Am Beispiel Handelsblatt sieht man, wie schnell ein Stern verblassen und ein anderer aufsteigen kann. Oder ist es nur die Erleichterung über das Ende der Alternativlosigkeit? Was noch im vergangenen Sommer unter dem Schock der Anschläge und im Herbst nach der Ankündigung der eigenen Kandidatur so klang:
Das Handelsblatt war sich sicher: Angela Merkel, zu deren Markenzeichen Besonnenheit und Geduld zählten „bleibe sich treu“, sie habe angesichts der Anschläge im Sommer dem Versuch wiederstanden, in Aktionismus zu verfallen. Das Blatt stärkt damit der Kanzlerin gegenüber „einem Wahlvolk, von dem man bezweifeln müsse, dass es dies akzeptieren werde…“ den Rücken.
Sie sei die Kanzlerin des „common sense“, verneigt sich das Blatt angesicht dessen, was es als „eine drängende Kraft von Rechts gegen das Establishment“ sieht, und empfielt ihr, dass sie nun nach neuen Allianzen suchen müsse.
Aus der Generaldebatte zitiert das Blatt alles, was derzeit aus Sicht der CDU-Chefin wichtig sei: das Gewaltmonopol des Staates, die Marktwirtschaft, gefühlte Volkszugehörigkeit, Pressefreiheit und journalistische Sorgfaltspflicht, Erdogan und die Verteidigung liberaler Werte. Angesichts der zunehmenden Komplexität der Welt warne sie davor, sich ins eigene Land zurückzuziehen: aber man müsse „unsere Werte mit den EU-Staaten, den USA und unseren anderen Partnern in die Welt tragen.“ Und sie warb für ein Gegenmodell zum Nationalismus: „Offenheit bringe uns mehr Sicherheit als Abschottung.“
US-Präsident Barack Obama zitiert das Handelsblatt mit der Aussage, dass sie „hart“, „tough“ und „zäh“ sei. Er nahm im Kanzleramt an einem letzten Gipfel teil. Dabei durfte die Kanzlerin kurz vor dem Heimspiel in Essen dann noch einmal Gastgeberin für die Mächtigen spielen: Das Handelsblatt weiß zu berichten, dass eine breite Palette von Themen abzuarbeiten gewesen sei, wenn auch der scheidende US-Präsident die Runde „gegen Mittag“ wieder verlassen habe. Nicht ohne die große Verantwortung der Kanzlerin für das westliche Werte- und das Sicherheitsbündnis noch einmal betont zu haben.
Die ihr zugeschriebenen Fähigkeiten musste die Kanzlerin anlässlich des Parteitages der CDU, noch ohne einen Gegenkandidaten, nicht in Gänze ausspielen: Laut der Zeitung sei sie, nachdem sie einem schärfer formulierten Leitantrag zur Flüchtlingspolitik, der sich „wunderbar“ habe einbauen lassen, zugestimmt habe, nur auf „dankbare CDU-Obere, die es ihr dadurch dankten, dass sie ihr im Gegenzug im Streit mit der CSU um eine Obergrenze für Flüchtlinge beisprangen.“ getroffen.
Es wird ihr attestiert, dass ihr “auch beim zweiten größeren Streit“ um Formulierungen, die als versteckte Ankündigung für Steuererhöhungen hätten missverstanden werden können, eine vorübergehende Befriedung gelungen sei. Beleg dafür wäre, dass der Leitantrag nun Steuererhöhungen grundsätzlich ausschliesse. Wie Frau Merkel hier die Wogen geglättet haben soll, wird verschwiegen.
Die Arbeitsbesuche in der Türkei und Polen kommentiert das Handelsblatt mit einem positiven Unterton für die Kanzlerin: Sie sei persönlich von Erdogan um die Aufnahme des Landes in die EU gebeten worden, aber obwohl sie ihm schon vor Jahren klar gemacht habe, dass mit der Anerkennung des EU-Mitglieds Republik Zypern gleich „mehrere Kapitel geschlossen und neue eröffnet werden könnten“, tue sich nichts.
Der Besuch in Polen stehe nach dem Amtsantritt der Rechtskonservativen Regierung unter dem Einfluss der Tatsache, dass das Vertrauensverhältnis unter deren Umgang mit Rechtsstaatlichkeit und Medien sowie dem massivem Widerstand gegen Merkels Flüchtlingspolitik gelitten habe. Sie habe sich dort aber keine Seitenhiebe verkniffen und „es“ auch in Warschau getan: Demokratiedefizite angesprochen und sich zugleich um ein gutes Verhältnis bemüht. Ihre Amtskollegin sei nicht als Merkel-Freundin bekannt, aber auch schon kritischer gewesen. Übersetzt: Merkel habe sie gezähmt.
Ein merklich härterer Wind bläst der Bundeskanzlerin seit dem Tag ins Gesicht, an dem Martin Schulz am 29.01.2017 als Kanzlerkandidat der SPD nomminiert wurde.
Zunächst begibt sich das Handelsblatt auf die Graswurzelebene der Parteisoldaten, hier im Ortsverband Düsseldorf-Friedrichstadt. Der Flirt mit der Menschenfängerei des Petrus im Titel des Artikels ist natürlich nur Zufall.
