Mainz ist hipp. Aber halt auch klein. Für das ZDF ist das ein Problem. Von der Weltgeltung her sieht man sich als Mainzelmann gesellschaftlich auf einer Stufe mit dem Bundespräsidenten oder wenigstens mit dem Bischof von Köln – doch das gastronomische Angebot in Mainz kann solche Ansprüche nicht erfüllen. In den wenigen Szenelokalen, die es gibt, tummeln sich entsprechend die ZDF-Mitarbeiter auf engstem Raum. Eines davon liegt direkt am Rheinufer und wird von einem Koch betrieben, der seine Nase auch schon mal in die Kamera halten durfte und jetzt als „Star“ gilt – wenn auch in einer Szene, die viele Sterne kennt.
Hier in dem Szenelokal lässt sich mit ZDF-Mitarbeitern reden: Redakteuren, Freien, Stars vor der Kamera oder fest angestellten Mitarbeitern des Verwaltungsapparats. Offen lässt es sich reden. Hier. Mainz ist unterm Strich eine freisinnige Stadt. Ja, klar sei die neue Generation an Journalisten ein Problem: Handwerklich schlecht ausgebildet und am Handwerk auch gar nicht interessiert. Zum Fernsehen seien sie gegangen, weil sie der Welt ihre Meinung verkünden wollen. Zum Priester wären sie besser geeignet. Ob sie auch bereit wären, das öffentlich zu sagen?
Die Reaktionen auf die Frage erinnern an die Gespräche, die der Staatsanwalt in Oliver Stones JFK-Film führt: Sich damit öffentlich zitieren zu lassen? Das sei Selbstmord. Beruflicher Selbstmord. Die Furcht ist nicht unbegründet. Das ZDF hat sich von Katrin Seibold getrennt, obwohl sie ihre Kritik nur intern geäußert hat. Ole Skambraks ist einen Schritt weitergegangen und hat dem SWR einseitige Berichterstattung in Sachen Corona vorgeworfen. In dem offenen Brief „Ich kann nicht mehr“ formulierte er im Oktober den Vorwurf, der SWR würde zwar ausführlich über die Pandemie berichten, aber Aspekte wie Impfdurchbrüche ganz weglassen.
So hält sich der Erkenntnisgewinn der Seite in Grenzen: „Gesendet wurde nach meiner Beobachtung überwiegend, was das Narrativ bestätigte und am Leben hielt“, erzählt jemand vom ZDF. Nicht mal eine Angabe des Geschlechts soll Hinweise darauf geben, wer hinter der Quelle stecken könnte. Doch dass das ZDF weglässt, was nicht in die grün-linken Erzählungen passt, lässt sich auch mit bloßem Auge verfolgen – und nachweisen. Nie sei so viel Konformismus wie heute, sagt er. Oder sie. Die anonyme Quelle halt. Das stimmt zwar. Hätte aber als Aussage nur Relevanz, wenn es mit einem Namen und einem Gesicht verbunden wäre.
Zumal die Beiträge auf Meinungsvielfalt.jetzt meist recht allgemein gehalten sind. Echtes Insiderwissen blitzt eigentlich nicht hervor. Das war bei Seibold anders. Sie erzählte nach ihrer Kündigung, wie die Zentrale eine Geschichte über einen Giftgasalarm in den USA schon vorher designte und wie die Reporter für die Aufnahmen bereit waren, Bekannte einzusetzen – weil sie die ZDF-Realität liefern mussten, die mit der realen Realität halt nicht übereinstimmte. Ähnliches berichtete übrigens auch Claas Relotius, nachdem er der wiederholten Lüge überführt worden war: Weil Minnesota nicht so war, wie es sich seine Spiegel-Chefs vorgestellt hatten, erfand er Minnesota so, wie es seine Spiegel-Chefs bestellt hatten.
Nur wenige nennen auf Meinungsvielfalt.jetzt ihre echten Namen. Seibold gehört dazu und der ehemalige ORF-Moderator Reinhard Jesionek. Auch Nachrichtensprecher Martin Ruthenberg hat sich geäußert. Er betont die Loyalität zum SWR, spricht aber die Probleme in der Corona-Berichterstattung an: „Gleichzeitig ist es mir sehr schwer gefallen, täglich wiederkehrend aktuelle TodesZahlen zu verlesen; so nackt und ohne BezugsGröße verkündet geht ihr InformationsGehalt meines Wissens gegen Null. Die bedauerliche Anzahl der Toten verbreitet vor allem Angst.“ Abweichende Meinungen würden zudem nicht gehört.
Meinungsvielfalt.jetzt ist als Versuch, diesen Teufelskreis zu durchbrechen, aller Ehren wert – aber letztlich nicht geeignet. Es braucht Journalisten, die ihren eigenen Namen einsetzen, um die für alle greifbaren Missstände zum Thema zu machen. Immerhin: Seibold, Skambraks und Ruthenberg sind ein Anfang. In der Rubrik „Reaktionen“ finden sich Autoren, Filmemacher und Dozenten mit vollem Namen, die eine Diskussion über die Qualität des öffentlich-rechtlichen Rundfunks führen wollen. Dringend notwendig wäre es.