restle mit einem Satz vom 6. Januar auf stolze 2,7 Millionen Sichtungen: „Shut up, Elon Musk! We don’t want your fascism in Europe!“. Musk reagierte darauf einen Tag später mit 45 Millionen Sichtungen, womit die Reichweite des Restle-Satzes regelrecht explodierte. Restle gehört damit neben Naomi Seibt aus Münster und Alice Weidel zu den wenigen Deutschen, die der X-Meister persönlich ansprach.
So musste die Ankündigung des Gesprächs mit Weidel voraussehbare Reaktionen auslösen: Sogleich kam der Verdacht einer illegalen Wahlkampfspende auf, die aber dem Segment des rechtlichen Obskurantismus zugeordnet werden muss. Ansonsten wurde Musk als der berühmte Fuchs im Hühnerstall vorgestellt, der auf lauter einfältige Hühner im Publikum trifft. Theoretisch gab es drei denkbare Folgen des Gesprächs. Erstens: Im Gespräch würden telepathische Wellen ausgesendet, die aus mündigen Bürgern willenlose Weidel-Zombies machen. Zweitens: Das Gespräch würde die Zuhörer mit Argumenten überzeugen. Oder drittens: Das Gespräch endet so wie alle Konversationen. Manche finden es überzeugend, andere nicht.
Für die Theorie telepathischer Manipulation gab es bisher keine Nachweise. Ob die Argumente überzeugend waren, hing vor allem von der politischen Positionierung ab. AfD-Kritiker fühlen sich bestätigt, die Anhänger auch. Solche Formate richten sich an die überschaubare Minderheit politisch hoch interessierter Zeitgenossen. Wer sich von denen noch ein eigenes Bild machen will, findet die Videoaufnahme mit Musk als Standbild oder auch die Abschrift beim Nordkurier. So war nicht das Gespräch selbst das relevante Ereignis, sondern die anschließende Berichterstattung. In allen Lagern dominierte die Enttäuschung. So wurden Weidels „holpriges Schul-Englisch“ (taz) oder ihr Lachen thematisiert.
Die inhaltliche Kritik im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wird in diesem Beitrag der Aktuellen Stunde des WDR in 2:54 Minuten gut zusammengefasst. Es wird von einem „teilweise kruden Gespräch“ gesprochen, inhaltlich sei es um „alles Mögliche gegangen“ und beide stellten „wilde Thesen auf“, hätten einander nicht widersprochen. Das Gespräch sei ein „Paradebeispiel, wie der Unternehmer und Plattformbesitzer Politik macht und Einfluss nimmt“. So beschuldige er den britischen Premierminister Starmer, während er die italienische Rechtspopulistin Georgia Meloni „hofiere“. Es ginge für Musk um Milliardenbeträge beim Aufbau eines Satellitensystems für Italien.
Schließlich wird mit Jan Skudlarek ein „Experte für digitale Ethik“ um eine Einordnung gebeten. Der nennt Musk einen „Oligarchen“; dieser sei ein „Machiavellist, der seine eigene Macht ohne Moral durchsetzen“ möchte, der sich nicht „an Gesetze und demokratische Regeln gebunden“ fühle. Schließlich missbrauche er die Meinungsfreiheit, um die Menschen zu radikalisieren. Er habe mit X „eine Propaganda- und Radikalisierungsmaschine“ geschaffen.
Faktenchecks mit alternativen Fakten
Das war kein Kommentar, sondern firmierte als journalistischer Bericht über das Gespräch. Die Aktuelle Stunde ist die Nachrichtensendung der größten Sendeanstalt im ARD-Verbund. Es fehlt hier alles, was Berichterstattung ausmacht. Eine nüchterne Zusammenfassung des Geschehens, selbstredend mit kritischen Reaktionen etwa der politischen Konkurrenz. Stattdessen durften sich die Zuschauer Invektiven wie „krude“ und „wilde Thesen“ anhören, die Einordnung eines Experten, der nicht informierte, sondern sich als publizistischer Scharfrichter mit dem rhetorischen Fallbeil exponierte. Dem Zuschauer wird nicht die Meinungsbildung ermöglicht, sondern vorgegeben. Bei einer kursorischen Übersicht ist in ARD und ZDF praktisch überall das Gleiche zu lesen.
Im heute journal vom 9. Januar widmet das Flaggschiff des ZDF diesem Gespräch fast 15 Minuten. Im Mittelpunkt steht eine Einordnung durch den Experten Martin Andree, Medienwissenschaftler an der Universität Köln. Musk habe Trump nach der Twitter-Übernahme im Präsidentschaftswahlkampf „über die Ziellinie“ geschoben, jetzt habe er sein Vermögen auf 400 Milliarden Dollar gesteigert, Twitter sei daher wahrscheinlich „die beste Investition seines Lebens“ gewesen. Das alles bindet Andree in allgemeine Kritik an Tech-Konzernen ein, die aber zahnlos bleibt: Denn diese haben im Umgang mit Trump nie den Anschein der Neutralität gewahrt, wie auch Experten nicht erst seit den Einlassungen von Mark Zuckerberg wissen sollten.
Zudem vergaß das ZDF, dem erstaunten Publikum seine eigenen Erkenntnisse mitzuteilen. Wenige Tage vor der Wahl teilte der Sender nämlich die Höhe der Wahlkampfspenden mit: „Harris sammelt doppelt so viel Geld wie Trump“, so die Schlagzeile. Big Business war nie auf der Seite von Trump und Musk, das galt auch für die überwiegende Mehrheit der Tech-Konzerne. Bill Gates ist nur ein prominentes Beispiel. Das ist ein Paradebeispiel für argumentative Willkür, um einmal diesen Begriff zu nutzen.
