Tichys Einblick
Eine Diskussion verändert sich

RBB-Doku zeigt Risse im Narrativ

Nach neun Jahren des breiten Kopf in den Sand Steckens, üben sich plötzlich gefühlt alle in der Kritik sowohl um die Folgen und die anhaltende ungeregelte Migration. Auch der bisherige „Rechtsextremismus-Experte“ der ARD macht jetzt auf Migrationssorgenversteher. Dabei zeigen sich dramatische Zustände in den neuen Asylvierteln. Man kann das auf hunderte Kommunen übertragen. Die Schieflage ist nicht mehr zu leugnen.

Screenprint: RBB

„Hunderte von Schlauchbooten, Gummiringen und Motoren“ wurden „in Bulgarien beschlagnahmt, um zu verhindern, dass sie für den Transport von Migranten nach Großbritannien verwendet werden“, so berichten die britische Nachrichtenseite Daily Mail Online und GB News Ende September. Die merkwürdige Tatsache, dass Material in Bulgarien gefunden wird, das später im Ärmelkanal, mehrere tausend Kilometer nordwestlich, verwendet werden soll, blieb unerklärt. 125 Schlauchboote, 128 Motoren und mehr als 700 Luftpumpen wurden konfisziert.

16,6 Millionen Pfund hätten die Kanal-Schlepper mit diesem Material verdienen können, heißt es. Dass es in Bulgarien aufgespürt wurde, heißt nicht, dass es dort schon verwendet wurde. Es handelt sich meist um eine Einmalnutzung. Aber trotzdem lässt der Fundort aufhorchen – zumal, wenn man einen Ausschnitt aus einem TikTok-Video sieht, der es jetzt in eine RBB-Dokumentation zur illegalen Zuwanderung geschafft hat (etwa bei Minute 2:00). Dort stellt sich eine noch weitgehend unbekannte Route dar, die von der türkischen Schwarzmeerküste kurz vor Istanbul mit dem Boot oder Schiff nach Nordbulgarien führt, worauf es auf dem Landweg mit Autos weitergeht: erst nach Rumänien, dann die Ukraine streifend, über die Slowakei, Tschechien, ein kleines Stück durch Polen und schließlich in eines der ostdeutschen Bundesländer. Der Zielort Deutschland unterliegt keinem Zweifel.

Man sieht: Die Ankünfte in Görlitz oder Frankfurt an der Oder müssen nichts mit der Grenze zwischen Polen und Weißrussland zu tun haben, an der Ministerpräsident Donald Tusk nun das Asylrecht aussetzen will. Aber die animierte Graphik mit den arabischen Länder- und Städtenamen bezeichnet auch nicht die klassische Balkanroute. Vielmehr scheinen wir es mit einer neuen Schwarzmeer-Route zu tun zu haben, die die gehäuften Ankünfte an den ostdeutschen Grenzen erklären könnte. Die Bulgaren finden jedenfalls immer wieder Schlauchboote, die aus der Türkei nach Europa geschmuggelt werden, etwa auch am gemeinsamen Grenzkommunikationspunkt mit Griechenland und der Türkei, Kapitan Andreevo.

Routen nehmen zu – Kommunikation ist gescheitert

Und während sich die Routen vermehren – Weißrussland, Kanaren, Finnland, jetzt also Schwarzes Meer –, geht die Situation in deutschen Kommunen einem Wendepunkt entgegen, und zusammen damit die Stimmung der kommunal, manchmal auch der föderal Regierenden. Denn in den Stadtstaaten sind Bundesland und Kommune eins. Darum blickt man inzwischen auch in sorgenvolle Gesichter, wenn man die regierenden Christ- und Sozialdemokraten in Berlin oder Bremen befragt. Der Punkt ist nah, an dem sich die ersten ernsthaften Risse im schönen „Integrationsland“ Bundesrepublik zeigen, auch bei rein äußerlicher Schau. Schon jetzt sind viele Ressourcen aufgebraucht. Wie wird darauf reagiert? Mit Flickwerk und Notbehelfen. Das wird aber erst in einigen Monaten und Jahren als früher geschehenes „Versäumnis“ nach außen treten und voll durchschlagen. Solange bleibt es beim Jammern der Kommunalfürsten auf erhöhtem Niveau.

In Berlin traut sich immer noch nur die Polizeipräsidentin an die Presse, was aber bedeutet, dass sie eine Erlaubnis dafür von der SPD-Innensenatorin hat. „Sie hat sich bereiterklärt“, fasst Olaf Sundermeyer das in seiner Reportage zusammen. Das heißt: Andere wollten lieber nichts sagen. Das ist der gewohnte Sound einer scheiternden Kommunikation zwischen Politik und Volk. Oder vielmehr: einer aufgegebenen Kommunikation. Die „dort droben“ wollen lieber nichts zu denen „da unten“ sagen, weil sich das nicht gut macht und vielleicht auch anderen (noch weiter oben) missfallen könnte. Ein Schweigekartell hat von der Migrationspolitik in Deutschland Besitz ergriffen, schon seit Jahren. Und es wird nur immer wieder einmal zentimeterweit geöffnet – weil man sich mehr nicht traut, und eigentlich alles so weiter laufen soll wie bisher. Und , ganz nach dem Wunsch der Regierenden, ob von CDU und CSU oder von SPD, Grünen und FDP. Aber warum eigentlich? Das ist die große Preisfrage.

