Tichys Einblick

Maischberger in Zeiten von Corona: Jens Spahn ohne Mundschutz

Der Satz des späten Abends gehört Jens Spahn, so mit nach rechts schiefgelegtem Kopf gesagt – wohl um der Bedeutung mehr Ausdruck zu verleihen: „Die CDU ist echt in ihrer tiefsten Krise wahrscheinlich.“

Screenprint: ARD/maischberger

Corona, Wahl in Hamburg, Bewerbungen um den CDU-Vorsitz, Sterbehilfe und die Morde von Hanau – Sandra Maischberger will all das hintereinander abhandeln und mit wechselnden Gästen besprechen. Neben ihrem ersten Gesprächspartner, dem Bundesgesundsheitsminister Jens Spahn (CDU), sind dieses Mal als Kontrollrat, als Sidekicks und Anstandswauwaus Bettina Gaus von der taz, der Spaß-Journalist-Moderator Micky Beisenherz und Michael Bröcker vom Media Pionieer bestellt worden. Mindestens Beisenherz nicht zum ersten Mal, aber wenn immer nur eine bestimmte Haltung ewünscht ist, dann wiederholt sich eben das Prozedere, zuletzt saßen da Melanie Amann vom Spiegel und Jan Fleischhauer, ehemals vom Spiegel.

Die Ausgsburger schreibt im Voraus zur Sendung: Auch über Sterbehilfe würde diskutiert werden. Das allerdings ist Wunschdenken. Diskutiert wird bei Maischberger nichts mehr. Wie sollte das auch gehen, wenn immer nur ein Gast auf den weißen Trendhockern vor dem Publikum Platz nimmt. Mit sich selbst kann man schlecht debattieren. Es gibt also den Talk mit verdienten Journalisten und zwei Interviews.

Derjenige Regisseur oder Dramaturg, der für die Neuformatierung des alten Maischberger-Talks verantwortlich ist, sollte gezwungen werden, sich jede Sendung anzuschauen mit Streichhölzern zwischen den Augenlidern. Ja, was da wie in einer dystopisch anmutenden Zeitlupe vorbeiplätschert, ist tatsächlich Echtzeit. Ist Maischberger.

Aber vorher noch das Wetter der Tagesthemen. Schnee ist. Kommt demnächst noch eine Corona-Warntafel nach dem Wetter? Aber so schlimm kann’s nicht sein, wenn Jens Spahn sich noch ohne Mundschutz oder Ganzkörperkondom ins Studio wagt, der müsste ja wissen, wenns schon hinter vorgehaltener Hand um Leben und Tod geht.

Aber Maischberger kommt immer noch nicht. Vorher noch Weltspiegel Extra mit dem Corona-Blues aus Italien. Schutzmasken und alles andere rund um Desinfektion, ausverkauft, leere Supermarktregale. Der erste Akt eines Hollywood-Untergangsschockers live. Hamsterkäufe.

Politikerannäherung?
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Ein älterer Italiener erinnert sich: Nicht einmal zu Beginn des Krieges kam solche Panik auf. Italien ist besonders Corona anfällig wegen enger Kontakte der Textilbranche nach China. Nicht etwa, weil von dort die Billigprodukte kommen, nein, es sind die Bestellungen, die jetzt ausbleiben, Verluste bis zu 90 Prozent von einem Exportanteil hinter die Große Mauer von bis zu 40 Prozent.

Italien ist also doppelt getroffen. Elf Städte abgeriegelt, rote Zonen, strenge Kontrollen. Und in der Uniklinik Köln soll der deutsche Patient Null mehrfach vorstellig geworden sein, Symptome sind jetzt beim Klinikpersonal angekommen. Jens Spahn spricht vor der Presse vom Beginn einer Corona-Epidemie. Der Ernstfall über Deutschland. Kein havariertes Atomkraftwerk, keine russischen Panzer, keine islamistische Machtübernahme, ein der Grippe ähnliches Virus mit Tötungspotenzial ist neuer Staatsfeind Nr. 1.

Die Pandemiepläne müssen noch beweisen, ob eingrenzen kann, was sich die Theoretiker dazu ausgedacht haben. Die ersten offiziellen Corona-Fälle in Italien, zwei Chinesen haben es übrigens schon überstanden, neuerliche Tests an ihnen waren negativ.

Bei Maischberger kurzfristig ebenfalls noch eingeladen ist Sawsan Chebli, deutsche politische Beamtin (SPD) palästinensischer Herkunft. Los geht’s. Maischberger eröffnet damit, dass sich die Zuschauer nicht wundern sollen, sie hätten aus „technischen Gründen“ in ein anderes Studio umziehen müssen. Auweia. Frontales Sitzen der Zuschauer. Distanz zum Aufpassertresen. Also Corona doch gefährlicher als gedacht und Gesundheitsminister Jens Spahn weiß mehr und ist nicht willens, wie sonst üblich bei Maischberger, so nah am niesenden und hustenden Publikum zu sitzen?

