Der Mitteldeutsche Rundfunk hatte den Lesern seines Online-Auftritts gestern klar gemacht, was dem Freistaat Sachsen droht, wenn seine Bürger bei den bevorstehenden Landtagswahlen in Sachsen falsch wählen. „Kraftclub-Sänger erwägt Wegzug aus Chemnitz nach Berlin“ titelte stundenlang der Aufmacher der Homepage. Nämlich für den Fall einer Regierungsbeteiligung der AfD.
Das komplette Zitat dieses Sängers (wenn man einen Rapper so nennen mag) ließ dann immerhin einen gewissen ironischen Humor erkennen: „Dann schmeiß‘ ich all meinen Chemnitz-Lokalpatriotismus über Bord, geh nach Berlin und gentrifiziere schön was weg“, hatte Kummer dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) gesagt. Man muss dazu noch sagen, dass jene Band Kraftclub vor einigen Jahren mit einem Lied (wenn man es denn so nennen mag) kurz Furore machte, das den Titel „Ich will nicht nach Berlin“ trug. Danach traten Brummer und Co noch einmal ins Rampenlicht der Medienaufmerksamkeit als Initiator des „Wir-sind-mehr“-Konzerts am 3. September 2018 in Chemnitz.
Mit der Drohung dieser wackeren Musikkapelle machte also der MDR sein Publikum heiß auf da große Fernsehereignis des Abends: die Wahlarena. Die Spitzenkandidaten der fünf größten Parteien traten gegeneinander an und sollten, moderiert von MDR-Moderatoren Uta Dekor und Gunnar Breske, auf Fragen aus dem Publikum antworten, um ihre Positionen deutlich zu machen. „Bürgercheck“ nennt es der MDR, im Journalistenjargon heißt so etwas „Elefantenrunde“.
Wobei außer Ministerpräsident Michael Kretschmer, CDU, kaum einer der Politiker über die sächsischen Landesgrenzen hinaus bislang als großes Politik-Tier bekannt ist. Am ehesten noch der FDP-Landeschef Holger Zastrow, der sich seit Jahren immer mal wieder auch in bundespolitische Debatten einmischte. Die Dresdner Neuesten Nachrichten (DNN) nannten ihn einen „Elbtal-Populisten“ und „liberalen Rechtsaußen“.
Diesen Ruf verteidigte er vermutlich in den Augen der DNN gestern Abend erfolgreich. Indem er – wie der AfD-Spitzenkandidat Jörg Urban – für Sonderwirtschaftszonen in den Braunkohleregionen warb und den Kompromiss der Kohlekommission scharf kritisierte: 2038 sei zu früh und außerdem seien die Versprechen unglaubwürdig, es würden große Bundesbehörden in die Lausitz ziehen: „Wir Ossis müssten mittlerweile 30 Jahre nach der Wende doch wissen, was geht und was nicht.“
Der Liebling der zu Wort gekommenen Studiogäste war ganz eindeutig die Spitzenkandidatin der Grünen, Katja Meier. Wobei von Fragen im eigentlichen Sinne kaum die Rede sein konnte. Wollte man die Wortmeldungen der Gäste zu einem Tenor zusammenfassen, so könnte er lauten: Wie schaffen wir es endlich, mehr grüne und linke Politik in Sachsen zu machen? Entsprechend wollten die meisten der Bürger das dann auch von Frau Meier wissen.
Unbeantwortet bleiben dem unbedarften Zuschauer darum nicht zuletzt Fragen zur Sendung selbst: Wer wählt eigentlich nach welchen Kriterien die Zuschauer dieser Sendung und vor allem diejenigen aus, die zu Wort kommen durften?
Allein gleich zu Anfang der Sendung, als es im ersten von drei Themenblöcken um die für Sachsen besonders brisante Frage des Kohleausstiegs ging, wurde Meier mit einer eher kritischen Frage konfrontiert. Wie sie es denn mit der Versorgungssicherheit halte, wollte eine im Braunkohletagebau beschäftigte Frau von Meier wissen.
Ihre Antwort: „Wir müssen jetzt endlich die Handbremse lösen und in erneuerbare Energien investieren“, und dann, so Meier, „funktioniert das ganze ja auch nur im Netz, also wenn in ganz Deutschland und Europa gebaut wird … und wenn dann der Wind doch mal nicht weht, können wir sozusagen Strom aus Norden, aber da ist es natürlich auch notwendig, dass es die entsprechenden Trassen gibt, und deswegen muss wir uns auch keine Sorgen um die Energiepreise machen, denn je mehr erneuerbare Energie es im Netz gibt, desto günstiger wird dann auch der Strom.“ Ein schöner Einblick in die wunderbare Welt der bündnisgrünen Energiepolitik!
Man musste in dieser Sendung den Eindruck gewinnen, dass die Zukunft Sachsens und ganz Deutschlands zweifellos in den Händen Meiers und ihrer Parteifreunde liege – und wenn die Antworten Meiers auch noch so schwach waren.
Dafür sorgte auch die zweite zu Wort gekommene Zuschauerin, eine bekennende Fridays-for-Future-Demonstrantin. Für sie unterbrach Dekor den AfD-Kandidaten, der gerade von Deutschlands geringem Einfluss auf das Weltklima sprach. Dagegen durfte dann die Demonstrantin anpredigen, die „fassungslos“ war, weil Urban den Kohleausstieg „verantwortungslos“ nannte: Millionen von Menschen aus dem globalen Süden könnten gar nicht anders als nach Europa zu kommen, weil ihre Region durch die Klimakrise unbewohnbar werde. Was tue denn die sächsische Politik dafür, dass das Pariser Klimaabkommen erfüllt werde?
Während Kretschmer bei diesem Thema sichtlich unwohl war und er, der sonst souverän wirkte, in unbeholfenen Politphrasen von einem „Prozess“ sprach, den man „gewinnen“ wolle, genügte Meier das Versprechen, „sofort und schnell zu handeln“.
Vom Spitzenkandidaten der SPD, Wirtschaftsminister Martin Dulig, bleibt vor allem eine bildungspolitische Botschaft im Gedächtnis. Ausgerechnet in Sachsen, das in so gut wie allen Belangen des Schulsystems im Bundesvergleich einen Spitzenrang einnimmt, verstieg sich Dulig zu der seltsamen Behauptung, der Mut zur Innovation, der für eine ökonomische Gründerdynamik notwendig sei, könne durch eine „andere Schule“ befördert werden, in der es nicht mehr um Wissen, sondern um „Kompetenzen“ gehe, und durch längeres gemeinsames Lernen. Als ob nicht die jahrzehntelangen Erfahrungen mit Gesamtschulen und die verheerenden Ergebnisse der Einführung von „Kompetenzorientierung“ in Lehrplänen diese Vorstellungen längst überdeutlich widerlegt hätten.
Das Erstaunlichste an dieser unterm Strich eher faden Sendung war aber etwas anderes. Die eigentliche Brisanz der Wahlen liegt bekanntlich in der besonderen Rolle der AfD als Außenseiterpartei unter Koalitionsquarantäne. Doch bei den sachpolitischen Inhalten – und nur über die wurde in dieser Sendung gesprochen – war der Graben, den die Regierenden gegen die AfD errichtet haben, kaum sichtbar. Die Erregung Kretschmers gegen den AfD-Mann Urban, der sei „der größte Miesmacher“, wirkte eher gespielt. Die Regierungspolitik „mies“ zu machen, ist schließlich das Geschäft eines Oppositionspolitikers.