Tichys Einblick
Von einer Kandidierenden

Medienjubel: Der Annalena-Express fährt ab – wer lässt sich mitreißen?

Das Entzücken der Medien über die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock ist fast groß. Eine Presseschau nicht nur aus Deutschland.

IMAGO / Christian Thiel

Der Focus gratuliert von Herzen: „…zeigten die Grünen eindrucksvoll, wie man es richtig macht. Zum Votum der Union für Armin Laschet kann man der Grünen-Chefin nur gratulieren …. und darüber, dass die Grünen gerade in ihrer Selbstdarstellung so sind, wie die Union gerne wäre. Nun – es ist kein Zufall. Sondern Ergebnis harter Arbeit. …seit drei Jahren arbeiten Baerbock und ihr Ex-Co-Frontmann Robert Habeck daran, die Grünen nicht nur regierungsfähig zu machen, sondern auch fit fürs Kanzleramt…“ AB sei „dynamisch, eloquent, frech… sie setzte ein starkes Signal für Frauen, die zwar gerne Karriere machen wollen, sich aber bisher nicht trauen. Baerbock nimmt sich, was sie kriegen kann. Sie steckt nicht zurück. Selbstbewusst greift sie zu, ohne eine Welle zu machen. Dass dies in einer feministisch grundierten Partei vielleicht einfacher ist als in einem Männerwahlverein wie der SPD oder der Union – geschenkt.“

„Baerbock wäre zudem die erste Mutter im Kanzleramt – die abends wieder heim will zu Kindern und Mann nach Potsdam. Vielleicht hören dann ja diese Nerv tötenden Merkelschen Nachtrunden endlich mal auf… AB wird mit ihrer frisch-forschen Art diesen Wahlkampf spannend machen. Gegen sie sehen die Scholz-Esken-Walter-Borjans-SPD und die Laschet-CDU auf einmal ziemlich alt aus. Für die Grünen ist Baerbock die beste Wahl….“

Auch die Tagesschau ist voll des Lobes: (Kommentar von Frank Jahn, ARD-Hauptstadtstudio): „Allein durch die Einigung der Grünen ohne öffentlichen Streit hat Baerbock Führungsqualität gezeigt. …so geht eine Kür. Die Grünen haben Annalena Baerbock beinah geräuschlos zu ihrer Kanzlerkandidatin gemacht… aber nicht nur deshalb ist Baerbock die klügere Wahl für die Partei. Sie ist inhaltlich sattelfest und rhetorisch oft gewinnend… dass die Partei öffentlich bisher nicht groß streitet, ist auch ein Verdienst von Baerbock.“

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Die Deutsche Welle zählt auf: „Parlamentarierin, Völkerrechtlerin, Familienmensch, Ex-Leistungssportlerin: All das ist die Vorsitzende der Grünen, Annalena Baerbock…“ die habe sich „schnell ein eigenes Profil erarbeitet: Als Klimaexpertin der Fraktion; als versierte Außenpolitikerin; als mutige Streiterin gegen Populismus und Ausländerfeindlichkeit.“ Das sei das Bild, „…das sich von Annalena Baerbock eingeprägt hat: Entschlossen, mutig, ehrgeizig, selbstbewusst. Ehrgeizig war Baerbock schon immer…“

Die FAZ ist ebenfalls entzückt: „… für ihre Sachkompetenz wird sie stets gelobt, doch stand sie lange im Schatten ihres Ko-Vorsitzenden Robert Habeck. Nun ist sie die Nummer eins. Sie steht im Ruf, in Fachfragen kompetenter zu sein als er…“ sei „Liebling der Parteibasis.“ Grüne verwiesen auch auf ihr „Verhandlungsgeschick, ihre Durchsetzungskraft.“ Die frisch gekürte Kanzlerkandidatin gebe „mit feinen Spitzen einen Vorgeschmack auf den kommenden Wahlkampf…“

Auch die taz findet, dass AB sich in den letzten Wochen „regelmäßig … in politischen Talkshows positioniert und sich schlagfertig gezeigt“ habe. Aber auch, dass „…auch eine Reala wie sie links denken kann…“ Annalena Baerbock sei die „erste Kanzlerkandidatin (der Grünen) – ganz ohne Hickhack“.  Aus einer Fachpolitikerin sei „ein Politstar“ geworden, die „keine Furcht vor luftiger Höhe“ habe und die es „in Rekordzeit von der sachkundigen, aber völlig unbekannten Klimafachfrau der Fraktion zur prominenten Spitzenpolitikerin“ geschafft… und sich „mit der Zeit ein enormes Standing“ erarbeitet habe. „Jour­na­lis­t:in­nen mussten ihr Urteil revidieren: Sie hatten Baer­bock grandios unterschätzt.“

„Wegen ihrer Liebe zu Details und Kontrolle ist sie eine gefürchtete und respektierte Verhandlerin. Angela Merkel, die ähnlich kontrolliert und detailversessen ist, schätzt Baerbock. Sie nahm sie im Bundestag manchmal beiseite, um Dinge von Frau zu Frau zu besprechen. Minutenlang plauschten sie, vertraut und entspannt in einer hinteren Reihe sitzend.“

Der Guardian meint, Baerbock würde als zäh und bodenständig, politisch in der Mitte stehend gesehen, mit einem Auge fürs Detail, Expertin für den Klimawandel und wie man ihn bekämpfen könne… sie spreche fließend Englisch und sei eine anerkannte Aussenpolitik-Expertin.