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Ach je, Micky Beisenherz meint, Friedrich Merz sei AfD-light. Der Tresen diskutiert und dann verbessert er sich noch schnell in „Werte-Union“ light. Gähn. Bröcker und Gaus tragen im Wechsel verschiedene Artikel ihrer Zeitungen vor. Zweiter Aufguss. Öffentlich-rechtliche Ödnis, Presseschau mit politisch zusammengepresster Presse, wie Bröcker im Schlussatz noch so fatal fantastisch vorführen wird. Traurig irgendwie. Warten also auf Spahn und Chebli. Vielleicht ist das ja der Trick: Die Leute zu Hause so anzuöden, dass sogar diese beiden noch interessant erscheinen mögen für den Moment.

Hallo Jens Spahn. Handschlag mit Maischberger, die fragt nach der Gefährlichkeit, schließlich käme er gerade aus Rom. Kommt es demnächst vor dem Lieblingsitaliener zu Solidaritätshandschlägen mit anschließendem verschämten Abwischen mit dem Sagrotanläppchen? Tipp von Spahn gegen Corona: Nicht so häufig ins Gesicht fassen und sich einmal beobachten, wie oft man das eigentlich sonst macht. Und „Händewaschen!“ Danke, hilft schon.

Neueste Corona-Fälle hätten viele Kontakte gehabt und diese Kontakte seien noch nicht alle identifiziert. Möglicherweise käme in den nächsten zwei Wochen eine Welle, aber auch das könne man noch nicht sicher sagen. „Das Risiko ist größer denn je.“, so Spahn. Schwierig für Spahn wäre die Balance zwischen Information und Panik schüren. Das Problem der Phropylaxe wäre eine teilweise Symptomfreiheit, die es eben auch bei Coronafällen gäbe. Die große Unbekannte sei laut Minister, dass das Corona-Virus neu ist und es noch keinen Impfstoff gibt und auch noch keinen Plan, welche Medikamente am wirkungsvollsten sind. Aber die Grippe gilt noch als gefährlicher.

Laut Spahn schätzen Wissenschaftler die Todesrate auf 0,5 bis 2 Prozent. Also würde von fünfzig Angesteckten womöglich einer sterben. Das klingt wenig beruhigend für Laien, die beispielsweise in einem Wohnblock mit 250 Menschen zusammenleben, da müssten dann nämlich im Ernstfall fünf Bahren rausgetragen werden. Apropos: Ziemlich krude erscheinender fliegender Wechsel der Themen.

Urteil
Bundesverfassungsgericht: Geschäftsmäßige Sterbehilfe in Deutschland erlaubt 
Wechsel zur Sterbehilfe. Karlsruhe hat eine Entscheidung gefällt, die Sterbehilfe aus der Illegalität holen soll. Aber wie soll dazu das Geschäftsmodell aussehen? Von Corona zum nächsten Science-Fiction-Szenario, wenn der Staat am Ende verpflichtet werden könnte, die Giftcocktails auszugeben. Spahn möchte in Deutschland nie Werbeplakate mit dem Slogan „Schöner sterben mit uns.“, oder dass überhaupt Geld mit der Sterbehilfe verdient wird.

Der beste Spahn-Satz des Abends so mit nach rechts schiefgelegtem Kopf gesagt – wohl um der Bedeutung noch mehr Ausdruck zu verleihen: „Die CDU ist echt in ihrer tiefsten Krise wahrscheinlich.“ Klasse. Volksnah irgendwie. Jedenfalls dann, wenn man das Volk für etwas dumm hält.

Die aktuelle Situation wäre schlimmer als die Parteispendenaffäre um Helmut Kohl, meint der Bundesminister noch. Das läge auch daran, dass das Grundvertrauen in die, die Verantwortung übernähmen, geringer sei, als noch vor zwanzig Jahren. „Wir müssen ein Tor aufstoßen in die zwanziger Jahre, Und das sind Jahre ohne die Kanzlerin“, das müssten wir auch einmal denken, so Spahn gaaanz dolle mutig. Aber was dann mit den offenen Fragen und den Hinterlassenschaften dieses politischen Desasters pasieren soll, bleibt er freilich schuldig. Der Blick in die Zukunft also mit verschränkten Fingern vor den Augen. Man gibt sich zum Abschluss symbolisch nochmal die Hand mit den Sagrotan-sauberen Fingern, so wie auf dem Höhepunkt der Aids-Diskussion fleißig aus fremden Gläsern getrunken wurde, wer sich erinnert.

