Tichys Einblick
Zensur hat Konjunktur

Meinungsfreiheit to go… Zensur im „Notstand“

Mit dem Unterdrücken anderer - wie auch immer gearteter - Meinungen ist noch lange kein Ende.

Twitter zensiert. Hashtags – Schlagworte, unter denen der Begleittext (Tweet) firmiert – werden aus der hauseigenen Autovervollständigung und aus den hauseigenen „Trend“-Charts entfernt.

Konkret ging es um den Hashtag #abmerkeln, der sich am vergangenen Wochenende in ungeahnte Höhen katapultierte. Unter #abmerkeln fanden sich Kritiker der aktuellen Mono-Politik mit ihren Statements. #abmerkeln klingt vielleicht ein wenig unfreundlich, aber es stehen nur 129 Zeichen für einen Tweet zur Verfügung. Womit zwar jede förmliche Bitte und Begründung unmöglich, aber die wechselseitige Kommunikation – keine Monologe – geschärft und beschleunigt wird.

Virtuelle Versammlungsfreiheit unterbunden

Die Frage des vergangenen Wochenendes: War der #hashtag womöglich als unpassend empfunden worden oder handelt es sich um Zensur der Inhalte? Die kommenden zwei Tage brachten die Gewissheit. Denn Gleiches fand unter den hashtags #teilnahmslos und #neuwahlen statt, die bald nach ihrem Aufkommen zensiert wurden. Eine sichtbare Einheit der Versammlung – also virtuelle Versammlungsfreiheit – wurde damit verhindert. Wobei solidarische Alternativ-Einheiten lebensnotwendig geworden sind, da die physischen Merkmale einer solidarischen Landes-Einheit in Form der Grenzen aufgehoben sind.

Der anhaltende Rechtsbruch europäischer – Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (Dublin II) – wie deutscher Gesetze – Art 16a Abs2 Grundgesetz, des Aufenthaltsgesetzes und des Asylgesetzes – hat zudem Auswirkungen auf alle drei konstituierenden Elemente des Staates. Das Staatsgebiet wird bagatellisiert, das Staatsvolk wird als Bevölkerung trotz aufwendiger Eurostat-Volkszählung 2011 zur amorphen Masse in Bewegung. Die Staatsgewalt aber hat die einmalige Ausnahme der Regelungen zu Anfang September – Aussetzen der Gesetze zur Aufnahme von Asylsuchenden aus Ungarn – zur Regel auf Dauer gestellt. Ende unbekannt. Zumindest Verteidigungsministerin von der Leyen rechnet mit „Amtshilfe in akuter Not“ – also Notstand, Einsatz der Bundeswehr im „Inneren“ – mit einem Jahr, bis Ende Sommer 2016. Bis zum Januar dieses Jahres hatte die Bundeswehr übrigens in 79 Liegenschaften (Kasernen und Standortübungsplätzen) Unterbringungsmöglichkeiten für rund 40.930 Flüchtlinge bereitgestellt. Und ist auch weltweit im eigenen Einsatz – wobei die eigene Bevölkerung vor Antworten auf diese Einsätze aufgrund fehlender Grenzen nur unzureichend geschützt wird.

Notstand?

Der „Humanitäre Intravention“ ins eigene Land aber hat mit einer völkerrechtlichen Intervention ohne Mandat gemeinsam, dass Legitimität über Legalität siegt. Damit wird auch die in vielen Staatengründungen präsente Gründungsparadoxie gelöst, in der sich die Politik auf das Recht und das Recht auf die Politik beruft – zugunsten des Primats der Politik. Die Antwort der Verfassungsrechtler, hier Udo di Fabio, bleibt nicht aus: „Der Bund ist verpflichtet, wirksame Kontrollen der Bundesgrenzen wieder aufzunehmen, wenn das gemeinsame europäische Grenzsicherungs- und Einwanderungssystem vorübergehend oder dauerhaft gestört ist“.

Denn die nach der staatskritischen, liberalen Theorie einzige Kernkompetenz des Staates – die Sicherheit – kann der Staat nicht mehr garantieren: Linke und rechte Gewalt steigen an und die Gesetzesbrüche der Bundesregierung beeinträchtigen die Rechts-Sicherheit und damit das Vertrauen in den Staat. Paradox: Die Kernkompetenz Sicherheit verfällt zugunsten der Folgekompetenz eines humanitären (Welt-)Sozialstaats. Doch nicht alle in die Sozialsysteme des Generationenvertrags strömenden Flüchtlinge spiegeln Generationenverteilung wieder bzw. sind überhaupt „Flüchtlinge“.  Das dürften die seit den Silvestervorfällen rapide ansteigenden Berichte über Straftaten und Vergehen von Einwanderern beweisen. Auch Behörden und Polizisten brechen langsam ihr Schweigen.

Fehlende Differenzierung – wozu Grenzen einen Beitrag leisten – hat sich noch nie ausgezahlt. Gerade offene Gesellschaften (Karl Popper) sind keine grenzenlosen Laissez-Faire-Konstrukte, sondern gründen auf ihre politische Kulur, die sich in der respektierten, selbst gegebenen Verfassung spiegelt.

Das berücksichtigt jede Unternehmung in der freien Wirtschaft: Hier stehen Eingangsvoraussetzungen vor Geldzahlung (Qualifikation, Vorstellungsgespräch, Beurteilung), Verhaltensregeln (Code of Conduct), Leitkultur von der Firmenphilosophie bis ins Endprodukt (Corporate Identity, Markenführung). Neue Arbeitnehmer erhalten in der Regel Zeitarbeitsverträge und erst nach langer Bewährung eine unbefristete Zugehörigkeit. Jede gut aufgestellte Unternehmung funktioniert also wie eine soziale Korporation, ein ordentlicher Staat. Werden Unternehmen – ein Neo-Feudalismus – den Staat komplett beerben?

