„Wir reden zum vierten Mal über dieses Thema“, sagt Maybrit Illner zu Beginn der Sendung. Und sie hat Recht: Gestern Abend ist das vierte Mal, dass Illner ihren Gästen – mit unterschiedlichen Namen, aber gleichen Meinungen und Phrasen – ein Statement zur Impfpflicht aus der Nase ziehen möchte. Mit der Sendung „Politik wieder im Alarmzustand – kommt der Lockdown für Ungeimpfte?“ hat sie dieses Mal eine Gästebesetzung, bei der ihre Trefferquote an Schlagzeilen-Zitaten auf eine Rekordinzidenz ansteigen dürfte. Frank Ulrich Montgomery, Katrin Göring-Eckardt, Giovanni di Lorenzo und als Feigenblatt Hendrik Streeck.
Und dann noch ein besonderer Gast, der braucht auch eine besondere Einleitung. Er ist ein rhetorisches Wunderkind, die große Hoffnung der CDU, die Zukunft für Deutschland, eine Persönlichkeit, die im Gedächtnis bleibt; die wachen Augen blicken klug in die Welt: Helge Braun. Jap, genau der, der immer so spricht, als hätte er sich gerade an Nüssen verschluckt und als würde er jetzt versuchen, einen Hustenkrampf zu unterdrücken – und dabei guckt, als wäre hinter seinen Augen kein einziger Gedanke zu Hause. Und ganz so wie es sich für den möglichen nächsten CDU-Chef, der seine Partei aus der Jahrhundertkrise führen soll und will, gehört, hat er nichts gesagt, was im Gedächtnis bleibt.
Frank Ulrich Montgomery wird seinem Ruf als Choleriker gerecht; man hört, wie der Radiologe seine Mitarbeiter anbrüllt und als Ärztefunktionär mit beachtlicher Karriere in Verbänden Widersacher klein macht. „Übrigens, diese Impfstoffe sind die sichersten, die bestverträglichsten Impfstoffe, die wir jemals entwickelt haben.“ Wenn Donald Trump etwas nur halb so Populistisches gesagt hätte, wäre hier aber die Hölle los. Egal, ist ja für die gute Sache. Zu seiner Aussage mit der „Tyrannei der Ungeimpften“ steht er immer noch. Illner fragt ihn, ob er denn jetzt nicht den Spieß einfach umdrehe und die Ungeimpften tyrannisiere – darauf antwortet er: „Das ist doch keine Tyrannei, wenn ich jemanden die Folgen seines eigenen Handelns in Verantwortung selber tragen lasse.“ Und: „Denen klar zu machen, dass sie auch die Folgen ihrer Unvernuft tragen müssen.“ Das sagt er alles in so einer Selbstverständlichkeit, als wüsste er ganz genau, dass er beim ZDF nicht bangen muss, dass ihm womöglich noch ein Gast widerspricht.
„Achten Sie auf Ihre Nachbarn!“
Aber selbst wenn‘s mal jemand täte, würde ihn das wahrscheinlich nicht sonderlich beeindrucken. Montgomery ist in seinem Modus. „Was mich jetzt aber bewegt ist: die Hütte brennt und mir ist völlig egal, auf welchem Rechtskonstrukt jetzt dieser Werkzeugkasten zusammengebaut ist. Ich will jetzt endlich loslegen.“ Also erstmal: Das Wort, das du suchst Opi, ist Grundgesetz. Darauf hat der „Werkzeugkasten“, mit dem du und deine Medizinertruppe auf Kosten jüngerer Menschen nochmal so richtig die Sau raus lassen wollen, nämlich aufzubauen.
Es scheint, als hätte Montgomery seinen Stein der Weisen gefunden. Corona ist für ihn das, was für andere alte Männer Fußballschauen ist. Da kann man vor dem Fernseher sitzen und die Spieler anbrüllen, die in der Blüte ihrer Jugend, Fitness und Gesundheit Höchstleistungen vollbringen – aber die Herrschaften in Jogginghose, mit Bier in der Hand ins Sofa gefletzt, wissen es natürlich besser. „Jetzt beweg deinen faulen Hintern da rüber, das ist ja Arbeitsverweigerung hier! Jetzt mal ’n bisschen schneller, du lahme Ente du! Hast du nicht trainiert oder was? Wie ’ne gelbe Karte? Der hat ihn doch nur ’n bisschen angerempelt! So Messi, das nennst du Fußball? Du siehst aus wie meine Oma beim Pfingstausflug!“
So ähnlich stelle ich mir Frank Ulrich Montgomery beim Tagesschau gucken vor: „Wie jetzt rechtswidrig? Will der mich verarschen? Das war nur ein ganz kleiner Grundgesetzverstoß! Der hatte da doch eh nichts zu suchen! Wer muss schon um 21 Uhr Joggen gehen?“ Impfpflicht und Lockdown will Montgomery in seinem „Werkzeugkasten“ natürlich auch dabei haben.
Zum Ende muss Illner sich bei ihrer Verabschiedung beeilen. Ihr scheinen fünf Produzenten gleichzeitig durch den Knopf in ihrem Ohr zu brüllen, denn sie stammelt, weicht von ihrem normalen Text ab und bringt dann ein „Bleiben Sie gesund, und achten Sie auf Ihre Nachbarn“ zustande. Das meinte sie wohl im Sinne von Nächstenliebe und Plexiglasscheiben überm Gartenzaun, doch gerade nach dieser Sendung verströmte es doch ein gewisses China-Feeling und fasste die Sendung doch besser zusammen, als ich es könnte.