Caren Miosga hat sich ungeheuer viel vorgenommen an diesem Abend. „Fortschritt oder Rückschritt – Sind Sie ein Mann für morgen, Herr Merz?“ lautet das Thema ihrer Sendung, und der geneigte Zuschauer fragt sich zunächst mal: Momentchen, wieso denn „Mann von morgen“? Merz ist doch schon fast 70! Und wieso Mann: Wird Merz überhaupt männlich „gelesen“? Müsste man das nicht erst einmal klären?
Doch darüber herrscht Einigkeit an diesem Abend. Merz ist ein Kerl. Und ein Macho noch dazu. Wirft ihm zumindest die Zeit-Journalistin Mariam Lau in einem Einspieler vor. Es ist einer der Momente, in denen Merz gar nicht mehr aus dem Grinsen herauskommt.
Und derer gibt es viele. Denn selten wurde einem Mann, der noch nie ein Regierungsamt bekleidet hat, eine solche 60-minütige Werbesendung eingeräumt, ausgerollt wie ein flauschiger Teppich und der Form halber gespickt mit ein paar Reißzwecken, die in einem superdicken Langhaar-Flokati keinerlei Wirkung erzielen können.
Es ist kein Vertreter irgendeiner anderen Partei zugegen an diesem Abend. Alles für Merz. Alles für die CDU.
Es erinnert an das Wattebäuschchen-Wettweitwerfen mit der außenministernden Annalena Baerbock vor einer Woche. Nur schlimmer.
Merz war noch nie Minister, noch nicht einmal Landrat oder auch nur Bürgermeister. Warum sollte sich dies 2025 ändern? Weil ihn die Zeitläufte wider die Merkel und wider alles Ungemach der vergangenen Jahrzehnte plötzlich an die Spitze der Partei gespült haben, die in den Augen vieler Bundesbürger die einzige „demokratische“ Alternative zur Ampel darstellt. Dass viele der Probleme, die Deutschland gegenwärtig meistern muss, von genau dieser Partei verursacht worden sind – egal. Flüchtlingskrise, AKW-Aus, Verbrenner-Verbot und so weiter und so fort – die CDU war der Motor, die Ampel ist nur der Turbo. Und Miosga? Sie ist das Einspritzsystem. Sie stellt sicher, dass die alte, stotternde CDU-Maschine wieder auf Drehzahl kommt. Weiter so nach nirgendwo.
Es sind keine fünf Minuten vergangen, da fragt Miosga, ob die greifbare Kanzlerschaft 2025 für Merz irgendeine Genugtuung darstellen würde. Und Merz sagt ja.
Nein, tut er selbstverständlich nicht. Reingelegt,
„Da ist überhaupt kein Gefühl der Genugtuung“, sagt er stattdessen. Er darf sich darstellen, dies ist seine Bühne. Er aalt sich in 60 Minuten Personality-Pampering. Er darf den Ukraine-Krieg einordnen, das devote Verhältnis Deutschlands gegenüber den USA kritisieren, er darf von seinen Enkeln erzählen, die ihm auch schonmal die Fingernägel anpinseln, er darf die Absage der Ramstein-Konferenz beklagen, Putin ungebremste Kriegsgeilheit attestieren – kurzum, er darf palavern wie ein Großer. So als sei er längst Kanzler.
Ein Kanzler mit Herz – Friedrich Merz. Das TV-Planspiel nimmt seinen Lauf.
Immerhin, eines muss man ihm lassen: Merz antwortet klar, verständlich und in ordentlichem Deutsch. Zumindest dies unterscheidet seinen Auftritt von der Baerbock-Blamage eine Woche zuvor.
