Es ist ein Internet-Meme geworden: der öffentlich-rechtliche Rundfunk fragt vermeintlich zufällige Passanten, die zu einem politischen Thema Stellung nehmen. Später entpuppt sich der zufällige Radfahrer als grüner Abgeordneter oder die Supermarktkundin stellt sich als grüne Bundestagsabgeordnete heraus. Natürlich wollen ARD, ZDF & Co. das alles nicht gewusst haben. In manchen Fällen entschuldigen sie sich für den „Fehler“; in anderen Fällen verschwindet der Beitrag kommentarlos.
Der Höhepunkt dieser „Fehler“ ereignete sich erst letzte Woche, als eine WDR-Mitarbeiterin dazu interviewt wurde, was sie von einer woken Aktion im PENNY-Markt hielt. Mit erwartbarem Ergebnis. Natürlich hatte der öffentlich-rechtliche Sender nichts davon wissen wollen, als dieser Vorgang in die Kritik geriet. Nicht einmal, als sich der TV-Veteran Peter Voß in einem vielbeachteten FAZ-Gastbeitrag meldete. Dort kritisierte der ehemalige SWR-Intendant und langjährige Gesicht des „Presseclubs“ die Skandaldichte in der Senderfamilie.
Nach einer solch hitzigen Woche hätte man Vorsicht erwarten können. Die Redaktionen sind sich nämlich offenbar bewusst, dass ihr Ansehen seit Jahren ramponiert ist, dass die RBB-Affäre ebenso unvergessen ist wie die Debatte um Journalisten auf Staatslohn. Dass es auch keinen guten Eindruck macht, inmitten von Inflation, Preissteigerung und Energiekrise über Beitragserhöhungen spricht. Und trotz dieser Gebühren ein eigenes Bezahlfernsehen auf die Beine stellt, was im Grunde den ganzen Rundfunkvertrag konterkariert.
Dennoch fügt sich auch der neueste Fall in die besprochene Kette von Zufällen. Eine Causa, die angesichts der Präzedenzfälle ein Indiz für die herrschende Arroganz bei den Gebührenempfängern ist. Wie kann man es sonst deuten, dass der Trug dieses Mal ein ganzes Interview von 2 Minuten fasst?
Der Mitteldeutsche Vertreter der öffentlich-rechtlichen Sender gibt darin Lea Wengel Raum. Sie stellt sich vor: 31 Jahre. Aus Erfurt. Mehr nicht. Sie wolle mit dem Bundeskanzler über Klimaschutz reden, erfährt der Hörer. Keine Ergänzungen, keine Nachfragen. Im Plauderton geht es weiter. Was sie den Kanzler fragen wolle, welche Maßnahmen sie von Scholz erwartet, ob das mit dem Etikett „Klimakanzler“ stimmt. Und es bewegt sie, dass eine „rechtsextreme Partei“ in Thüringen sehr viel Zustimmung erhalte. Sie frage sich, was die Bundesregierung gegen die AfD tun könnte. Denn das besorge sie sehr.
Und das zu Recht. Nein, nicht etwa, weil die AfD rechtsextrem wäre. Sondern, weil Lea Wengel nicht eine „zufällige Thüringerin“ ist, die ihre „Sorgen und Nöte“ vorbringt. Lea Wengel gehört den Grünen in Thüringen an. Sie ist nicht nur bloßes Mitglied. Sie ist Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei der Landesgeschäftsstelle der Grünen in Thüringen. Da versteht man ihre Beweggründe. Bei der AfD wäre man vermutlich auch besorgt, wenn die Grünen 30 Prozent in Thüringen erreichen würden. Die Aussichten, dass die Bundesregierung dagegen etwas tun könnte, sind freilich deutlich geringer.
Für den Zuhörer, der das alles nicht weiß, erscheint Wengel als zufällig ausgesuchte Stimme, die ein Stimmungsbild in der jungen Thüringer Generation nachzeichnet. Der ÖRR beruft sich immer wieder darauf, Inhalte und Personen einzuordnen. Offenbar gilt das aber nicht für alle Personen. Wieder nur Zufall? Vielleicht fiele die Sache weniger ins Gewicht, handelte es sich um einen Einzelfall beim Kanzlergespräch. Beim Bürgerdialog in Thüringen kam Felix Ehrlich zu Wort. Ein Politiker der Linkspartei. Auf die öffentliche Meinung, so scheint es, trifft immer mehr das Wort der veröffentlichten Meinung zu.