Wie ehrlich geht der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit der Aufarbeitung der hauseigenen Korruption um? Nach ihrer fristlosen Entlassung sieht sich die ehemalige RBB-Intendantin Patricia Schlesinger als Sündenbock. Die ehemalige ARD-Vorsitzende war wegen immer neuer Skandale in die Schlagzeilen geraten. Ob Massagesitze, Luxus-Etagen, exquisite Abendessen oder Bonus-Zahlungen: Die Liste der Vorwürfe, die ein weitreichendes Netz vetternwirtschaftlicher Begünstigungen offenbarten, nahm kein Ende.
Doch auch im Sündenbock-Argument liegt ein Fünkchen Wahrheit. Denn die geschasste Intendantin soll von viel größeren Verwerfungen ablenken. Nachdem zuerst nur die Causa Schlesinger im Zentrum stand, steht nunmehr die ganze Chefetage des RBB im Visier. WDR-Intendant Tom Buhrow hat mit seinem Vertrauensentzug die ganze Sendeanstalt unter Verdacht gestellt. Unter allen Umständen muss der Vermutung entgegengetreten werden, dass die Vergehen auch die restliche Senderfamilie betreffen könnten.
Der ehemalige Landesrechnungshofpräsident von Sachsen-Anhalt geriet bereits durch einen Medienbericht im Mai unter Druck. Der MDR übertrug Seibicke 2016 und 2017 den Auftrag, den Finanzierungsbedarf für Pensionen festzustellen. Seibicke erhielt für drei Gutachten insgesamt 60.000 Euro. Dabei war Seibicke bei der Abfassung von zwei dieser Gutachten selbst noch Vize-Vorsitzender der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF). Die KEF ist maßgeblich zuständig für die Festsetzung des Rundfunkbeitrags.
Das Beispiel zeigt, dass nicht nur beim RBB, sondern auch beim MDR zumindest fragwürdige Vorgänge „unter Freunden“ stattfanden. Bezeichnend ist, wie die Senderfamilie mit dem Vorgang umging. Der MDR beteuert, dass die Tätigkeit in den „drei Einzelfällen“ nicht in Konflikt zu Seibickes Tätigkeit als Rechnungshofpräsident oder KEF-Mitglied gestanden habe.
Und Seibicke selbst? Der sitzt heute im Verwaltungsrat des Deutschlandradios als Sachverständiger. Die Webseite des Deutschlandradios führt ihn dort auf. Dass die Mitgliedschaft nicht nur dem dort angegebenen „Stand April“ entspricht, sondern noch aktuell ist, zeigt ein Blick in das Protokoll der letzten Sitzung vom 14. Juni. Seibicke nahm an dieser teil. Das war einen Monat nach der Offenlegung der MDR-Begünstigung. Beim Deutschlandradio, das zusammen mit ARD und ZDF den öffentlichen-rechtlichen Rundfunk bildet, stört das offenbar niemanden. Verwaltungsratsvorsitzender Tom Buhrow ist vermutlich noch zu sehr damit beschäftigt, sein Image als Saubermann zu pflegen und den Schmutz anderen zuzukehren.