Unanständig. Auf der Suche nach einer Begrifflichkeit, die noch einigermaßen trifft, was der Sozialdemokrat und Bundespräsident da gerade im Schloss Bellevue veranstaltet hat, kostet es alle Anstrengungen, den passenden Terminus zu finden, Amt und Mensch nicht reflexartig zu beleidigen.
Unanständig. Eine Veranstaltung im Amtssitz des ersten Mannes im Staat ausgerechnet mit der Bertelsmann Stiftung. Schon zum dritten Mal in Folge lud die private Stiftung gemeinsam mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Mittwoch zu einem so genannten „Forum Bellevue zur Zukunft der Demokratie“. Hat der Bundespräsident nicht mehr Mittel und Mitarbeiter, um so etwas aus eigener Kraft zu stemmen? Braucht er die Hilfe einer politisch einflussnehmenden Stiftung? Der Bundespräsident sollte sich qua Amt genau davon fern halten. Er braucht keine Sponsoren und sollte sich ihrem Einfluss auch nicht aussetzen. Aber vielleicht geht es um mehr. Denn das Thema des dritten Durchgangs lautet: Die Medien und die Frage, wie sie weiterhin als Basis liberaler Gesellschaften fungieren können. „Fakt oder Fake?“, fragt Steinmeier.
Der deutsche Bundespräsident veranstaltet im Amtssitz seine eigene Talkshow. Nach Anne Will, Maischberger, Plasberg und Illner nun die Steinmeier-Bertelsmann-Show. „Steinmeier erfüllt seine Aufgabe so souverän, dass man denken könnte, er hätte an einer Journalistenschule einen Kurs besucht.“, ist sich beispielsweise die Hannoverische Allgemeine nicht zu schade, über diese Edel-Talk-Show zu berichten. Der Präsident als Talkmaster? Es grenzt an Lächerlichkeit und ist eine Peinlichkeit.
Denn die versammelte Parallelwelt bei Steinmeier und Bertelsmann im hohen Hause bestand aus den üblichen Verdächtigen. Sascha Lobos roter Kamm wurde gesehen und Ulf Poschardt war dabei. Also Spiegel und Welt, um nur zwei zu nennen. Poschardt immerhin muss man fast schon zu Gute halten, dass er sich sichtbar unwohl fühlte. Jedenfalls auf den kurzen Clips, die Tagesschau und Co zur Verfügung stellten. Musste er dort erscheinen oder verstand er einfach nur zu spät, auf was für eine Propaganda er sich da eingelassen hatte, wenn der Sozialdemokrat mit der Stiftung so etwas wie die absolute Wahrheit zementieren wollte?
„Von der Unterscheidung zwischen Tatsachen und Bewertungen hängt nicht weniger als die Zukunft der Demokratie ab,“ mahnte der Bundespräsident. Und na klar: Wo die Demokratie gefährdet ist, muss einer kommen, der diese Unterscheidung feststellt und Widerspruch öffentlich sanktioniert. Schließlich geht es ja um Demokratie. Ironischerweise stellt ausgerechnet der private Player neben Steinmeier, stellt die Bertelsmann Stiftung aktuell auf ihrer Website einen so genannten Transformationsindex BTI vor mit den einleitenden Worten: „Eingeschränkte Meinungsfreiheit, unfaire Wahlen und populistischer Machthunger – es sind längst nicht nur Autokraten, die die Repressionsschraube anziehen. Auch in Demokratien versuchen Staatschefs zunehmend mit harter Hand durchzuregieren.“ Was ist das? Wieder Selbstironie pur? Wie sehr muss man von der eigenen Sache und einem Machtanspruchsrecht überzeugt sein, solche wuchtigen Widersprüche zuzulassen?
