Helfen Masken? Schulschließungen? Oder 2G-Regelungen? Das werden wir alles im Herbst nicht wissen, wenn die Corona-Zahlen saisonbedingt wieder steigen. Das hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) in der Talkshow „Maischberger“ klar gesagt. Dabei hat er von der Bundesregierung den Auftrag bekommen, gemeinsam mit einer Expertenkommission genau diese Fragen bis zum 30. Juni zu beantworten. Es gäbe ja genug Studien dazu, tröstet Lauterbach bei Maischberger. Warum die Kommission diese Studien nicht zusammentragen kann, sagt er nicht.
Als Gesundheitsminister ist er nicht in der Lage, seine Aufgaben zu erfüllen. Freundlich im Ton, aber hart in der Sache führt Moderatorin Sandra Maischberger ihm die verschiedenen Spiegelstriche vor, die sein Versagen begründen: Die von ihm gewollte Impfpflicht ist gescheitert, weil die Regierung keinen eigenen Antrag vorgelegt hat. In vielen anderen Bereichen ist Lauterbach ebenfalls nicht in der Lage, tragfähige Kompromisse herbeizuführen. So wie diese Woche in der Frage der Triage. Also ob Ärzten die Entscheidung frei stehen soll, ob sie bei einer Überlastung wenig aussichtsreiche Patienten zugunsten von aussichtsreichen Patienten aufgeben dürfen. Nicht einmal verlässliche Zahlen kann der Gesundheitsminister organisieren. So räumt er ein, dass wir immer noch nicht wissen und auch nicht wissen werden, wie viele Deutsche insgesamt mit Corona infiziert waren.
Dass er seinem Auftrag nicht nachkommen wird, zu klären, wie wirksam die Maßnahmen bisher waren, wird Lauterbach nicht offen einräumen. Bei Maischberger hat er schon seinen Fluchtplan verraten: Er wird sagen, es stehe fest, dass die Maßnahmen juristisch wasserdicht waren und gut kommuniziert wurden. In Sachen Schulschließung klärt er also nicht die Frage, ob sie wirken – sondern ob sie ihn gut aussehen lassen. Das ist ihm wichtig.
Das zeigt sich auch in einem anderen Punkt: Maischberger konfrontiert Lauterbach mit einer Erhebung der Weltgesundheitsorganisation WHO. Demnach sei Deutschlands Corona-Politik wenig erfolgreich gewesen: eine hohe Sterblichkeit trotz harter Maßnahmen. Oder gerade wegen? Das fragt ihn Maischberger. Während Lauterbach immer nur die Corona-Toten anführe, habe die WHO auch das Umfeld berücksichtigt. Zum Beispiel Menschen, die gestorben sind, weil sie in Folge der Pandemie-Maßnahmen andere medizinische Eingriffe verschoben haben. An dem Punkt geht Lauterbach einfach vorbei. Eine Welt außerhalb von Corona ist für ihn offenbar keinerlei Erwähung wert.
Als es um die Impfpflicht geht, fragt Maischberger, wenn denn die Impfpflicht ihm so wichtig gewesen sei, warum habe dann sein Ministerium keinen eigenen Entwurf vorgelegt? „Ich bilde halt nicht alleine die Regierung“, lautet Lauterbachs Antwort. In nur vier von 73 Jahren wurde Deutschland mit einer absoluten Mehrheit regiert. In den anderen 69 Jahren war es Ministern immer wieder möglich, Gesetzesentwürfe vorzulegen, die von Koalitionspartnern mitgetragen wurden. Lauterbach offensichtlich nicht. Später will Maischberger wissen, warum er als Experte so gut gewesen sei und jetzt als Minister so angreifbar. Weil es da keinen Koalitionspartner gegeben habe. Nur alleine ist er gut. Die soziale Schwäche, die Maischberger vorgeführt hat, wirkt sich auf seine Amtsführung aus.
Politisch agitieren kann Lauterbach aber. Die No-Covid-Strategie „ist ein Fehler gewesen“, sagt er. Mit „Einsperr-Maßnahmen“ könne man kaum etwas erreichen – sondern die Welle nur vor sich herschieben. Entscheidend sei die Frage, wie viele geimpft seien. Allerdings ist das keine Kapitulation. Keine Abkehr von der deutschen Corona-Politik. Das sagt Lauterbach über die Bilder, die Maischberger aus Shanghai zeigt. Die sind allerdings auch so heftig, dass sich unmittelbar danach keine No-Covid-Haltung halten lässt:
Ihm selbst gehe es gut, sagt Ganea. Im Vergleich. Denn die chinesische Regierung gestehe Führungskräften wie ihm Privelegien zu. So durfte er auf dem Campus spazieren gehen – die 10.000 Studenten nicht. Egal, wie das Wetter ist: „Das hat mit medizinischen Erwägungen nichts mehr zu tun“, sagt Ganea. Das sei nur noch „sinnlose Gehorsams-Einforderung“. Es ist ein hoch interessanter Auftritt. Wenn man der Maischberger-Redaktion etwas vorwerfen will, dann, dass sie mit diesen spannenden Gästen dem Thema keine eigene Sendung widmet. Eine Konfrontation von Ganeas Praxiserlebnissen mit Lauterbachs theoretischen Ansätzen hätte deutlich mehr Zeit vertragen.
