Stephan Paetow: Zehn Minuten Merkel. Da hat man was gelernt, oder? Zunächst einmal fiel mir auf, dass Bettina Schausten sich mehrmals bedankte, dass Merkel „Die Einladung angenommen hat“ – wohl weil überall stand, Merkel habe sich eingeladen …
Fritz Goergen: Körpersprache und für ZDF-Verhältnisse freche Fragen, häufige Unterbrechungen der Worte der Regentin, völlig neu für Bettina Schausten, Spiegel-Bild des Autoritätsverlustes Merkel – oder?
P: Ja und nein. Zur Sicherheit war es ja eine Aufzeichnung, dass für den Fall, dass Schausten übertreibt, noch mal nachgedreht werden kann. Wäre da jetzt so eine Lusche mit Luschenfragen gekommen, hätten (auch) viele Unionisten den Fernseher aus dem Fenster geschmissen. Ich bin sicher, dass da viele auf eine Erklärung ihrer Alternativlosen gewartet haben. Eigentlich war es ja eine Sendung für CDU/CSU-Mitglieder (und Wähler), fanden Sie nicht auch?
G: Klar, Adresse Mitglieder. Herr Paetow, für Nachdrehen war keine Zeit, die zwei zentralen Botschaften wurden ja fast parallel zur Aufzeichnung in Video-Häppchen durch die Onlineableger der Printmedien rausgeblasen: bleibe vier Jahre und nenne CDU-Personalien vor dem CDU-Parteitag. Schausten: „Entgegenkommen“.
P: Meinen Sie, die zwei Minuten Ehrlichkeit sind Merkel nur so rausgerutscht? Dieses „Wir haben viele, viele Stunden (an einer Stelle sagte sie sogar 12 Stunden) nur über Posten geredet, nicht über Inhalte?“ Ich hatte das ja in der Blackbox satirisch insinuiert, aber so offen zugegeben hat das bislang noch niemand, auch in früheren Koalitionsverhandlungen, oder?
G: Sie steht unter einem unglaublichen Druck, das so offen zu sagen, hatte sie nicht vor, aber womit will sie den verlorenen Ressortkrieg eigentlich sonst verteidigen als mit bis zur letzten Patrone tapfer stundenlang gekämpft?
P: Herr Goergen, lassen Sie uns über Posten reden. Schmerzlich, schmerzlich sei der Verlust des Finanzministeriums, sagte Merkel. Aber als Entschuldigung gab sie unter anderem an, dass zuletzt ein „Schwergewicht wie Wolfgang Schäuble“ in der Union zur Verfügung gestanden habe. Jetzt also nur Leichtgewichte?
G: Adenauer hätte gesagt, aber andere haben wir doch nicht. Das war einer der Momente, die mir sagen, sie ist ziemlich durch den Wind. So auch, wenn sie sich auf ihre schwache Ankündigung, nicht nur Über-60-Jährige in die Regierung, sondern auch Jüngere, von Schausten – auch mimisch – unwidersprochen fragen lässt, „vielleicht auch ein paar kritische Geister zur Abwechslung?“
P: Kritische Geister? Auf jeden Fall winkt sie den jungen Halbwilden (Spahn, Linnemann, etc.) mit der Kabinettsliste. Wo mit einer neuen Mannschaft „Vertrauen wieder gut gemacht“ werden soll. Klare Aufforderung: Nicht murren, Bewerbung einreichen an A. Merkel, Berlin! Oh, auch der Generalsekretär steht zur Disposition. Wie sonst wäre „Lassen sie sich überraschen“ zu verstehen?
G: Ja, eindeutig eine Einladung an diese halbjungen Zahmwilden, aber auch die leise Warnung, übertreibt es bis dahin nicht.
P: Werden sie wohl nicht, wenn Bosbach noch den Überblick hat. Der sagte ja in einem Einspieler zu Beginn sinngemäß: Die werden alles absegnen in der Union und selbst die Ressortverteilung für alternativlos halten. Übrigens: Großartig war doch der Nachruf auf Martin Schulz: „Ich wünsche ihm einfach menschlich erst mal alles Gute. Sind ja wahnsinnige Zeiten für ihn.“ Kein Bedauern, dass er weg ist.
G: Auch den Vorhalt der öffentlichen Ohrfeige von Spahn nahm sie eisern lächelnd hin, „wir sind doch nicht in einer Monarchie, wo man die Nachfolge selbst regelt“. Und auf die Provokation des SPD-Sekretärs, hätten wir noch ein paar Stunden verhandelt, hätte sie uns das Kanzleramt auch noch gegeben, steckte sie weg. Die Frau lässt sich bis zur Kanzlerwahl alles gefallen. Ihr Leben hängt am Amt, für mich so unübersehbar in diesen 10 Minuten wie noch nie.
P: Das war allerdings überdeutlich. Zunächst stellte sie (bedauernd?) fest, dass „es ja klar“ sei, dass sie nach 12 Kanzlerjahren nicht weitere 12 Jahre Kanzlerin bleiben würde. Aber die nächsten vier Jahre „habe ich für mich bejaht“. Komme, was da wolle. Und wenn es der Bundespräsident mit Artikel 63 nach einem Nein der SPD-Mitglieder ist, sie steht zur Verfügung. Jetzt hängt es also an den „Personen, die ihre politische Zukunft noch vor sich haben“, und denen sie schließlich immer „eine Chance gegeben“ habe, ob sie auch ihr noch eine Chance geben.
G: Ja, in ihrem Gesicht stand Wehmut bei „nicht noch einmal 12 Jahre“. Früher hat sie lange gesagt, ja zelebriert „Sie kennen mich“. Das schrumpfte heute auf, „ich bleibe Kanzlerin, aber ich höre die Kritik“. Täuschen wir uns nicht, sobald sie gewählt ist, macht sie weiter wie bisher. Aber ihre Delegierten wird sie schon einlullen. Würde mich nicht wundern, wenn die diesmal länger klatschen müssen als letztes mal.
Bis zum nächsten Mal, Herr Paetow, und Prosit, was immer sie nun zu Ihrer Zigarette trinken. Ich altchronischer Nichtraucher einen Roten.