Erinnern Sie sich noch an diesen Spruch Ihrer Eltern? Oder Großeltern? Nun, stellen Sie sich doch bitte kurz das folgende vor:
Sie sind Bundeskanzlerin der Bundesrepubik Deutschland und führen freundliche Gespräche mit dem Vorstand einer Partei, die das Flirten und Händchenhalten verbieten möchte, die Homosexuelle zunehmend diskriminiert, die die Meinungsfreiheit für überholt hält, die Zeitungsredaktionen verhaftet und TV-Sender vor laufender Kamera übernimmt, die kritische Journalisten und Karikaturisten unter fadenscheinigen Beschuldigungen monatelang ins Gefängnis schickt, die die Legitimation des Verfassungsgerichts anzweifelt, wenn dieses nicht Urteile in ihrem Sinne zu fällen gedenkt, die an der Grenze auf Menschen schießen lässt, die friedliche Proteste gewaltsam auflöst, die im Verdacht steht, Terroristen zumindest frei und nach gut dünken gewähren zu lassen, um einen der Erzfeinde zu schwächen. Eine Partei, die zunehmend die Religion über alles stellt und die die Vorzüge der Vielehe preist. Eine Partei, die Twitter und Facebook abschaltet, wann und wie es ihr beliebt. Und eine Anfrage zum Völkermord wird auch zurückgezogen.
Ein normaler Mensch würde jegliche Verhandlung mit so einer Partei doch noch nicht einmal in Betracht ziehen, geschweige denn ihr am laufenden Meter Zugeständnisse machen. Stellen Sie sich das doch bitte einfach nur mal vor: Die Bundeskanzlerin verhandelt über eine Koalition mit der AfD! Ja, ist die denn von allen guten Geistern verlassen?!
Aber zum Glück ist dem ja nicht so. Die Bundeskanzlerin und Teile ihrer Führungsetage springen in diesen Tagen nicht für die AfD in die Bresche – sondern sprechen sich für EU-Beitrittsverhandlungen der Türkei unter der Federführung des Staatschefs Erdogans aus! Jawohl, der Türkei. Alle die oben aufgeführten Punkte werden vertreten von der derzeitigen türkischen Regierungspartei unter Erdogan. Der ist demnach nicht Oberhaupt von Disneyland, sondern schickt sich an, einer der größten Dikatoren vor der Haustüre Europas zu werden. Mit einem Fuß in der Türe der EU. Naja, was sind schon Diktatoren. Tritt der eine ab, so wie in Ägypten, ist es „Ein Tag großer Freude“. Will einer rein, verhält der sich „europäischer als manches EU-Land.“
„In ihren Augen kann man sehen, welche Kraft die Freiheit entfalten kann.“ Sie (Angela Merkel) wünsche den Menschen ein Leben ohne Korruption, Zensur, Verhaftung und Folter.“ Wohlfeile Worte.
Zusammenarbeit wird es mit so jemandem jedenfalls nicht geben. Oh, schon wieder daneben. War ja Gaddafi. „Es muss ganz klar sein, dass jemand, der Krieg gegen sein eigenes Volk führt, für die EU kein Gesprächspartner ist.“ Wie gut, dass wir drüber gesprochen haben, mit wem Angela Merkel und die CDU redet – und mit wem nicht. Und der Brüsseler ARD-Korrespondent erklärt: Setzt sich Erdogan mit Visumerleichterung durch, kann er sein Präsidialsystem durchsetzen. So ein System nach dem Vorbild Hitlers findet Erdogan erstrebenswert. Also verhandeln. Was Wenn?
Wenn sich dann nachher auch noch herausstellen sollte, dass die Vorschläge für Koalitionsverhandlungen nicht von Alexander Gauland, sondern von Angela Merkel bzw. vom Bundeskanzleramt vorbereitet wurden. Wenn Gauland und Merkel gemeinsam in die Ferne deutend auf dem Balkon stehen. Läuft es Ihnen da gedanklich nicht auch eiskalt den Rücken runter? Und jetzt stellen Sie sich doch dazu bitte noch die Reaktion von Heribert Prantl vor – der kollabiert doch! Oder von Claudia Roth. Die hört vor Schreck auf, Fußball zu kommentieren. Und wer kann das ernsthaft wollen?