Das Fazit fällt darin eindeutig zu Gunsten des Mannes aus, für den bis „letzten Dienstag“ galt, dass er vor dieser Hürde zunächst gescheut habe. Mit Zitaten, gesprochen bei Bionade und Tacos (!) aus der „Mitte der Partei“ wird nicht gespart: Die Entscheidung für „einen Mann ohne bundespolitische Erfahrung“ feiere die SPD-Basis trotzdem, wie hier in der Wohnung des Ortsvorsitzenden.
Die Genossen erzählen, warum sie die Kandidatur von Schulz befürworten. Immer wieder hätten sie beim Wahlkampf gehört, wie Leute schimpften, dämonisierten, alles Schlechte auf Sigmar Gabriel projizierten, wie sie ihn für seinen angeblichen Wankelmut bei der Vorratsdatenspeicherung kritisiert oder für Gerhard Schröders Hartz-Reformen verflucht hätten.
Martin Schulz hingegen sei „..ein echter Sympathieträger, ein Menschenfänger. Für ihn könne man gut auf die Straße gehen. Mit dem hätten sie eine echte Chance“, sagt ein anderes Vorstandsmitglied, das seinen Namen nicht in der Zeitung lesen wolle.
Martin Schulz seien die Herzen in diesem Wohnzimmer zugeflogen. Doch nicht nur dort. 41 Prozent der deutschen Wähler würden aus dem Stand für den leidenschaftlichen Europäer stimmen, ebenso viele wie für Angela Merkel. Zu dem Ergebnis gelange eine aktuelle ARD-Umfrage, die das Institut Infratest dimap durchgeführt habe. Er sei die Antithese zu Sigmar Gabriel.
Und weiter wird der frischgebackene Kandidat den ganzen Abend lang in Friedrichstadt bei ausgiebig Sprudel gefeiert, wahlweise als Mister Europa, Verkörperung der klassischen SPD-story, (von ganz unten nach ganz (?) oben), tragisch gescheiterter Fussballprofi, Ex-Schulabbrecher, lebendes Arbeitermärchen, Kanzlerhoffnung, wichtiger Gegner Trumps, des Zerlegers globaler Machtstrukturen, und nicht zuletzt als der Kanzler bezeichnet, den Deutschland jetzt brauche, der den Glauben an ein starkes und gerechtes Europa wieder reanimiere und die „Populisten“ zurückdränge.
Noch euphorischer als diese drei Seiten ist der genau wie bei Angela Merkel (Merkel und die CDU – Zahlen und Fakten) auf fünf Zeilen reduzierte „Fakten-Infobalken“ der Zeitung. Aber ganz anders als bei Merkel, wo nur Stationen ihres Werdegangs genannt werden, thronen hier unter fünf Punkten klare Botschaften: Präsenz, Anpacken, Allianzen, Machtanspruch, überschrieben mit „Dafür steht SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz:“ und gefolgt wiederum von einer an Lobhudelei grenzenden Aneinanderreihung von positiven Eigenschaften, die er angeblich besitzen solle.
Fürwahr einen Regen roter Rosen lässt das Handelsblatt auf M. Schulz niedergehen. In diesem Artikel bei einem Frühlingsspaziergang mit Justizminister Maas in der Fussgängerzone des schönen Saarlouis. Es war ein Triumphzug, wenn man dem Handelsblatt glauben will.
Ein beständig lächelnder Heiko Maas habe es sichtlich genossen, mit dem Genossen Schulz durch die Fußgängerzone zu schreiten. Es habe schon schon ein bisschen nach Frühling – und nach Aufbruch- geduftet. Maas sei immer ein kleines Stückchen hinter dem prominenten Gast geblieben, und habe sich über den „mächtigen Auflauf“, den Schulz in der Kleinstadt ausgelöst habe, gefreut. Was für ein Bild, das da gezeichnet wird.
Am 26. März werde im Bundesland im Südwesten der Republik ein neuer Landtag gewählt und Schulz wisse, dass ein positives Ergebnis seine Beliebtheit (also ist er schon beliebt?) weiter steigern werde. Dementsprechend wichtig sei ihm der Besuch im Saarland.
Lächelnd, zurückhaltend, immer höflich. Schulz sei der Popstar der Polit-Szene. Würde der Bundeskanzler direkt gewählt, läge Schulz laut einer Umfrage zufolge deutlich vor Amtsinhaberin Angela Merkel. Das Handelsblatt gibt auch gleich noch einen Ausblick auf den kommenden Wahlkampf, in dem die SPD sich alle Mühe geben werde, den Kandidaten zu unterstützen.
Auch das Handelsblatt gibt sich Mühe. Dem Info-Fenster mit dem Titel „Dafür steht SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz“ wurde ein weiteres mit der Überschrift „Martin Schulz – ein Politikerleben“ hinzugefügt, das sich aber auf eine sachliche Nennung der Stationen seiner Karriere beschränkt.
Die Grünen fürchten ihn und er wird, wie Supermann, unter Druck nur noch stärker: Diese ausgemachte Begeisterung für den vom Olymp der Europäischen Politik herabgestiegenen Genossen Martin Schulz, im Gegensatz zum Erkalten der jahrelangen Romanze mit der Eisernen Kanzlerin Angela Merkel zieht sich durch eine breite Schicht der deutschen Zeitungen. Das Handelsblatt liefert allerdings einige der treffendsten Belege.
Emil Kohleofen ist freier Publizist.