Was können Talkshows im besten Fall leisten? Unterhaltung und Erkenntnis. Gestern bei Maischberger war mein Erkenntnisgewinn: Deutschland ist eine humorfreie Zone. Das beginnt schon damit, dass hierzulande Witz und Humor verwechselt werden. Die alte Wendung, Humor hat, wer trotzdem lacht, sagt es: Humor hat man, Witz macht man. Im Demonstrationsobjekt Böhmermann hat niemand trotzdem gelacht. Böhmermann hatte aber auch keinen Witz gemacht. Auf allen Seiten eine tierisch ernste Angelegenheit. So bei Maischberger.
Ansonsten war es wieder einmal eine jener Runden, in denen sich alle gegenseitig ins Wort fallen, alle außer Kabarettistin Idil Baydar. Unterm Strich: ungenießbar.
Maischberger-Frage: „Diktiert Erdogan Merkels Kurs?“
TV-Denkmal Ulrich Kienzle sagt Ja. Eingangs hat er sich noch nicht warm geredet und nennt der Kanzlerin Krisenmanagement „dürftig“. Später erklärt er, dass Erdogan machen kann, was er will, Merkel gar nichts mehr machen kann, Erdogan Teil des syrischen Krieges ist, den IS unterstützt und mit der EU spielt, wie es ihm passt.
Für Jürgen Trittin hat Merkel die Bundesregierung und sich mit ihrer falschen politischen Opportunitätsentscheidung, der Ermächtigung zur Aufnahme von Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft, Erdogan hilflos ausgeliefert. Trittin staatsmännisch: „Die „Handlungsfähigkeit der Bundesregierung gegenüber der Türkei ist stark eingeschränkt“. Lausche ich diesem Ton, denkt er noch nicht ans Aufhören.
Das eigentliche Thema: Böhmermann
Nach einer Viertelstunde ging es nicht mehr um dass Thema der Sendung. Das wechselnde Bühnenbild zeigt viel Böhmermann, veranstaltet Maischberger Solidarität mit Böhmermann? Dem entsprach auch die Rolle des Juristen in der Runde. Medienanwalt Ralf Höcker hat auch schon Wetter-Kachelmann vertreten. Er belehrt erst mal überraschend aggressiv Trittin, dass der § 103 nicht Majestäten und Despoten schütze, sondern die außenpolitischen Interessen der Bundesrepublik. Eine Vorlage für den Grünen, der später fragt, warum die Kanzlerin dann gegen den Rat des Außernministers entschieden hat. Die eigentliche Botschaft des Anwalts, mehrfach: Böhmermann hat bei Verurteilung mit nichts Schlimmem zu rechnen.
Idil Baydar und Erdogan-Berater Ozan Ceyhun, heute AKP-Politiker, früher bei SPD und Grünen, stimmen überein: Böhmermann hat alle 78 Millionen Türken beleidigt. Aber nur so weit, denn Baydar sagt: Böhmermann hat in seiner Satire zulässig die deutschen Klischees von Türken gezeigt: Guckt mal, so denkt ihr Deutschen über uns Türken seit 50 Jahren. Höcker urteilt, „Satire darf eben nicht alles“. Das „Übermaß“ an Beleidigungen wird zur Verurteilung führen. Wenn Böhmermann Glück hat, gibt es die Einstellung des Verfahrens gegen Bußzahlung an irgendeinen Verein.
Das Nebenthema: Erdogans Türkei
Erdogan hat sich von seinem anfänglich guten Weg sehr weit entfernt, konstatiert Kienzle, jetzt sei er ein Fall für den Psychiater. Heute verdienen Türken doppelt so viel wie bei seinem Regierungsbeginn, kein Wunder, dass die Masse ihn unterstützt. In der Türkei sitzen keine Journalisten im Gefängnis, verkündet AKP-Ceyhun, der vom Erdogan-Saulus zum Erdogan-Paulus wurde. Im Gefängnis sind nur Terroristen und die Gülen-Bewegung ist eine verfassungsfeindliche Sekte: der nicht reingelassene ARD-Korrespondent zwar kein Terrorist, aber mit Kontakten zu solchen. Punkt.
Ceyhun: „Die Türkei hat kein Problem mit Pressefreiheit.“ Kienzle: „Da lache ich mich tot!“ Baydar: „Schwachsinn!“
Und die Moral der Geschichte?
Fünf Minuten Satire, danach war die Staatsaffäre perfekt, sagt Frau Maischberger. Wirklich?
Nun, für mich machte erst Frau Merkel die Sache zur Staatsaffäre, als sie Regierungssprecher Seibert verkünden ließ: Sie sei sich in einem Telefonat mit Ministerpräsident Ahmet Davutoglu einig gewesen, dass es sich um „einen bewusst verletzenden Text“ handle und habe auf die Konsequenzen verwiesen, die das ZDF gezogen habe. (Die Parodie zum Umgang Erdogans mit Satire entspreche nicht den Ansprüchen, die das ZDF an die Qualität von Satiresendungen stelle, hatte der Sender als Begründung mitgeteilt.)
Mit diesem Telefonat hat Frau Merkel den Sicherungsring aus der Böhmermann-Handgranate gezogen und sie von Herrn Seibert in die Bundespressekonferenz werfen lassen. Das machte aus einem Furz einen Tsunami, wie Oliver Kalkofe wortgewandt erklärt.
Bei Maischberger warteten gestern alle vergeblich darauf, dass die Initialzündung der Staatsaffäre durch die Kanzlerin selbst zur Sprache gekommen wäre. Woraus ich die Schlussfolgerung ziehe, dass wir uns noch mehr als um die Freiheit in der Türkei über den Untertanengeist in Deutschland sorgen müssen. Meiden Maischberger und Gäste die Behandlung der Merkelschen Zündung wg. Majestätsbeleidigung?