Dem dienen auch die Faktenchecks mit alternativen Fakten. Die Tagesschau hat das bekanntlich zu einer hohen Kunst entwickelt, so auch in der Rückschau auf dieses Gespräch. So gab es zwar für Flüchtlinge zu keinem Zeitpunkt ein Grundrecht auf Freizügigkeit im Schengenraum, aber die alternativen Faktenproduzenten behaupten das einfach. Deshalb war es auch immer ein Streit um des Kaisers berühmten Bart, ob Bundeskanzlerin Angela Merkel die Grenzen im Jahr 2015 geöffnet oder nicht geschlossen hat. Das gilt auch für die Aussagen Weidels zur Kriminalitätsstatistik, angesichts derer die Tagesschau darüber aufklärt, es sei 2015 und 2016 noch schlimmer gewesen.
Um den deutschen Sonderweg namens Energiewende zu legitimieren, verweisen die Tagesschau-Autoren auf den Atomausstieg Italiens im Jahr 1990. Das hat zwar mit dem Argument Weidels nichts zu tun, erfüllt aber einen Zweck: Solche Pseudo-Fakten dienen der Entkontextualisierung von Argumenten. Das kann man fortsetzen, etwa bezüglich einer OECD-Statistik über die Abgaben- und Steuerlast. Eine politisch rationale Debatte begänne mit Argumenten zugunsten der Energiewende, der Asylpolitik oder der Organisation unseres Steuer- und Sozialversicherungssystems. Das kann man alles für richtig oder falsch halten, unabhängig davon, wie Fakten alternativ interpretiert werden. Die rabulistischen Faktenchecks sollen hingegen keine Fakten liefern, sondern einen Korridor legitimer Meinungsäußerungen definieren.
Von einer „sozialen Gleichschaltung der Presse könne also keine Rede sein. Die Presse blieb vielfältig. Aber man zog ihr Grenzen, die sie nicht überschreiten durfte“, so beschrieb der deutsche Publizist mit britischer Staatsangehörigkeit Sebastian Haffner 1987 in seinem Buch „Von Bismarck zu Hitler. Ein Rückblick“ das Mediensystem der Nazis. Auf diese Weise sei erreicht worden, „dass auch einem nicht-nationalsozialistischen Publikum das, worauf es Goebbels und Hitler ankam, auf eine Art beigebracht wurde, die es schlucken konnte. Eine fast genial zu nennende Form der Manipulation der öffentlichen Meinung, und mehr noch, der öffentlichen Stimmung, ohne dass den Menschen Ideen aufgedrängt wurden, für die sie im Sinne der Reichsführung noch nicht reif waren.“ Natürlich sind die alternativen Fakteninterpreten der Tagesschau deshalb keine Nazis. Die hatten allerdings auch kein Monopol bei dem Thema, wie manipulativ Medien genutzt werden können.
ARD und ZDF an vorderster Diskursfront
Womit wir dortin kommen, wo deutsche Debatten immer enden: zum am 30. April 1945 in Berlin durch Selbstmord geendeten „Führer und Reichskanzler“. Bei Adolf Hitler findet man keine Hinweise für den Umgang mit zeitgenössischen Problemen. Er ist in der deutschen Geschichte ein singulärer Fall, präzedenzlos für die Vor- und Nachgeschichte. Hitler einen Kommunisten zu nennen, wie es Weidel tat, ist eine historische Absurdität. Die Kommunisten waren die Feinde Hitlers, aber teilten in der Ablehnung der liberalen Demokratie deren Grundverständnis. Deshalb nannte Kurt Schumacher, der erste Nachkriegsvorsitzende der SPD, die Kommunisten „rot lackierte Nazis“. Dass der Nationalsozialismus für Deutschland eine soziale Revolution bedeutete, galt schon seit 1965 als eine gesicherte Erkenntnis. In jenem Jahr veröffentliche der Soziologe (und spätere FDP-Politiker) Ralf Dahrendorf sein Buch „Demokratie und Gesellschaft in Deutschland“. Heute interessieren Hitler und der Nationalsozialismus niemanden mehr; von Interesse ist allein das in diesem Begriff befindliche demagogische Potential. Das gilt für Weidel wie für ihre Kritiker in gleicher Weise.
So lässt sich eine Schlussfolgerung ziehen: Das Gespräch zwischen Musk und Weidel rechtfertigte nicht die Aufregung. Es war in weiten Teilen langatmig, ohne erkennbare Struktur. Die AfD-Kanzlerkandidatin war von der Gelegenheit hörbar ergriffen, sich mit dem vermeintlich reichsten Mann der Welt auf einer Wahlkampfveranstaltung unterhalten zu dürfen. Denn das war es: Wahlkampf. Den machen alle, wenigstens sind die Bemühungen bei allen Parteien nicht zu übersehen.
Interessanter war die Rezeption in den Medien. Sie dokumentieren deren weitgehende Dysfunktionalität. An vorderster Diskursfront befinden sich ARD und ZDF, die keine Fakten checken, sondern Berichterstattung durch Agitation und Propaganda ersetzt haben. Das ist allerdings nicht deren Aufgabe: Öffentlich-rechtliche Sendeanstalten werden von allen Bürgern finanziert, so dass eine seriöse Berichterstattung ohne Polemik erwartet werden muss. Eine gewisse Vielfalt im Meinungskorridor wäre ebenfalls zu begrüßen. Auf ihre telepathischen Fähigkeiten zur Steuerung des Wahlverhaltens sollten ARD und ZDF nicht setzen. Das funktionierte bekanntlich nicht einmal in dem Gespräch von Alice Weidel mit Elon Musk.