Die marktwirtschaftliche Vertragsfreiheit in der „Freien Wirtschaft“ wird geordnet und damit auch eingeschränkt – Geschäftsfähigkeit, Kontraktionspflichten etc. -, aber grundsätzlich gilt für Unternehmen und Privatpersonen, dass sie mit jedem Marktteilnehmer Verträge aushandeln können. In dieses Freiheitskonstrukt hat jüngst wieder eine Öffentlich-Rechtliche Sendeanstalt eingreifen wollen. Der Primat der Politik stellt sich über die Vertragsfreiheit – in der Vergangenheit hat das bereits Kontenführungsverträge wie auch Arbeitsverträge betroffen.

Ikonoklasmus

Ein weiterer Fall manifestiert sich im Wirken des SWR/Report Mainz. Lange und intensive „Undercover-Recherche“ hat da zu folgendem Ergebnis geführt: Auf „Politically Incorrect“, „Kopp Online“ und der „Jungen Freiheit“ haben mittels Google-Werbung schon Lufthansa, die Deutschen Bahn, Adidas und Aldi geworben, ja selbst die Bundesagentur für Arbeit und die Bundespolizei. Selbstverständlich distanzierten sich auf Nachfrage des staatlichen Senders „alle Unternehmen und Behörden von den Inhalten der Seiten. Alle teilen mit, sie hätten nicht absichtlich auf den rechtspopulistischen Seiten geworben und sie nachträglich gesperrt.“ Und auch der niedersächsische SPD-Innenminister Boris Pistorius springt bei: „Ich finde das beschämend. Diese Seiten sind ohne Frage Seiten geistiger Brandstifter. Es wird dringend Zeit, dass mehr Sensibilität im Umgang mit Werbung auf Webseiten dieser Art Platz greift“.

Eine traurige Bilanz für die Freiheit
Post-Demokratie: Gedanken zu 2016
Den befragten Unternehmen kann man keinen Vorwurf machen. Es wird einfache Angst sein, angesichts eines die Gesetze bagatellisierenden Staates – was Philip Plickert auf Tichys Einblick sehr zutreffend als „Post-Demokratie“ beschreibt – und einer Bundestagsvizepräsidentin, die hinter dem Schwarzen Block der randalierenden Antifa marschiert. Wichtig ist, so der Report Mainz-Sachverständige: „Die Junge Freiheit polarisiert in Zeiten, in denen wir viele Hasstaten gegen Flüchtlinge haben“. OK, jetzt passt’s. Wer der Leitkultur des linken Zeitgeists nicht folgt, fliegt raus. Wir haben verstanden. Nicht der Gesetzesbruch ist strafbar, sondern der kritische Bericht darüber. Die Grenzenlosigkeit – also fehlende Differenzierung – setzt sich fort.

Bei Twitter oder Report Mainz, ob mit oder ohne ministeriale Anweisung: Was ich nicht sehen darf, kann ich nicht sehen, wird nicht repräsentiert – Ikonoklasmus. Es gibt noch Grenzen, aber die liegen scheinbar im Denken. Globale physische Freizügigkeit macht eben psychisch-kognitive Homogenisierung nötig. Angesichts dessen twittert der stellvertretende SPD-Parteivorsitzende Stegner: „Anonymität bietet Schutz in Diktaturen. In Demokratie sollte freie Meinungsäußerung mit Name und Gesicht ausgeübt werden!“

FACEBOOK lässt Bertelsmann zensieren

Wie der Spiegel berichtet, hat das soziale Netzwerk die Dienstleitungstochter Arvato des Bertelsmann-Konzerns damit beauftragt, eine Sondereinheit zusammenzustellen, um Hasskommentare aus dem Netz zu löschen. Zuvor hatte es das Netzwerk mit dem Konzept der „Counter Speech“ versucht, war aber weiter von Bundesjustizminister Heiko Maas bedrängt worden, gegen extreme politische Meinungen anderer vorzugehen. 

Auch diese Site war bereits Opfer der Zensur: Der Link zu diesem Artikel wird auf FB ohne weitere Erklärung gelöscht. Hier zeigt sich das infame des Vorgehens: Nichts spricht dagegen, abseitige Äußerungen gerichtlich zu verfolgen und zu verbieten – aber gerichtlich. Heiko Maas hat die Meinungskontrolle privatisiert: Geschrieben werden darf nur noch, was Bertelsmann/Facebook gefällt. Dagegen gibt es keinen Rechtsweg, keine Beschwerdemöglichkeit.

Das US-Unternehmen kommt damit seinen Kritikern entgegen. Die Bertelsmann-Tochter hat extra für das Projekt in den vergangenen Wochen Customer Care Agents eingestellt, die Kommentare im Social Web von Facebook analysieren sollen.
Wenn man nicht das verdammte Gefühl hätte, dass die aktuellen Ereignisse nicht viel mit Demokratie zu tun haben. The Trend ist your friend – ist eine alte, aber auch nicht immer zutreffende Börsenweisheit. Dass dem kritischen Trend nicht gefolgt wird, ist die Absicht von Zensur. Als Demokraten müssten sich alle – auch jene, die eigentlich den Kurs der Bundesregierung teilen – dagegen stemmen.
Rosa Luxemburg wird gern zitiert: „Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden“. Aber selten wird hinzugefügt, dass sie damit nur die Andersdenkenden innerhalb des eigenen, revolutionären sozialistischen Lagers meinte. Warum nur erinnert uns das so sehr an heute?
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