Die NY Times schreibt, Ms. Baerbock werde wegen ihrer Liebe zum Detail respektiert sowie dafür, ehrliche Kritik und Verbesserungsvorschläge überschwänglicher Lobhudelei und rauschenden Reden vorzuziehen. Sie habe sich „während der Gespräche zum Kohleausstieg und den gescheiterten Koalitionsgesprächen 2017 mit der FDP den Ruf einer zähen Verhandlungspartnerin erworben…”

Stephans Spitzen: 
Das Theater der Kandidaten
Der BBC zufolge würden bereits „Parallelen zwischen AB und den jungen Regierungschefinnen in Neuseeland und Finnland gezogen“. Ihre Eltern hätten sie als Kind bereits zu Anti-Atom-Demos mitgenommen, sie beschriebe ihre Kindheit als eine Mischung aus Wasserwerfern zur Demo und anschliessendem Kaffeetrinken zu Hause. Eine Mischung aus kuscheliger Mittelklasse-Radikalität, die
heute die Summe der Grünen ausmache, und gleichzeitig deren derzeitige Anziehungskraft erkläre.

CNN erwähnt den Vergleich, den einige Kommentatoren „zwischen ihrem Stil und ihrer analytischen Herangehensweise und der der aktuellen Kanzlerin ziehen würden…“

Die Financial Times meint, Baerbock sei gut vernetzt in Berlin und Teil des moderaten Flügels der Mitte-Links-Partei. Sie werde kämpfen, um Wähler in der Mitte von SPD und CDU abzuwerben. Sie habe zusammen mit Robert Habeck versucht, junge Wähler jenseits der Bildungselite für die Grünen zu begeistern. AB, recht populär in ihrer Partei, werde als junger, energiegeladener Kontrast zu älteren männlichen Kandidaten gesehen.

Die FT meint weiter, die frühere Trampolin-Meisterin Baerbock habe „am Montag als erste Kanzlerkandidatin der Grünen Geschichte geschrieben, indem sie mit Luftsprüngen in die höchsten Kreise der deutschen Politik gelangt sei…“ Ihre Fans in der Partei sähen das als strategische Gelegenheit und „eine wahnsinnige Chance für sich, diese junge energiegeladene Frau gegen diese ganzen alten weißen Männer antreten zu lassen“. So habe es ein politischer Berater der Grünen formuliert.

France 24 findet, dass die Entscheidung, eine Kanzlerkandidatin ernannt zu haben, ein klares Signal der Grünen sei, dass sie sich nicht mehr in der Rolle des Königsmachers sähen. Baerbock sei nun aus dem Schatten getreten, Kopf an Kopf mit Habeck in Punkto Popularität, und nicht, wie es Beobachter beschrieben hätten, jemand, der leicht beim Bohren dicker Bretter aufgeben werde, was an Merkel’s methodische und wissenschaftliche Herangehensweise an die Politik erinnere. Jedenfalls habe die „scharfsinnige frühere Journalistin“ damit gekontert, dass „drei Jahre an der Parteispitze, im Bundestag und Mutter von kleinen Kindern zu sein dazu führe, dass man zäher werde“.

El Pais meint, Sie sei ein „aufgehender Stern in der deutschen Politik“ und habe sich den Respekt ihrer Partei dadurch erarbeitet, wie sie „ihre Ideen vorbereite und ausdrücke, mit Klarheit und Überzeugung“

El Diario sieht zwar “Habeck, 51, bei den Umfragen als charismatischer als seine Kollegin, welcher aber andererseits mehr Wirtschaftskompetenz und politischen Instinkt sowie eine grössere Schnelligkeit beim Abgeben klarer und solider Antworten bescheinigt würden…“

El Indepeniente sieht Annalena Baerbock schon als “Grüne Merkel”, und „keine der anderen grossen Parteien könne damit gleichziehen, eine Mutter als Nachfolgerin von Merkel aufzustellen“. In Deutschland werde es gut ankommen, eine Mutter als Kanzlerkandidatin im Moment der Krise aufzustellen, zitiert das Blatt Franco delle Donne, den politischer Berater und mit Raúl Gil Benito Urheber des podcasts „Das Ende der Ära Merkel“. Und El Independiente zitiert weiter Andrew Clarkson, Politikexperte des King’s College, aus einem Interview für The Statesman:
Annalena Baerbock sei „vorsichtig bei den Details und diszipliniert – es brauche diese Art der Vorsicht und des behutsamen Herangehens an die Probleme, die man bei Merkel beobachtet habe und die an Helmut Schmidt erinnere. Das Schlüsseljahr für AB sei 2005 gewesen, als sie Politik und Recht in Hamburg studiert und sich überlegt habe, vielleicht Kriegsberichterstatterin zu werden.