„Rechter Haken für Merkel: Kann sie ihre Politik noch durchsetzen?“, lautete das Thema der Maischberger-Sendung. Es war eine Sendung, bei der zwischen viel Geschrei und Getue vieles klar wurde, was sonst gerne verschwiegen wird.
So kamen dann gestern abend fünf Köpfe bei Frau Maischberger zusammen, um sich in Abwesenheit von Frau Merkel darüber zu unterhalten, warum Koaltions-, pardon Kapitula…, verflixt – EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei gut oder falsch sind, während zuhause doch der viel größere Feind in Form der Brandstifter der AfD wartet und seine verknöcherten, verwarzten Hände aneinander reibt.
In den Landtagswahlen hat die 2013 gegründete Partei überraschenderweise deutlich besser abgeschnitten als Herr Güllner das im morgendlichen Kaffeesatz gestattet hat. Seitdem haben große Teile bisheriger CDU-, SPD-, Linke- und FDP-Wähler auf die dunkle Seite gewechselt und sind jetzt wie die Sturmtruppler in Star Wars Darth Vader zu Willen. Oder wie die Unberührbaren. Ob die sich das alle so vorgestellt haben, als sie am Sonntagmittag im Wahllokal abgestimmt haben, von der CDU, der Linken, der SPD weg, hinein ins Dunkle? Die haben damit ja quasi ihr altes Leben als unbescholtene Mitglieder der Gesellschaft gegen das eines Parias inmitten Aussätziger eingetauscht. Lepra-Village hat zwar mittlerweile die Ausmaße von Berlin, aber das ist nichts, was man durch angemessen tiefe Gräben nicht doch noch in den Griff bekommen sollte, damit sich das nicht weiter ausbreitet. Schließlich kann man Grenzen zwar nicht schützen. Im Gräben ziehen erweisen sich einige in diesen Wochen und Tagen allerdings als große Baumeister und talentierte Bulldozer-Fahrer ihrer Zunft.
Anscheinend ist es Alice Weidel von der AfD gelungen, diesen Graben zumindest teilweise zu untertunneln. Ein unverbrauchtes Gesicht in der Talkshow-Manege. Durch den optischen Unverdächtigkeits-Scanner gerutscht. So sitzt sie jetzt frisch gestriegelt neben Alfredo Jörges und seinem neuen dünnen Oberlippenbart auf dem Sofa, gegenüber von SAT1-Moderator Claus Strunz und jemandem von der CDU, dessen Name mir leider immer wieder entfällt. Wer ist das? Ah, hat mal ein Plakat mit roten Socken für die CDU mitgestaltet. DER war das? Mit Wonne fällt er Strunz immer wieder ins Wort. Überhaupt eine sehr beliebte Talkshow-Disziplin: Das Schnellunterbrechen. Das und das „IpM-Battle“ – der Wettkampf um die meisten „Interruptions per Minute“.
Klaus von Dohnanyi, gefühlte 112 Jahre, kann ein Mezzosopran-Lied davon singen. Wie ein Bumerang kommt er immer wieder beim Schießbefehl an. Bei Schießbefehl muss ich immer an Charlton Heston während der Tagung der NRA denken, wie er im Ausschnitt im Film „Bowling for Columbine“ von Michael Moore zu sehen ist – und wie er sprach: „From my cold dead hands“ Jetzt ist er hin, der Ben Hur. Könnte die AfD auch bald wieder sein, wenn sie sich thematisch nicht breiter aufstellt, wenn das Flüchtlingsthema wieder vorbei ist, wenn sie sich nicht vom rechtsextremen Odeur löst, wenn sie…. Also dann ist sie jedenfalls hinüber. Finito. Weg. Wie einstmals die Pistazien. Oder Piraten? Oder wo der Henkel sonst noch so war, die Angela Merkel der Kleinstparteien.