Vielleicht liegt es auch daran, dass Merz einfach stumpf und ungebremst all das wiederholen darf, was er ohnehin schon längst und oft gesagt hat: in schriftlichen Beiträgen für Tageszeitungen, in Parteitagsreden oder im Bundestag. Neu ist eigentlich nur die Sache mit den lackierten Fingernägeln. Jo mei, wie liab aber auch, würde Markus Söder wohl einstreuen. Darf er aber nicht, der muss kuschen. Welche Farbe mögen die Enkelinnen wohl gewählt haben. Miosga fragt leider nicht nach. Und dass Merz betont, dass nur seine weiblichen Nachkommen überhaupt zum Nagellack gegriffen haben – pfui Spinne! Da blitzen aber mal wirklich verachtenswerte, überkommene Rollenbilder durch, wie man sie sonst nur bei der AfD findet. Da wären eigentlich eine Ermahnung und eine Strafrunde durch Ferdas Folterbude fällig, Herr Merz!
Wir könnten hier jetzt brav rezitieren, was der altmodische und moderne, der knallharte und softe, der ernste und fröhliche, was dieser grundsympathisch-sachverständig-lieb-augenklimpernde Womöglichbaldkanzler so alles gesagt hat. Aber das ersparen wir uns. Es ist eh schon alles bekannt. Nur, wie gesagt, der Nagellack! Schade, schade, dass Miosga da nicht nachgehakt hat.
„Wir haben heute den Kanzlerkandidaten der CDU zu Gast“, sagt Miosga mitten in der Sendung. So, als ob es irgendwer vergessen haben könnte. Und da lächelt er wie ein Honigkuchenpferd, und er kann gar nicht mehr aufhören, und er lächelt, und er lächelt, und er lächelt. Minutenlang. Es ist einfach seine Sendung.
Ein Bild von Markus Söder wird eingespielt, der Merz die Hand reicht und sich dabei fast bis ins Laminat hinunterbückt wie einst Habeck bei den Kataris (okay, nicht ganz so schlimm, und damals war es sicher auch echtes Parkett). Merz darf sich zum zurückgetretenen SPD-Generalsekretär Kevin „Callcenter“ Kühnert äußern („Er tut mir leid“) und zur neuen Koalitionspartnerin in spe („Wir lassen uns von Sahra Wagenknecht nicht am Nasenring durch die Manege ziehen“). Ach, es ist einfach herrlich! Kein Zuschauer hat Spaß, aber Merz jede Menge. Und das muss wohl auch so abgemacht worden sein im Vorfeld dieser rund 220.000 Euro teuren TV-Produktion.
Weitere Beispiele gefällig? Miosga fragt allen Ernstes, ob Merz mit 17 schon daran gedacht habe, irgendwann mal Kanzlerkandidat zu werden (Spoiler: Nein, hat er nicht, potztausend) oder ob Angela Merkel die Yoko Ono der CDU sei (Merz: „Spannender Gedanke, schlechter Vergleich“). Oder ob Merz mit seinen 1,98m Körpergröße im Vergleich zu Bundeskanzler Olaf Scholz (1,70m) „größer oder nur länger“ sei. Miosga nennt diese erbarmungswürdigen Treibsandmomente deutscher, öffentlich-rechtlicher Journaille „eine kleine Runde bisschen unverschämter Fragen“, aber die eigentliche Unverschämtheit ist es, dass sie ihren verbliebenen Zuschauern kostbare Lebenszeit raubt. Okay, zugegeben: Wer hier eingeschaltet hat, darf sich am Ende nicht beschweren.
A propos Ende: Nach diesem Abend keimt Hoffnung auf. Denn geht es nach den aktuellen Umfragen, dann heißen die nächsten Kandidaten für eine volle Stunde wohlfeiler Wahlwerbung Alice Weidel und Saskia Esken.
Spült die Weidel ihr Nazi-Porzellan eigentlich per Hand ab? Und ist die Esken eigentlich Uroma? Miosga, übernehmen Sie!
*Epilog:
Die „Iden des März“ wurden berühmt durch William Shakespeares Theaterstück „Julius Caesar“, in dem eine Wahrsagerin Caesar vor den Iden des März warnt. Caesar ignoriert sie und wird schließlich am 15. März von einer Gruppe von Senatoren ermordet. Der Tag markiert einen entscheidenden Wendepunkt in der römischen Geschichte, da Caesars Tod zu Bürgerkriegen führte. Die Iden des März symbolisieren den Verrat und die Folgen von Machtkämpfen.