Ah, Sie möchten noch weiterlesen? Und es begab sich also zu der Zeit, dass eine Talkshow mal wieder klären wollte, was diesen unsäglichen Ukraine-Krieg wohl am besten beenden könnte. Diplomatie vielleicht? Oder doch lieber Waffen, immer mehr Waffen? Der Zuschauer ahnt die Antwort. Denn die Protagonisten sind handverlesen.
Eine Mehrheit der Deutschen ist gegen weitere Waffenlieferungen und für die sofortige Aufnahme von Friedensgesprächen. Das zeigen die jüngsten Umfragen. Kein Grund natürlich für eine Sandra Maischberger, ihre Gäste vielleicht entsprechend auszuwählen. Stattdessen sitzen da vier Waffenfreunde und ein halber. Und dass ausgerechnet ein wendehalsiger Sänger am Ende noch zur Besonnenheit mahnen sollte, stand so sicher nicht im Manuskript. Es ist diese Einseitigkeit, die stört. Gemeinsames Kopfnicken macht keine Diskussion.
Wie unendlich das Leid der Menschen ist, die auf beiden Seiten sterben, das betrachtet ein Masala aus der Ferne des deutschen Talkshow-Sessels und entsprechend nüchtern. Doch seine Sprache ist frivol wie die eines Feldherrn: Bachmut, wo gerade die blutigste Seite dieses Krieges zutage tritt, sei „ein Fleischwolf für beide Seiten“. Es gehe darum, „so viele Kämpfer zu töten wie möglich“. Masala sagt es völlig emotionslos. Mehr noch, er erklärt auch, was dahintersteckt: „Wenn die ukrainische Gegenoffensive es schafft, die südliche von der östlichen Front zu trennen, dann kollabiert der russische Versuch, vom Osten über die Landbrücke bis zur Krim alles zu halten und damit auch die Ukraine vom Wasser abzutrennen. Wenn die südliche Front kollabiert, dann kann die Ukraine einen größeren Druck auf die Krim ausüben.” Ah gut, dann wissen wir Bescheid. Dann kann man so einen Fleischwolf auch mal akzeptieren. Oder etwa nicht?
Masala redet, als würde sein Gewehr noch rauchen. „Munition ist zentral. Kampfflugzeuge werden der Ukraine helfen, aber sie sind nicht so wichtig wie Munition, Artillerie, Ersatzteile. Das sind die zentralen Sachen. Und natürlich Luftverteidigungssysteme.“ Ende der Bestellung. Man sollte ihm dankbar sein dafür. Die klare Sprache zeigt, worum es geht. Keine grüne Bemäntelung des Kriegs mit Begriffen wie Werten usw. Es geht ums Sterben in großer Zahl. Krieg ist Krieg, keine Ausreden, keine Beschönigung der Menschenopfer.
Rüdiger von Fritsch stimmt mit ein in diesen Kriegs-Kanon. Er war mal Diplomat, doch das merkt man ihm nicht so direkt an. Der ehemalige deutsche Botschafter in Moskau sagt, Putin habe sein gesamtes Land in Geiselhaft genommen. Und wenn irgendwer auf die Idee käme, mit dem Mann reden zu wollen – einfach absurd! Aber es gebe doch in Deutschland „eine große Friedenssehnsucht“, wirft Maischberger ein. Von Fritsch wischt das beiseite. Das Friedens-Manifest der Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht und der Feministen-Ikone Alice Schwarzer ist für ihn nur der Ausdruck einer „sehr deutschen Denke“. Der Aufruf ignoriere „auf fatale und vorwerfbare Weise die Realität dieses Krieges“. Auch die Argumente der beiden Frauen findet er absurd. „Die Ukraine kann nie den Krieg gegen die Atommacht Russland gewinnen? Die Atommacht Sowjetunion hat gegen Afghanistan verloren, die Atommacht USA gegen Vietnam. Das Ganze ist in sich nicht stimmig.“ Mit diesem Manifest würde „das Signal in die Welt gesendet werden: Gewalt lohnt sich“. Dass Deutschland keine Waffen mehr liefern würde, mag sich von Fritsch kaum vorstellen: „Das wäre die Unterjochung der Ukraine!“
Stefan Aust hat das Glätteisen dabei: „Jeden sofort in die Ecke des Kremlpropagandisten zu schieben, finde ich ein bisschen übertrieben“, sagt er. „Irgendwie muss dieser Wahnsinn jetzt mal zu Ende sein. Im Endeffekt wird es darauf hinaus laufen, dass verhandelt wird. Aber bitteschön, auf Augenhöhe. Und nein, gegen Waffenlieferungen will auch Aust sich nicht aussprechen. „Wer könnte vermitteln, wer startet Gespräche?“, will Maischberger wissen. „Es gibt einen großen, schwarzen Fleck auf der Karte“, antwortet von Fritsch. „Wo ist denn eigentlich der UNO-Generalsekretär?“
Ein paar interessante Gedanken bringt Marius Müller-Westernhagen ein. Wer erwartet hatte, der Sänger würde ähnlich engstirnig argumentieren wie zu Corona-Zeiten, als er Ungeimpfte öffentlich diffamierte, sieht sich getäuscht. „Ich meine, zu beobachten, dass hier in diesem Land sehr viel Propaganda ist. Genau wie auf der anderen Seite. Man erfährt nicht mehr genau, was los ist.“ Solche Sätze kommen bei Maischberger gar nicht gut an. Sie versucht sofort ein neues Thema. Doch Westernhagen hat noch mehr in petto: „Was mich ankotzt, ist diese Kriegseuphorie, die auch hier in den Medien herrscht.“ Maischberger lenkt ab: Was ist die Rolle von Künstlern in dieser Zeit? Aber Westernhagen ist noch nicht am Ende: „Man darf nicht so blauäugig sein und denken, es wird ein friedliches und befriedetes Europa ohne Russland. Das wird nicht passieren. Wir haben dieses amerikanische Schwarzweiß-Denken übernommen. Wenn du nicht für mich bist, bist du gegen mich. Wenn man nicht mehr miteinander spricht – ist das Arroganz oder was? Wir verlernen, miteinander zu reden.“
A propos Reden. Theo Koll hat auch etwas gesagt an diesem Abend. Zum Beispiel, dass Franziska Giffey die populärste der drei Berliner Spitzenkandidaten gewesen sei. Die Frau, die nicht mal den eigenen Wahlkreis gewonnen hat. Und dass die SPD keinen Grund habe, „sich als Juniorpartner unter einer CDU einzusortieren“. Mehr muss man nicht wissen.
Und jetzt aber wirklich: Auf Wiedersehen!