Dafür erzählt die Wochenzeitung „Horizont“, worum es Steinmeier ging: Um „organisiertes öffentliches Lügen“ und „das Manipulieren von Tatbeständen, um sich einen politischen Vorteil zu verschaffen.“ Der Bundespräsident fragte weiter: „Was bedeutet es für liberale Gesellschaften, wenn der öffentliche Meinungsstreit nicht mehr auf der Grundlage von allgemein anerkannten Fakten geführt wird, wenn die Trennlinie zwischen Tatsachen und Meinungen verschwimmt und behauptet wird, Fakten seien eben auch bloß Ansichtssache?“ Und ausgerechnet auf einer Veranstaltung mit der Bertelsmann Stiftung definiert Steinmeier dann das Gegengift gegen Fake News – oder schon gegen die freie Meinungsäußerung? – wenn er „einen gemeinsamen Kommunikationsraum“ empfiehlt. Um den Zerfall der Gesellschaft zu verhindern brauche es „Medien, die geprüfte Informationen bereitstellen, Missstände aufdecken, Lügen entlarven und politische Prozesse nachvollziehbar machen“. Wer diese Medien sind, das will er wohl selbst bestimmen. Es ist die alte Vorstellung von Lenin, dass die Medien die Treibriemen sind, die die Entscheidungen der politischen Elite (bei Lenin war es das ZK der KPdSU) dem dummen Volk vermitteln. Das war doch immer so schön! Und jetzt dieses Internet! Nein aber auch. Die Leute reden lieber mit Ihresgleichen? Und haben doch alle keine Ahnung oder sind nicht folgsam?
Steinmeier fragt Poschardt, mit welchen neuen Herausforderungen Medien in Deutschland konfrontiert seien. Und da wird es dann wieder unfreiwillig komisch: Ulf Poschardt nennt zunächst die Versuche, Medien pauschal als Systempresse zu delegitimieren. Aber sind sie es nicht genau dann, wenn der Bundespräsident mit Hilfe der Stiftung des Medien Konzern Bertelsmann und des Cheffredakteuers des größten Verlages, nämlich Springer, darüber raisonnieren, wie sie Medien außerhalb dieses Dreierbund zur Raison bringen? Und dann weiter: Vielen reiche da schon ein Foto dieser Veranstaltung mit dem Bundespräsidenten im Gespräch mit Journalisten, um zu behaupten, die steckten alle unter einer Decke. Hier wird also die zu erwartende, die befürchtete Kritik an dieser unanständigen Veranstaltung bereits vorher delegitimiert. Immerhin kann man hier konstatieren: Poschardt wusste also in etwa, an was für einem Prozess er da teilnimmt. Er möchte nun Vertrauen zurückgewinnen. Aber ausgerechnet auf so einem Forum? Auf diese Art und Weise? In einem Moment, wo der private Player Bertelsmann sich anschickt, seinen Einfuß öffentlich sichtbar zu machen? Nein, nicht irgendwo, sondern direkt im Amtssitz des deutschen Bundespräsidenten?
Und heute soll er als neue Norm gelten: Springer und Bertelsmann entscheiden mit dem Segen des Bundespräsidenten, was wir zu lesen, zu sehen und zu hören kriegen? Das kann es nicht sein. Wenn es eine segensreiche Rolle des Internets gibt, dann: Die Entmachtung der Gatekeeper. Das ist schmerzlich für die, die diese Macht genießen und damit gut verdienen. Aber es ist gut für die Demokratie, wenn andere Meinungen einen Weg an den Schleusenwärtern vorbei finden. Einig ist sich die Runde dann darüber, die Medienkompetenz von Bürgern zu verbessern. Ja, so machen es die „Gatekeeper“, wenn sich ihre eigene Kompetenz in Selbstauflösung befindet. Sie zeigen mit dem Finger auf ihre dummen Kunden, auf ihre Leser, auf Bürger, die immer weniger bereit sind, diese kontaminierten Nachrichtenangebote zu kaufen.
Aber irgendwie hat sich dann doch noch ein kritischer Geist in diese geistlose Runde geschlichen, als aus dem Publikum die Frage kam: „Mangelt es den Bürgern an Medienkompetenz oder sind es die Journalisten, denen es an Bürgerkompetenz fehlt?“ Abschließend bemühen wir aus gegebenem Anlass noch einmal Giovanni di Lorenzo, der über die Medien im Zusammenhang mit der Berichterstattung zur Masseneinwanderung schrieb, denn darum geht es ja letztlich auch bei Steinmeier/Bertelsmann: „(O)hne Not haben wir uns wieder dem Verdacht ausgesetzt, wir würden mit den Mächtigen unter einer Decke stecken, wir würden so uniform berichten, als seien wir gesteuert.“
Das ist allerdings schon wieder eine Weile her …