Tichys Einblick
Hass und Gewalt in Deutschland

Bei Miosga: Nancy Faeser zeigt „klare Grenzen“ – aber nur in eine Richtung

Bei Caren Miosga stehen Hass und Gewalt von Rechtsextremen und Islamisten auf der Tagesordnung. Entsprechend darf Innenministerin Nancy Faeser nicht fehlen, um sämtliche „klare Grenzen“ zu erklären. Aber „klar“ sind die Grenzen nur in eine Richtung.

Screenprint ARD / Caren Miosga

Bei Caren Miosga bestimmt nur eine Person die „klaren Grenzen“ für Hass und Gewalt in Deutschland und das ist die Innenministerin Nancy Faeser (SPD): Alles, was hinter dieser Grenze liegt, müsse „konsequent“ behandelt werden. So würden die Jugendlichen, die in dem Club „Pony“ auf Sylt „Ausländer raus“ gesungen haben, eine Grenze überschritten haben. Das war „zutiefst menschenverachtend und rassistisch“, sagt Faeser. Sowas könne man nicht machen. Es sei allerdings „nicht strafbar“, räumt Faeser ein – aber nicht ohne zu betonen, dass es nah an einer „Strafbarkeitsgrenze“ dran sei. Sonst hätte der Betreiber vom „Pony“ die Jugendlichen nicht angezeigt, begründet Faeser und zeigt sich sichtlich froh über seine Anzeige.

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Nicht so froh scheint Faeser wiederum darüber, wie diese Jugendlichen anschließend „offen an den Pranger“ gestellt wurden. Die Leute, die sowas tun, würden die Sitten verrohen: Die Strafverfolgungsbehörden sind laut Faeser dafür berufen, solche Fälle zu klären – und eben nicht irgendwer in den sozialen Medien. Diese Botschaft sollte Faeser vielleicht mal in ihrer Partei verlautbaren. Immerhin ist einer derer, die die Jugendlichen in den sozialen Medien an den Pranger stellen und deren Existenzen vernichten, Faesers Parteigenosse Torsten Liebig. Der hat ein Foto sowie den Namen von einer der Jugendlichen auf Instagram veröffentlicht und dazu geschrieben, sie suche eine Stelle als „Rassenhygienikerin“ oder „SS-Rottenführerin“, weil sie gerade „völlig unverschuldet arbeitslos“ sei.

Miosga könnte sich Faesers Worte auch zu Herzen nehmen: Sie hat die Parole „Ausländer raus“ als „Laila für Faschisten“ betitelt. Und dieses „Laila für Faschisten“ grölen laut Miosga nicht mehr nur „ein paar Leute um Höcke (AfD) herum und ein paar Abgehängte“, sondern auch diese „Champagner-Schnösel von Sylt“, wie Miosga die Jugendlichen vom Sylt-Vorfall bezeichnet.

Dabei ist die SPD selbst nicht so heilig, wie Miosga aufzeigt: Auf einem SPD-Plakat für die Europawahl hieß es „Deutschland dem Deutschen“. Das normalisiere den „Nazisprech“, kritisiert Miosga. Damit erwischt Miosga Faeser kalt. Das Plakat habe sie noch nicht gekannt, stammelt Faeser. Aber wenn eine Aussage doppeldeutig sei, dann müsse man „sensibel“ sein, sagt sie. Dieses Wahlplakat überschreitet also anscheinend keine von Faesers Grenzen. Es mangelt bloß an Sensibilität. Klar.

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Allerdings wird laut Faeser die Grenze überschritten, wenn politische Veranstaltungen verhindert werden oder Politiker angegriffen werden. Da müsse der Rechtsstaat „klare Kante“ zeigen, indem die Strafverfahren gegen die Täter beschleunigt würden: Sie nennt die Angriffe auf Marie Kollenrott (Grüne) und Matthias Ecke (SPD) – nicht aber den Anschlag auf das Haus des parteilosen Kommunalpolitikers Olaf Schöder. Aber diesen Angriff hat Faeser bestimmt nur vergessen und er würde ebenso die Grenzen, die sie aufstellt, überschreiten. Jedenfalls müsse der Rechtsstaat durch schnelle Verfahren die Kommunalpolitiker schützen, stellen Miosga und Faeser fest.

