Tichys Einblick
Markus Lanz vom Mittwochabend

Bei Lanz: Söder, Scholz, Schuss – Tor!

Einen guten Morgen zum Frühstück, liebe Leserinnen und Leser. Gibt’s frische Brötchen? Fein. Bei Markus Lanz gab's in der Nacht nur Brot. Brot und Spiele. Die wichtigste politische Talkshow des Tages (Maischberger in der ARD war ausgefallen) kümmerte sich um – Fußball. Welch eine Überraschung in diesen TV-Tagen. Von Michael Plog

Screenshot

Screenprint ZDF / Markus Lanz

Lanz kümmert sich nicht (immer noch nicht!) um die skandalösen RKI-Files (die vom Magazin Multipolar herausgeklagten und mittlerweile fast vollständig entschwärzten Protokolle des Robert-Koch-Instituts). Sie offenbaren, dass die ganze Corona-Pandemie komplett politisch, nicht etwa medizinisch, indiziert war. Er kümmert sich nicht um die EU, die offenbar bereits die nächste Pandemie vorbereitet und 650 Millionen Impfdosen gegen eine ominöse Vogelgrippe geordert hat. Nicht um Grevesmühlen, wo die Polizei plötzlich gegen den Vater des Mädchens wegen Körperverletzung ermittelt. Der Afrikaner soll die schnell als rechtsradikale bezeichnete Jugendgang angegriffen haben, nicht etwa die Gang seine Tochter. Es gab auch keinen Fußtritt ins Gesicht des Mädchens. Alles erfunden. Der Vorfall hatte vergangene Woche binnen Stunden für bundesweite Aufregung gesorgt mit medialem Dauerfeuer und politischem Nachbrenner aus allen Parteien. Sogar Innenministerin Nacy Faeser und Kanzler Olaf Scholz hatten sich empört zu Wort gemeldet. Und jetzt? Wohin mit der Schnappatmung wegen der „Gefahr von Rechts“, wenn sich der Anlass plötzlich ins Gegenteil verkehrt? Auch das hätte ein interessantes Thema für Lanz sein können. Aber nein, es ist ja noch Brot da.

Nach dem Spiel der deutschen Mannschaft gegen Ungarn (2:0 im lila Leibchen) kümmert sich Lanz also um das Befinden der Deutschen. Um das Befinden des deutschen Fußballs, der Mannschaft, des Bundestrainers Julian Nagelsmann und das Befinden der Fans. Das Pathos, das der Moderator dabei an den Tag legt, wirkt etwas bemüht. Er überfordert die Gästerunde spürbar. Warum die Stimmung so gut ist? Ja, das wäre durchaus eine berechtigte Frage. In vielerlei Hinsicht. Gefahr eines Dritten Weltkriegs, drohender Niedergang des Dollars, Start der nächsten Pandemie – aber Fußball-Euphorie kann sicher nicht alles übertünchen. Und tut sie auch nicht.

Bevor Sportmoderatorin Lena Cassel (die mit lustiger Mimik und scharfer Zunge ein bisschen wirkt wie die Tochter von Wiegald Boning), bevor also die kluge Blondine, ihr berühmter Kollege Marcel Reif und Ex-Nationalspieler Dietmar Hamann nach einer knappen halben Sendestunde in die fußballerischen Details gehen, versucht Lanz die Runde zunächst mal mit der ganz großen Pathos-Pumpe aufzuladen. Vergeblich. Der Schuss geht sozusagen nach hinten los.

Aber Lanz versucht‘s wenigstens. „Dass sogar Peter Schilling ein völlig unerwartetes Comeback feiert!“, frohlockt er. „Alle völlig losgelöst! Finde ich spektakulär!“ Darauf gibt es leider nur ein kleines Geplänkel mit Markus Söder. Der CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident ist bei dem Song „Völlig losgelöst“ offenbar nicht textsicher. Moniert Lanz jedenfalls. Söder kontert, Lanz kenne den Text auch nur, weil er einen Knopf im Ohr habe und es hinter den Kulissen drei Leute gebe, die ihm ständig das Richtige einflüstern.

Und dann passiert es: Söder gesteht, dass er sogar die Nationalhymne mitsingt! Na na na?! Ist das denn überhaupt noch erlaubt in diesen Zeiten? Pöser Pursche! Frau Faeser, übernehmen Sie? Söder leistet sich sogar noch einen weiteren Fauxpas: „Ich drück’ auch für die Österreicher die Daumen. Außer, es geht gegen uns. Ich drück’ auch für die Türken die Daumen. Außer es geht gegen uns.“ Oha, spätestens jetzt, um kurz nach Mitternacht, dürfte Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang einen Anruf aus dem Innenministerium bekommen haben. Söder mal lieber unter Beobachtung nehmen.

