Die Frage, die wir voranstellen wollen, wirkt im ersten Moment so abwegig, dass wir uns kaum trauen, sie zu stellen, aber der Verlauf einer Maischberger-Sendung, die das SPD-liche „Ja oder Nein“ zur GroKo verhandeln wollte, hätte keine klarere Antwort geben können.
Die Frage geht so: Warum eigentlich vereinigen sich CDU und SPD nicht einfach in einer Einheitspartei? So hätten beide auf einen Schlag ihre sinkenden Wählerzahlen nach oben korrigiert, lägen deutlich über 30 Prozent. Und diese jämmerlichen Profilierungsschauspielereien gegenüber der jeweils anderen Partei wären unnötig, das Wahlvolk hätte schwarz auf weiß, was es eh schon die ganze Zeit wahrnimmt. Angenehmer Nebeneffekt für alle Beteiligten: Es bräuchten nicht jedes Mal aufs Neue diese leidigen wie Kräfte zehrenden GroKo-Verhandlungen geführt werden.
Keine Rosen bekamen Katharina Barley, geschäftsführende Familienministerin für die SPD mit Ambitionen auf das Amt der ersten deutschen Außenministerin, Annika Klose von den Jusos, eingesprungen für Kevin-mit-Grippe-alleine-zu-Hause-Kühnert, Monika Grütters, Präsidiumsmitglied der CDU und natürlich Maischberger, die noch am ehesten eine Rose verdient hätte im Vergleich zu Sendungen zuvor – aber für nur die halbe Schlechtleistung gleich Rosen regnen lassen? Nö.
Einer fehlt noch, Rosenkavalier Wolfgang Kubicki. Der hat Jörges gegenüber einen – ähm – Vorteil, er nimmt Frauen nicht ernst. Muss ihnen also auch nicht ständig ins Wort fallen, lässt sie gewähren. Trotzdem hier Punkt für Jörges. Und mit dem fangen wir gleich an: Die aschblonde Kolumnentrompete vom Stern relativierte gleich mal die Ergebnisse des Meinungsforschungsinstitutes INSA, die säßen ja im Höcke-Land Thüringen, seien also AfD-gesteuert oder so ähnlich. Birgit Kelle, eng neben ihm auf dem Sofa, wird ihn im Verlaufe der Sendung öfter mal mit ihrem leicht geöffnetem Lipgloss-Mund sprachlos anschauen, wenn er raushaut, was er eben so raushaut.
Zu ihren vier Kindern hätte Kelle wahrscheinlich gesagt: Die Polypen müssen raus, aber bei ihr ist es reinstes Staunen über den Wortwasserfall des Journalisten, der Ende des Jahres das offizielle deutsche Rentenalter erreichen wird. Immerhin: Gut gehalten, er sieht deutlich jünger aus.
Bei diesem Jörges ist es doch so: Der redet viel, der weiß aber auch viel! Und er weiß, dass er reden kann. Eine große Verführung, die dazu führt, dass er im Prinzip jede Meinung vertreten kann, die gerade opportun ist, und er macht rege Gebrauch davon. Ja, wenn mal Not am Mann wäre, könnte er die Reise nach Jerusalem als Ein-Mann-Show bestreiten: Einfach immer einen Stuhl weiterrutschen. Am besten mit verstellten Stimmen, aber ob er auch den Matze Knop kann, müsste noch bewiesen werden.
Grütters: CDU braucht keine alten Werte
Aber kommen wir darauf zurück, zu erklären, wie es CDU-Mitglied Birigt Kelle geschafft hat, Barley und Grütters dazu zu bewegen, die Vorstellung einer Einheitspartei aus SPD und CDU als idealen Lösungsansatz zu präsentieren: Kelle zündelte an den beiden, als Maischberger sie bat, der Runde doch einmal den Markenkern der CDU zu erklären. Die Aufgeforderte nahm den Handschuh auf und erklärte zunächst, es ginge nicht drum, dass die CDU zu alten Werten zurückkehren müsse, die Gesellschaft hätte sich verändert. Aber in der Familienpolitik sei überhaupt nichts mehr erkennbar. Die wurde kampflos an die SPD abgegeben.
Kelle weiß auch, warum dieser Posten so ungemein wichtig geworden ist: Im Familienministerium würde viel in die Wege geleitet, es seien sogar mittlerweile diese Softthemen, die darüber entscheiden, wohin sich die Gesellschaft entwickelt. Und eben diese aufgegebene Familienpolitik sei es, die den konservativen Teil der CDU umtreibt. Bei Kelle hören alle zu. Selbst Jörges spürt in dem Moment: besser mal still sein. Ein kleines Wunder, aber längst nicht das größte.
Grütters: Unterscheidung von SPD nicht wichtig
Birgit Kelle spürt den Sieg sofort, Familienpolitik, das ist ja ihr Masterthema und findet dann sogar noch Zeit, kurz mit Kubicki zu scherzen, während Grütters und Barley jede still für sich die Wunden lecken, denn klar, schnell hat man gemerkt, was man sich da gerade geleistet hat, aber zurückspulen, alles neu und anders erzählen geht nun nicht mehr. Und natürlich hat Kelle recht, das Familienministerium ist mit den hunderten von Millionen Euro für Kampagnen wie „Demokratie leben!“ längst das inoffizielle Erziehungs- oder böser: Propagandaministerium der Merkelregierung geworden. Und dort regiert die SPD. Die Keimzelle der Sozialdemokratisierung der CDU, der Bunsenbrenner unter dem Kochtopf Einheitsbrei.
