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Bei Maischberger: Kretschmers Kampf gegen die AfD

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer schließt eine Zusammenarbeit mit der AfD aus. Die Migration ist die Hauptsorge der Bevölkerung. Und kommt es im Nahen Osten zu einem Flächenbrand? Von Fabian Kramer

Screenprint ARD

Die Parteien der Ampel-Koalition haben bei den Landtagswahlen einen Denkzettel im XXL-Format bekommen. Profitieren konnte vor allen Dingen die AfD und in Hessen auch die CDU. Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer ist an diesem Abend zu Gast bei Maischberger, um Wahlnachlese zu betreiben und einen Ausblick auf die Landtagswahl 2024 in Sachsen zu geben.

Sind AfD-Erfolge reiner Protest?

Die blauen Balken der AfD schossen am Sonntag in die Höhe und erschreckten die politische Konkurrenz. In Hessen gewann die AfD 5,3 Prozentpunkte, in Bayern 4,4. Auch Ministerpräsident Kretschmer ist deshalb beunruhigt. “Es ist eine starke Krise der Demokratie”, deutet er die Ergebnisse. In einer Demokratie ist es freilich etwas gewagt, demokratische Wahlergebnisse als Krise zu titulieren. Die Wahl ist das Königsrecht in einer Demokratie und bringt mitunter unbequeme Ergebnisse für die herrschende Klasse. Als Teil der herrschenden Klasse stempelt Kretschmer die AfD-Stimmen als Protestwahl ab. “Die Bevölkerung wählt Protest”, meint er. Dieses einfache Urteil zum AfD-Erfolg ist inzwischen demoskopisch entkräftet worden. Natürlich spielt für die Wähler der Frust über die Migrationspolitik oder die Klimapolitik der Ampel oder Union eine Rolle, aber nicht nur. Immer mehr Wähler stimmen aus programmatischer Überzeugung für die AfD. Diese macht anscheinend ein Angebot, das die anderen Parteien nicht machen. Klare Positionierungen in Sachen Migration und Energiewende-Irrsinn haben bei den Bürgern verfangen.

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Diese klaren Positionierungen sieht Kretschmer äußerst kritisch. “Es ist ein Politikansatz, der nicht verbindet, sondern spaltet”, kritisiert er. Warum dann ausgerechnet die Union eine „Brandmauer“ zur AfD errichtet, um die Spaltung zu vertiefen, ist unerklärlich. Angeblich soll es doch um das Verbindende in der Politik gehen und nicht um Spaltung. Da passt eine „Brandmauer“ wahrlich nicht ins Bild. Der sächsische CDU-Chef will der „Brandmauer“ in jedem Fall treu bleiben. Für die Landtagswahlen 2024 gibt er sich zuversichtlich. Man werde noch „von Sachsen hören”.

Diese Prophezeiung könnte allerdings auch anders kommen als von Kretschmer erwünscht. Eventuell braucht eine starke AfD keine Partner. Eine Alleinregierung ist im Osten vielleicht unwahrscheinlich, aber im Bereich des Möglichen. “Es ist eine Partei, die Rechtsextreme duldet”, und: “Diese Partei wird nicht mehr in die politische Mitte zurückkommen”, findet Kretschmer. Möglicherweise ist die AfD allerdings schon in der politischen Mitte angekommen. Eine von Merkel inhaltlich entkernte CDU hat viel konservatives Terrain freigegeben. Dort tummelt sich jetzt die AfD und gewinnt an Stimmen.

Migration ist Sorgenkind der Bevölkerung

Wie weit die Frustrationsschwelle der Bevölkerung in Sachen Migration überschritten ist, dürften die Wahlergebnisse vom Sonntag deutlich gemacht haben. Auch Kretschmer möchte eine andere Migrationspolitik und sieht besonders die hohen Sozialleistungen für abgelehnte Flüchtlinge kritisch. “Müssen abgelehnte Flüchtlinge die gleichen Leistungen bekommen wie anerkannte Flüchtlinge?”, fragt er zurecht. Seine Parteiführung in Berlin versucht zurzeit, auch wieder die Migrations-Gegner zu mimen – was ihr nur keiner mehr abkaufen will, nach Jahren der offenen Grenzen. Andere Länder wie Frankreich stellen schon seit längerer Zeit die Zahlungen für abgelehnte Flüchtlinge ein. Auch Kretschmer versucht, die Rolle der CDU kleinzureden. „Seit einem Jahr reden wir über die Migration“, und es müsse endlich was unternommen werden. Seit einem Jahr?