Immerhin, Lanz hat endlich die Pathos-Power bekommen, die er doch so gerne wollte. Bei Marcel Reif hat er damit nur einen Lattenknaller gelandet. Dem Sportjournalisten ist die lange, breite und genudelholzte Litanei des Lanz, dieses ständige „Was ist anders? Was ist nur anders bei dieser EM?“ deutlich zu hochgehängt. „Es macht einen Heidenspaß zuzugucken, ja“, sagt Reif, aber am Ende sei es eben Fußball, nicht mehr und nicht weniger. „Lass es halt geschehen, ohne dass wir es ständig abklopfen, warum, wieso …“

Auch Söder hatte Lanz anfangs zurechtgestutzt: „2006 gabs auch ähnlich schlaue Talkrunden“, ätzte er. Wahrscheinlich war das der Grund, warum der gekränkte Lanz ihn danach mit der Textsicherheit bei der Schilling-Hymne zu triezen versuchte. Nur eine Theorie. Eine Spieltheorie. Das sei uns erlaubt. Es geht ja schließlich um Brot und Spiele.

Die Runde ist sich einig: Dass diese EM bisher so schön ist, liegt vor allem daran, dass alle Teams Gas geben und viele Tore fallen. Vor allem die Partie „Türkei –Georgien“ hat es Lena Cassel angetan. „Mehr Herz als Kopf“, schwärmt sie. „Das war Kamikaze. Ehrlich und mit sehr viel Herz.“

Auch Marcel Reif hat ein Bonmot an diesem Abend. Die Schweiz sei immer „eine sehr wunderbare Mischung aus Minderwertigkeitskomplex und Größenwahn. Das oszilliert dann immer in jede Richtung“.

Und Rhetorikmeister Söder? Der verwandelt einen Elfmeter, den zweiten nach kurzem Stolpern und zwei weitere lässt er liegen.

„Wer ist eigentlich der Scholz für Sie in diesem Team?“
Söder knallt den hier ins Netz. „Also, Olaf Scholz, der wär‘, glaub‘ ich, daheimgeblieben. Der wär’ einfach daheimgeblieben, der hätt’ auch nix g‘sagt.“

Lanz nimmt den Ball wieder auf. „Und wer ist Friedrich Merz?“
Söder bekommt Angst vor dem Tor. „Das kann i jetzt net sagen, dass wird alles wieder nur negativ ausgelegt von Ihnen, nee, nee, nee.“
Lanz stichelt: „Aber er ist doch Kapitän!“
Das wiederum lässt sich ein Söder nicht bieten. Er läuft an und: „Das werden wir am Ende sehen, wer der Oberkapitän ist.“

Elfer Nr. 3, Lanz: „Wer ist denn der Markus Söder in so einer Mannschaft?“
Söder ungewohnt schmallippig: „Na, so ‘ne Vergleiche passen net.“
Nr. 4: „Oder der Habeck?“
Söder strauchelt: „Nee, weiß ich auch net.“ Stille. Es folgt eine lange Pause, die für einen Opportunismus-Stürmer wie Söder geradezu unerträglich sein muss. Man riecht förmlich seinen Schweiß. Die CSU-Fans am Bildschirm lassen das Weißbierglas sinken. Sie weinen.

Schnell ein neues Thema! Das ganze Talkrunden-Team lobt einhellig den französischen Nationalspieler Kylian Mbappé, der in einem Statement im Vorfeld der französischen Nationalratswahlen an die Jugend appellierte, wählen zu gehen. Er wolle der Jugend eine Stimme geben. „Man darf sich nicht verstecken. Ich bin gegen Spaltung.“

Das sei eine „ganz große Nummer“ gewesen, lobt Marcel Reif. „Das Beste, was ich von ‘nem Fußballspieler seit langer Zeit gehört hab‘.“ Cassel schließt sich an: „Das war ein Zeichen nach innen. Das war nicht mit dem erhobenen Zeigefinger auf eine andere Nation, das war ein Zeichen nach Frankreich.“

Die Zeichen für TV-Deutschland stehen übrigens weiterhin auf Brot und Spiele. Heute Abend geht es bei Lanz wieder um Fußball …

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