Wir spulen an den journalistischen Anstandswauwaus vorbei direkt hinüber zu Sawsan Chebli, der Staastsekretärin in der Berliner Senatskanzlei. Was sagt das über diese Frau aus, wenn man ihren Namen schon fehlerlos aufschreiben kann ohne nachzublättern, weil sich dieser so tief ins Hirn getwittert hat?

Sawsan Chebli wäre permanent Zielschiebe rassistischer Hetze, eröffnet Maischberger. Komisch, woher rührt dann der wohl offensichtlich völlig falsche Eindruck, Chebli würde permanent via Twitter gegen alles und nichts schießen, insbesondere wenn es männlich, weiß und älter ist? Die Politikerin muss auf Jens Spahns Sitzplatz Platz nehmen.

Trotz alledem
Die Mörder der Hoffnung
„Wir sind an einem Punkt angekommen, wo alle Verantwortlichen in Deutschland verstanden haben, das wir ein Rassismusproblem haben“, eröffnet Chebli. Von Fremdenfeindlichkeit zu Rassismus. Immerhin diese Eskalation sei als Erkenntnis ganz oben angekommen. Die Täter seien viel organisierter, sodass man nicht mehr von psychisch Erkrankten sprechen könne, wehrt Chebli die Diskussion um den Geisteszustand des Mörders von Hanau ab. Einzelfalldiskussionen allerdings gab es schon in ganz anderem Zusammenhang, nämlich immer dann, wenn Kriminelle unter muslimen Zuwanderern in Deutschland und Europa messerstechen, vergewaltigen, morden oder Terroranschläge durchführen.

Inhalte in Briefen an sie würden Chebli ihr Deutschsein absprechen, beschwert sie sich. Chebli sagt, die dritte und vierte Generation würde sich von Deutschland distanzieren. Das wäre ein massives Problem. Nun gibt es allerdings auch viele Deutsche, die sich von der Deutschen Chebli distanzieren, weil sie mit deren poltischer Agenda ein massives Problem haben. Na und? Nicht jeder, der nicht auf Cheblis Seite steht, schreibt ihr deswegen strafrechtlich relevante Briefe. Wahrscheinlich hat er nicht einmal das Bedürfnis, ihr überhaupt irgendwelche Briefe zu schreiben.

Warum auch? Damit diese dann gesammelt und von willfährigen Schauspielern zweiter Garnitur auf deutschen Bühnen vorgelesen werden, um wiederum zu belegen, was der Deutsche, der nicht mit Chebli übereinstimmt, doch für ein dummes Stück sei – also als willkommenes Instrument der Verwerfung eigentlich doch berechtigter Kritik an der Migrationspolitik der Berliner SPD, welche Chebli vertritt. Ne, ne. Das vergessen wir einmal schnell. Nicht jeder dämliche oder asoziale Brief darf ein Bollwerk gegen eine ernsthafte Debatte sein.

Fraglich ist hier tatsächlich, ob es Sinn macht, öffentlich-rechtlich zu untermauern, dass es da draußen nur die gefährdeten Muslime gäbe, wo doch bis vor kurzem mit dem Begriff Gefährder etwas ganz anderes gemeint war.

Frankreich
Ex-Justizministerin spricht von Merkels »hohem Preis«
Ja, die Eindämmung und Einhegung islamischen Terrors war ein gesamtgesellschaftlicher Akt, der in vielen Fällen erfolgreich war, wenn weitere Morde verhindert wurden. Mit mindestens derselben Energie muss endlich auch gegen rechtsextremen Terror vorgegangen werden.

Dabei darf die Legitimität der Kritik beispielsweise am Integrationsunwillen vieler Muslime in Deutschland allerdings nicht entfallen. Denn diese Kritik ist nicht trotz, sondern gerade wegen der schrecklichen Morde unabdingbar. Dann, wenn er das Gespräch sucht, anstatt noch mehr Mauern zu ziehen und Gräben zu graben. Es wäre hilfreich, wenn das auch eine Sawsan Chebli endlich einmal verinnerlichen würde, wenn sie begänne, ernsthaft die Debatte zu suchen. Wenn sie einmal aufhören könnte, anstatt immer nur mit ihrer bösen Post zu wedeln, die bekommen andere nämlich auch, und anfangen ernsthaft über die Herausforderungen dieser Zeit zu diskutieren

Ein Satz der diese Sendung und vieles weitere mehr bestens zu erklären in der Lage ist, kommt dann zum Abschluss noch vom Journalisten Bröcker, der Maischberger gegenüber erklären muss, warum er Chebli duzt:

„Wir kennen uns aus dem üblichen politisch-medialen Betrieb, wir haben mal ein schönes Porträt über Frau Chebli geschrieben.“ Na dann ist ja alles in Butter.

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