Im Niemandsland hinter dem Graben gibt es ja keine Lebensmittelversorgung – so wie die Dinge aktuell stehen, ist mit Rosinenbombern da auch nicht zu rechnen.
Bei Maischberger sind auf der Seite der Guten, der CDU-Plakat-Mann, die SPD-Grandezza und der Varietézampano Jörges angetreten, der Koalitions-Beitrittsverhandlungen mit der AfD Türkei befürwortet. Ja, Frau Merkel hat recht. Ja, sie wird sich auf dem EU-Gipfel und allen weiteren Stückchen für Stückchen weiter durchsetzen. Wie Trainer am Boxring kneten die drei ihrem physisch abwesenden, bereits lädierten Champion die imaginäre Schulter, bevor sie ihn zur nächsten Runde mit einem letzten „Wir schaffen das“ zurück in den Ring schicken. Claus Strunz sagt, da „wäre ein Merkel-Fanclub versammelt.“
Zu dem er: nicht gehört. Strunz vertritt die Auffassung, dass Merkel Deutschland in Europa isoliert habe. Was ihn gefährlich nahe an die Gräben von Mordor führt. „Mit großer Sturköpfigkeit macht Frau Merkel weiter.“ Zack, schon hat der Spediteur Jörges ihm den Umzugwagen bestellt und ihn in die Nähe der AfD gerückt. Oder war es gleich der Gefängniswagen? Der Jörges ist schon ein großer Schachspieler, das muss man sagen. Manchmal kann man ihn an ruhigen Sonntagen im Park sogar dabei beobachten.
Wenn man die Türkei am Ende des Prozesses in die EU aufnehmen kann, nachdem sie sich wirklich demokratisiert hat, müsse man das auch der AfD zugestehen – als Strunz das sagt, geht allen die Luft aus und die Mienen gefrieren.
Dohnanyi, älter als die Zeit, spricht von „Wir haben 10 bis 15 Prozent brennbares Material unter den Wählern.“ Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht. Auch, wenn zuvor über geistige Brandstiftung gesprochen wurde, würde es mir im Leben nicht einfallen, von Menschen als „brennbarem Material“ zu sprechen. Aber auch hierbei gilt: Sagt’s so ein alter weißer Mann (SPD): gut. Sagt’s ein alter weißer Mann (AfD): hallo, böse. Strunz gefällt der Vergleich nicht und Dohnanyi korrigiert sich. Er hat doch Stimmungen gemeint, mensch. Na, die BILD sagt dazu, einem AfD-Politiker hätte man sowas nicht durchgehen lassen. Warum man das überhaupt einem Politiker durchgehen läßt, speziell, wenn er von Verwertbarkeit eines Menschen spricht, ist ein ungleich gewichtetes, weniger gut gehütetes Geheimnis.
Anzumerken oder daran zu erinnern, dass Gesetze außer Kraft gesetzt wurden, dies dauerhaft, beschert einem ebenfalls eine Hypothek gefährlich nahe an der Mauer. Alice Weidel hat das Schwarz ja schon angelegt, ruft: Der Winter naht oder sie wagt die Feststellung: „Die Bundesregierung setzt sich über Gesetze hinweg“.
Im Auftreten von Weidel offenbart sich für den Zuschauer, mit welch eierlegender Wollmilchsau die Parteienlandschaft es gerade mit der AfD zu tun bekommt. Als ruhige, sachliche Internetunternehmerin verortet Jörges sie eher im rechten Flügel der FDP. Das dämmert in dem Moment auch den anderen Teilnehmern der Runde, die könnte doch auch irgendwie zur CDU pa… Die bieten jetzt für jeden das passende Role-Model an. Also das, was Sigmar Gabriel sonst in Personalunion versucht.
Zuvor sprach BAMF-Chef Weise in den Tagesthemen von „Dieses Jahr werden wir dieses Gefühl von Überflutung beseitigen.“ Ob er weiss, dass er nach diesem Satz schon mit einem Bein drüben steht? „Er hat Überflutung gesagt!“