AGI-Agenzia Giornalistica Italia aus Rom erinnert daran, dass AB seit ihrer Jugend professionell das Trampolinspringen betrieben habe und dieses vielleicht meist zitierte Detail aus ihrer Biografie könne aus Sicht der Grünen zur Metapher dafür werden, denn deren vielleicht erste Kanzlerin werde nur mit einem Sprung auf den Posten, der heute von Angela Merkel eingenommen wird, gelangen. Und so ein Sprung stehe auch für den drastischen Szenenwechsel, der Deutschland nach 16 Jahren unter dem „Zeichen des Ostmädels“ bevorstehe. Aus gut informierten Berliner Kreisen jedenfalls komme die Information, dass die grüne Wahlkampfstrategie schon stehe, die da ganz wie bei Barack Obama heissen werde: „Hoffnung, Innovation und Neue Horizonte“ , ein „Yes we can in Umweltschutz-Soße“. Man sei sich bei den Analysten einig: AB sei für so ein Narrativ ideal, nicht nur weil sie gut Trampolinspringen könne, sondern weil sie sich unter anderem für die Flüchtlingshilfe engagiere, groß bei der Übereinkunft zum Gesetz zur Organspende im letzten Jahr vermittelnd eingegriffen und sich für das Recht auf selbstbestimmtes Sterben eingesetzt habe. Alles aber mit Blick auf die Sensibilitäten der Kirche.

Quotidiano sieht AB eigentlich als “Grüne Kanzlerinnen-Azubi“, aber da sich die Sozialdemokraten in der Krise bei nur 14 % der Stimmen befänden, sei die nächste Regierung schwarz-grün… und somit Annalena Vizekanzlerin und Außenministerin, also genau auf dem Posten, der ihrer Erfahrung entspräche.

Le Figaro lässt Michael Lühmann, Forscher am Göttinger Institut für Demokratieforschung, zu Wort kommen: Die Grünen würden AB vertrauen, weil sie präzise, hart arbeitend und ihre Kompetenz auf fast allen Gebieten, nicht nur beim Klima, auch jenseits ihrer Partei bekannt sei. In Brandenburg treffe sie auf einen anderen Erstlistenkandidaten, Olaf Scholz, Sozialdemokrat und Repräsentant einer Altersklasse, welche die Generation Annalena zu ersetzen beabsichtige.

Le Point plaudert über den Werdegang von AB, “dieser energiegeladenen Brünetten“, deren zweite Natur nun, nachdem sie früher auf dem Trampolin gesprungen, die Gipfelstürmerei geworden sei.

Für den Standard aus Wien ist sie der Kopf des Tages: „Macht und Karriere seien bei den Grünen nun nicht mehr Igittigitt…und in einem Punkt ähnelt Baerbock der Kanzlerin: Nicht viele haben zunächst mit ihr gerechnet. Und dann zog sie doch am Favoriten vorbei.“

Weiter beim Standard: „Jetzt, da Annalena antritt, lacht niemand mehr.“ Deren Nominierung sei eigentlich „bemerkenswert abgelaufen. Es gab keinen nennenswerten Widerstand der früher so diskussionsfreudigen Partei gegen die Hinterzimmermethode von Baerbock und Habeck.“

Die Frankfurter Rundschau muss Annalena Baerbock beim Auftritt bei Pro7 (19.04.2021) wegen „schräger Interview-Fragen“ beispringen:
„Die Fragen, die sie im Pro Sieben-Interview bekommt, sorgen für Kritik…zur besten Sendezeit um 20.15 Uhr am 19.04.2021 wurde sie eine Dreiviertelstunde lang von Moderatorin Katrin Bauerfeind und Moderator Thilo Mischke befragt…“ aber „ gerade die ersten Fragen ließen es so aussehen, als ob die Moderator:innen Baerbock als Politikerin nicht ernst nähmen….so fragte Thilo Mischke Annalena Baerbock gleich nach fünf Minuten, wie sie im Privaten erkläre, dass sie möglicherweise bald Kanzlerin würde.“ „..Bauernfeind fragte anschließend betont umgangssprachlich nach der mangelnden Regierungserfahrung. „Geht Ihnen da der A.… auf Grundeis?“, und betonte, Baerbock sei die einzige „Nicht-Boomerin“ im Rennen ums Kanzleramt. „Woher nehmen Sie das Selbstvertrauen zu sagen, ja, ich übernehme Verantwortung für 80 Millionen Menschen?“

„Nachdem Thilo Mischke Baerbock noch gefragt hatte, was es mit ihr mache, dass sie als Kanzlerin mit der Limousine zum Kindergarten fahren könne, ging es nach ganzen dreizehn Minuten erstmals um Inhalte. Für ihre Fragen bekamen die Moderator:innen insbesondere auf Twitter Kritik. Kritisiert wurde auch, dass die beiden ihrer Interviewpartnerin nach dem Interview applaudierten.“

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