Als im zweiten Teil der Sendung Güner Yasemin Balci dazukommt, zeigt sich allerdings, dass eine klare Kante nicht nur in Fällen von Angriffen auf (links-grüne) Politiker notwendig ist. Sondern auch bei Straftätern aus der „muslimischen Community“: Balci ist Beauftragte für Integration in Berlin-Neukölln und sieht vor Ort, wie die Polizei fast täglich wegen der „ewig-selben“ Menschen im Einsatz ist. Die würden unzählige Male hintereinander die gleichen Straftaten begehen können: Mitglieder der islamistischen „Blauen Moschee“ würden beispielsweise andere bedrohen und Gegenstände mit dem „Hamas-Dreieck“ beschmieren, sodass sich viele Bürger nicht mehr sicher fühlten. Darum fordert Balci eine „harte Strafe“ für solche Täter: Islamistische Organisationen wie die „Blaue Moschee“ und „Muslim Interaktiv“ gehören ihrer Meinung nach verboten.

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Faeser sieht das anders. Sie möchte offenbar nicht, dass jemand anderes in dieser Sendung die klaren Kanten und Grenzen vorgibt. Das darf nur die Innenministerin. Und die findet: „Die Grenze ist hier nicht so eindeutig“. Ein Betätigungsverbot von solchen Vereinen solle „juristisch halten“. Aber sie versichert, die Behörden würden diese Vereine prüfen. Sie würde nicht nur reden, sondern auch handeln, so Faeser mit vorwurfsvollem Blick in Richtung Bolci. Die rutscht unruhig auf ihrem Stuhl vor und räuspert sich. Die Antwort hat ihr wohl nicht so gut gefallen. Verständlich: Denn Faeser ist nicht darauf eingegangen, weshalb die „ewig-selben“ Straftäter die gleichen Straftaten immer wieder begehen können, ohne vom Rechtsstaat abgehalten zu werden.

Aber Balci hat den rechtspolitischen Korrespondenten der Süddeutschen Zeitung, Ronen Steinke, an ihrer Seite: Der findet, dass Meinungsfreiheit aufhört, wenn Leute bedroht werden und ihnen Angst gemacht wird. Das sei bei den Mitgliedern von „Muslim Interaktiv“ der Fall: „Sie wollen das Sagen haben und alle anderen sollen die Klappe halten“, sagt Steinke. Er erwähnt nicht, dass es nicht nur Mitglieder von „Muslim Interaktiv“ sind, die solche Meinungen vertreten: Kürzlich ergab eine Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN), dass fast die Hälfte der muslimischen Schüler daran glaubt, dass der islamische Gottesstaat die beste Staatsform sei.

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Parallel zu dieser Entwicklung haben antisemitische Straftaten zugenommen. Das zeigt Miosga in einer Statistik: 2023 gab es mehr als 5.000 antisemitische Straftaten. Knapp die Hälfte davon haben nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober stattgefunden, so Miosga. Das sind rund 96 Prozent mehr antisemitischer Straftaten als im Jahr zuvor. Laut Steinke sind das aber längst nicht alle: Betroffene Juden erstatten in den „allermeisten Fällen“ keine Anzeige, weil sie dann mehr „Stress“ befürchten, sagt er. Den Grund dafür sieht Steinke darin, dass die Juden das Vertrauen in Polizisten verloren haben: Die würden sich teilweise rassistisch und antisemitisch verhalten, beispielsweise in Form von Bildern in Chatgruppen. Steinke benennt allerdings nicht, welchen „Stress“ Juden mit  Mitgliedern der muslimischen Gemeinschaft haben könnten, wenn sie einen von ihnen anzeigen. Stattdessen wünscht sich Steinke eine „klarere Kante“, „schnellere Verfahren“ und „strengere Maßstäbe“ für antisemitische Polizisten.

Faeser möchte jedoch wieder selbst die Kanten bestimmen. Und zwar dieses Mal – wie eigentlich jedes Mal – hin zu den Rechtsextremisten: Die würden die meisten antisemitischen Straftaten begehen. Bolci glaubt allerdings nicht, dass diese Statistiken, die Faeser meint, „sauber“ sind: Der türkische Rechtextremismus und der arabische Nationalismus würden in diese Zahlen meist nicht eingerechnet. Die darf man laut Bolci aber nicht unterschätzen.

Klare Meinungen von klaren Grenzen und klaren Kanten haben offenbar alle drei Gäste. Allerdings kann keiner beantworten, wieso Leute gegen Rechtsextremismus demonstrieren gehen und Jugendliche für ihre Aussagen im betrunkenen Zustand förmlich zerfleischen; aber niemand auf die Straße geht, wenn Extremisten dazu aufrufen, Israel auszulöschen, Terrororganisationen verharmlosen oder sogar zu Terroraktionen aufrufen.

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