Auch, ob Grenzkontrollen denkbar sind, möchte Maischberger wissen. Kretschmer weicht aus, er will die Pull-Faktoren abschaffen und „mit Libyen und Algerien zusammenarbeiten“. Die Staaten des Mittelmeers sollen die Grenzen schützen, die Deutschland aufgegeben hat.

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Die deutsche Bundesregierung weigert sich beharrlich, diesen Schritt zu gehen. “Unsere Sozialleistungen sind Pullfaktoren”, erkennt Kretschmer. Doch nicht nur die Sozialsysteme ziehen Migranten magisch an, auch eine ungesicherte Grenze lockt die Flüchtlinge nach Deutschland. Diese Grenze möchte Kretschmer besser sichern und Migranten zurückweisen. Ob die zuständige Innenministerin, Nancy Faeser, sich für Zurückweisungen erwärmen kann, darf in Zweifel gezogen werden. Den Migrationskompromiss der EU, schon vom Aufbau her eine Minimallösung zur Grenzsicherung, hintertreibt und sabotiert sie von Anfang an, auch wenn sie ihn im Wahlkampf als Monstranz vor sich her getragen hat. “Wenn man in Berlin-Mitte im Raumschiff lebt, sollte man wenigstens die Umfragen zur Kenntnis nehmen”, poltert Kretschmer in Richtung Bundesregierung. Doch seine Parteiführung sitzt im selben Raumschiff.

Dieses Raumschiff ist immun gegenüber inneren und äußeren Widerständen. Der Wähler wird womöglich erneut an der Wahlurne tätig werden und der Regierung ins Stammbuch schreiben. Eventuell ändert sich dann etwas an der Wahrnehmung im Raumschiff.

Droht ein Flächenbrand im Nahen Osten?

Der völlig aus dem Nichts gekommene Angriff der islamistischen Terroristen der Hamas auf Israel ist ebenfalls Thema bei Maischberger. Mit dem ehemaligen Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, und dem ehemaligen israelischen Botschafter in Deutschland, Schimon Stein, sind zwei diplomatische Haudegen eingeladen. “Es ist eine traumatisierte Gesellschaft, die unter Schock steht”, erklärt Stein. Weitreichende geschichtliche Vergleiche mit anderen schlimmen Ereignissen lehnt er ab. “Ich bin gegen Vergleiche mit dem Holocaust”, stellt er klar. “Wir haben es hier mit einer Terrororganisation zu tun”, ordnet er ein. “Bürger und Zivilisten werden terrorisiert”.

In der Tat hat der Angriff der Hamas nichts mehr mit konventioneller Kriegsführung zu tun. Das wahllose Töten von Zivilisten, das Schlachten von Kindern und die Verschleppung von Geiseln haben mit Freiheitskampf gar nichts zu tun. Auch Ischinger möchte keine geschichtlichen Vergleiche anstellen. “Alle Vergleiche hinken”, meint er. Viele Beobachter stellen sich die Frage, wie die Hamas die hermetische Grenze zu Israel überwinden konnte. Grund ist wohl auch eine Neuorganisation der Hamas. “Die Hamas hat gelernt”, vermutet Stein. “Die Hamas hat das Hisbollah-Modell übernommen.”

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Gemeint sind damit die terroristischen Praktiken der schiitischen Islamisten der Hisbollah-Miliz aus dem benachbarten Libanon, welche dem Iran nahestehen. Diese vielschichtigen Verflechtungen des Konflikts bergen die Gefahr für einen Flächenbrand im Nahen Osten. Ein Stellvertreter-Krieg mit dem Iran ist eine Option, Israel gegen eine Hamas-Hisbollah-Koalition. Oder der Iran könnte direkt in den Krieg eingreifen. Als letzter Stabilitätsanker in der Region gilt das Königreich Jordanien, ein langjähriger Verbündeter der USA. Doch ob sie mit Israel gegen den Iran kämpfen, steht zu bezweifeln.

Auch Europa könnte unmittelbar vom Konflikt betroffen sein. Ischinger warnt vor Terror auch in Europa. Israel ist an diesen Terror gewöhnt. Die Israelis sind krisenerprobt, haben Schutzräume, Warnsysteme und Übung, wie sie mit Krisen umgehen. Europa, Deutschland: Versagt schon in der Trockenübung an den Bundeswarntagen. Stein ist zuversichtlich, dass sein Land die Krise meistern wird. In der Gefahr wird politischer Streit wie der der Regierung mit der Opposition beiseite gelegt. Fakt ist, dass die Welt um eine neue blutige Episode des Nahost-Konflikts reicher ist. Es ist nicht abzusehen, ob es zu einem größeren Krieg in der Region kommt. Ein Flächenbrand in dieser vor Waffen starrenden Region hätte schreckliche Konsequenzen für die Menschen vor Ort und für uns in Europa.

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