Zur Verteidigung der Redaktion lässt sich sagen: Auch die erste Hälfte der Sendung war durchaus sehenswert. Während Anne Will und „Hart aber fair“ diese Woche zum Ukraine-Krieg politische Rituale zelebrierten, reden bei Maischberger die Gäste wie Menschen. Das Ergebnis: klare Aussagen und Erkenntnisgewinn, statt ödem Politkalkül.
Das tut Tagesthemen-Sprecher Ingo Zamperoni auch. Der ehemalige Washington-Korrespondent bricht sogar ein Tabu: Ein deutscher Journalist lässt in der ARD etwas Gutes an Donald Trump. Zumindest räumt er ein, dass es sich nicht widerlegen lasse, dass nicht wenige Amerikaner glauben, mit Donald Trump als Präsident hätte Putin den Angriff nicht gewagt. Ob das Fakt sei, lasse sich nicht prüfen, sagt Zamperoni. Aber „umstoßen“ lässt es sich eben auch nicht. Für einen ARD-Mann ist das viel Zugeständnis.
Immerhin liefert Livia Gerster Erwartbares: Sie wolle sich gar nicht vorstellen, wie es wäre, wenn Trump noch Präsident wäre. So sprechen Journalisten in der ARD über Trump. Gerster ist erwartbar, intellektuell wenig scharf und politisch beliebig. Sie trägt in den Debatten die jeweiligen Farben der Saison auf. Gerster arbeitet für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung – eine Zeitung, die wie kaum eine zweite deutsche Zeitung 2021 Auflage verloren hat.
Hätte die Redaktion Gerster eingespart, wäre zum Beispiel mehr Zeit gewesen für Rüdiger von Fritsch. Er war von 2014 bis 2019 Botschafter in Moskau. In zehn Minuten Einzelgespräch sorgt er für mehr Erkenntnisgewinn als zweieinhalb Stunden Anne Will und „Hart aber fair“ zusammen. Putin wolle Europa schwächen und dürfe schon aus innenpolitischen Gründen nicht zusehen, wie die Ost-Ukraine sich Richtung Westen orientiert. Da der Krieg nicht so gut verlaufe, wie Putin es wohl erwartet hat, müsse er jetzt auch um seine eigene Macht kämpfen.
An anderer Stelle schafft es Maischberger wiederum, Fritsch vorzuführen: Bevor er Botschafter wurde, war er von 2007 bis 2010 im Auswärtigen Amt Leiter der Abteilung für „Wirtschaft und nachhaltige Entwicklung“. Sprich: Er gehört zu den Architekten der deutschen Russlandpolitik. Obwohl er heute so präzise über die menschlichen Defizite Putins sprechen kann, hat Fritsch die Abhängigkeit von russischem Gas an entscheidenden Stellen doch mit forciert.
Höflich, nicht mal ausdrücklich spricht Maischberger Fritsch auf dieses Versagen an. Der hilft sich mit einer Metapher: Die Politik gegenüber Putin sei richtig gewesen, so lange der sich an die Regeln gehalten habe. Aber: „Putin hat mitten im Spiel das Schachbrett umgeworfen.“ Was eine Rechtfertigung sein soll, ist letztlich ein Eingeständnis: In drei großen Koalitionen unter Angela Merkel (CDU) hat die deutsche Politik gedacht, dass Putin nur spielt.
Doch dafür schafft Herrmann etwas, wozu der Minister später nicht in der Lage sein wird: Sie liefert Zahlen. Um acht Prozent werde das Wachstum beim Gas-Verzicht einbrechen, sagt die TAZ-Redakteurin. Die Inflationsrate werde auf über zehn Prozent steigen. „Das wäre schlimmer als Corona.“ Herrmann formuliert auch die Frage, mit der die Journalisten Scholz, Habeck und Baerbock bisher verschonen: Es stehe zwar fest, dass Deutschland aus dem russischen Gas aussteigen will. „Aber es steht nicht da, wann.“