Maischberger fragt: „Was halten die Wähler vom politischen Establishment?“ „Politisches Establishment“? fragt sich der Zuschauer, ist das eigentlich schon counter-speech empowerment? Zu oft die AfD eingeladen? Na, da wird wohl demnächst mal eine Schulungsmaßnahme bei der Kahane-Amadeu-Stiftung fällig, querfinanziert, na klar: von den Propagandamillionen aus Barleys Familienministerium (wie sich gerade aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Anfrage des AfD-Abgeordneten Brandner ergibt, erhielt die Amadeu-Antonio-Stiftung seit dem Jahr 2010 insgesamt mehr als 3,6 Millionen Euro an Mitteln aus dem Bundeshaushalt).
Kelle: kein Kurswechsel in der CDU
Die AfD ist natürlich auch ein Thema. Barley meckert schon nach 10 Minuten, man würde schon 15 Minuten wieder nur über die AfD reden. Kelle erklärt ihr dann kurz, warum: AfD im Bundestag sei ein Weckruf, das Flüchtlingsthema virulent. Noch besser in Richtung Barley: Der innere Streit in der SPD sei doch nicht zu unterscheiden von dem in der AfD. „Wenn wir das stoppen wollen, müssen wir überlegen, haben wir am Wähler vorbeidiskutiert?“ Und Kelle gibt Barley einen Tipp: Die Flüchtlingsdiskussion ist doch schon seit über zwei Jahren am kochen.“ Aber Kelle glaubt noch nicht, dass es einen Kurswechsel in der CDU geben wird. Kramp-Karrenbauer würde es wohl am ehesten schaffen, die verschiedenen Flügel zusammenzubringen. Nun ist die neue Generalsekretärin in der CDU für die inhaltliche Debatte zuständig. Ja mein Gott, was hat Kelle vor, vom Hausfrauenstolz über die exzellente Journalistin jetzt noch die Bewerbung für ein politisches Amt?
Katarina Barley erklärt, warum die SPD mitregieren muss: Man müsse unterscheiden, zwischen dem theoretischen großen Entwurf und der Realpolitik. „Man kann sich nicht drei Jahre von der politischen Bühne wegbeamen.“ Was für ein Geständnis! Wer in der Opposition ist, befindet sich also außerhalb der politischen Bühne? Warum dann aber das ganze Theater um die AfD?
Widersprüchliches am laufenden Band. „Zukunftsvisionen fehlen“, sagt dann die Jusovorsitzende Annika Klose etwas aufgeregt und noch kamerascheu – Klose jedenfalls fehlt in der SPD die Perspektive, was in dreißig Jahren sein soll. Na, da sagt sie was. Aber eine Überraschungsrose gibt es dafür trotzdem nicht. Manch einer wäre sicher schon froh, zu wissen, was die Perspektive der SPD nur für das kommende Jahr sein soll. Wer gemeinsam mit der CDU ein ganzes Land in wenigen Jahren in so eine innere Verunsicherung treiben kann, der hat womöglich überhaupt das Recht verwirkt, in Jahrzehnten denken zu dürfen.
Barley: CDU und SPD ohne genug Profil
„Das Problem ist, wir haben nicht mehr genug Profilbildung, CDU wie SPD.“ sagt Barley. Kevin Kühnert hat Grippe, könnte man jetzt antworten, man könnte aber auch sagen: Wenn sich Kühnert früher eine dickere Jacke angezogen hätte, wäre auch die Grippe ausgeblieben. Ihm gute Besserung, der SPD hingegen ist nicht mehr zu helfen. Die hat sich längst eine chronische Wählerabwanderitis eingefangen.
Symptomatisch für das alles dann noch ein weiterer Erklärungsversuch von Barley: Die Menschen würden von der SPD nicht erwarten, dass wir lupenreine SPD-Politik durchbringen. Diese Partei gäbe es doch schon, das sei die Linkspartei und die profitiere aktuell nicht von „unseren Momenten der Schwäche.“ Besser kann man sich ja kaum ins eigene Bein schießen. Also in beide blanken Barley-Beine, nur um hier noch die Alliteration mitzunehmen, die sich anbietet und mit der Frage zu koppeln ist, die sich der Autor hier auf einem Nebengleis stellt: Wie man sich als Mann so fühlen würde in so einer Sendung, wenn man in kurzer Hose mit blanken Beinen in der Runde säße. Die Frauen, die den Autor privat im Alltag umgeben, tragen alle Hosen, aber Gott sei Dank noch keine Hosenanzüge.
Aber nun sind wir soweit abgeschweift, dass wir es hier beenden wollen mit dem Fazit: Eine lustige Sendung. Sandra Maischberger hat nicht gestört, Birgit Kelle hatte ihren ganz großen Tag und Barley und Grütters haben vorgeführt, warum eine Einheitspartei die bessere Lösung wäre, während die junge Dame von den Jusos wohl noch ein bisschen braucht, bis sie die Mechanismen solcher Quasselshows perfekt beherrscht, zu wünschen wäre ihr allerdings von Herzen eine vorzeitige Immunisierung.