Nun, die Polizeipräsidentin von Berlin, Barbara Slowik, drückt diesen ganzen Zustand in ihrer Körpersprache und Linguistik aus. „Ich glaube schon, dass eine Grenze erreicht ist, dessen, was leistbar ist“, sagt sie mit vielen Füllwörtern und Seufzern. Sie wiederholt ihre Aussage, dass Gewalt in Berlin „männlich, jung und nichtdeutsch“ ist. Auch die Messerstraftaten gehen ganz überwiegend von Nichtdeutschen aus, vor allem von – und jetzt auf der Zunge zergehen lassen – „syrischen Geflüchteten, irakischen, afghanischen Geflüchteten durchaus in einer größeren Zahl“. Es geht also nicht einfach um eine „nichtdeutsche“ Bevölkerung, sondern um eine, die dank der Asylzuwanderung zu uns kam, aufgrund von Schutzersuchen, die offenbar bald schon vergessen sind.

Sozialer Sprengstoff

Der Oberbürgermeister von Frankfurt an der Oder, René Wilke, spricht von Sprengstoff durch das weithin unbewältigte „Zusammenleben“ von Deutschen und Nichtdeutschen. Er erzählt von diesem „schönen Gedanken“, jener anfänglichen „Naivität“, wie er heute zugibt, dass „wir alle Menschen“ sind, die „alle denselben Wert“ haben, „egal, woher wer kommt“: „Man bringt einander zusammen und dann wird das gut miteinander sein.“ Aber genau diese „Illusion“ sei „mitverantwortlich“ gewesen für „das Zulassen von zu viel, zu schnell, zu unkontrolliert, zu wenig bearbeitbar“.

Man merkt, dass der frühere Linksparteiler Wilke die Idee von der Bereicherung durch Asylzuwanderung noch nicht ganz aufgegeben hat. Einen Gang langsamer, und wir hätten es geschafft, und wir könnten es auch weiterhin schaffen, meint er. Die „gewisse Willkür“, die er beklagt, ist aber leider dem derzeitigen System inhärent. Die Asylvergabe in Deutschland und anderen westlichen Ländern ist tatsächlich der Gipfel der Willkür und setzt grundlegend falsche Anreize für Migrationswillige auf der ganzen Welt, die sich – oft erst infolge dieses Köders – auf die Reise machen.

Zum Thema „Kontrollverlust“ zeigt Wilke einen Frankfurter Stadtteil, in dem sich Deutsche mit Ausländern mischen. Der Ort wird als „Angstraum“ beschrieben. Laut Wilke liegt dort „viel Sprengstoff“ unbeaufsichtigt herum. In dem Moment, in dem Wilke das sagt, hört man einen merkwürdigen Schrei aus dem Hintergrund. Der OB würdigt ihn mit einem verstohlenen Blick zur Seite.

Klassische Ansichten, die an der Realität zerbrechen

Ein schwarzer Passant weiß über das Viertel Bescheid: „Wenn ich zu dumm gucke, dann passiert hier auch viel.“ Er weiß, wie er sich zu verhalten hat, um nicht mit entsprechende Gruppen aneinander zu geraten. Messerstechereien, Raub und Diebstahl sind an der Tagesordnung. Augenkontakt sollte man besser vermeiden, ebenso den Bereich um den Park. Diese Regeln werden von anderen gesetzt, nicht von der demokratisch agierenden Gesellschaft, bemerkt auch Sundermeyer sinngemäß. Aus Talkshows kennt man ihn als Verfechter von ganz anderen Thesen und Themen. „Rechts“ ist da stets die große Gefahr. Denn Sundermeyer ist Rechtsextremismus-Experte. Was mag ihn bewogen haben, die Probleme durch Zuwanderung zu thematisieren? Es kann nur um die Eindämmung der Diskussion gehen, um das Präsentieren klassischer Ansichten zum Thema. Aber genau diese beginnen zu brechen, und zwar an der Realität selbst, wie sich wiederum in den verschiedenen Szenen zeigt.

Das ist das eigentliche Thema dieser Dokumentation, die sich vor allem Sorgen darum macht, wie man die Migration wieder auf die Spur leicht gemäßigter, aber dauerhafter Neuankünfte bringen kann.

Auch Sabine Platz machte im September Bekanntschaft mit den veränderten Realitäten am Frankfurter Hauptbahnhof, mit denen sich der Otto Normal Verbraucher seit neun Jahren jeden Tag auseinandersetzen und herumschlagen muss. Die ZDF-Journalistin äußerte in einem Instagram-Video ihre Bestürzung über die Situation am Frankfurter Hauptbahnhof. Sie berichtet von „offen gelebtem Elend“ und beschreibt die zahlreichen Drogendealer und Abhängigen, die ihr bei ihrem Besuch im September ins Auge fielen. Dies sei „nicht das Deutschland, das ich kannte“. Sätze, für die man bis vor kurzem noch von den teils gleichen Akteuren als Rechtsaußen geziehen wurde.

Nun, wo es bereits 5 nach 12 ist, ist es common sense.

Ebenso zeigt sich das gleiche Bild bei der FAZ.

Der geänderte Kurs in der breiteren Medienlandschaft, die viele Jahre lang Kritiker diffamiert und aus dem Diskurs ausgeschlossen hat, das immer noch tut, wird denn auch teils sehr spöttisch kommentiert. Im Fall der FAZ anbei noch freundlich formuliert:

Anzeige
Die mobile Version verlassen