Wer hat die meisten Giftpfeile im Köcher? Klar, dass nur verlieren kann, wer in diesem Spiel gegen eine Saskia Esken antreten muss. Das lernt auch Christian Lindner heute sehr schnell. Die beiden sollen Duftmarken setzen für den Fall, dass die FDP den Sprung in den Bundestag schaffen und zum Kandidaten für eine schwarz-rot-gelbe Deutschland-Koalition werden würde.
Und es duftet! Denn was folgt, ist ein wirklich eindrucksvoller Blick in die Abgründe, die sich zwischen der FDP und der SPD mittlerweile auftun. Die beiden Partei-Chefs finden überhaupt keine gemeinsame Basis. Und wenn es eines Beweises bedurft hätte, warum für Esken bisweilen sogar schon ein Talkshow-Verbot gefordert wurde – heute Abend liefert sie ab. Dem Zuschauer treibt es geradezu die Fremdschamesröte ins Gesicht.
Schon auf die Frage, wie es denn momentan so um die Verfasstheit, das Vertrauen zwischen den beiden Parteien steht, bekommt Sandra Maischberger keine Antwort. Und sie fragt wirklich oft. Weder Lindner noch Esken wollen „über Koalitionen spekulieren“, obwohl das ja gar nicht die Frage war.
Hinzu kommt vorsätzliches Missverstehen: Wenn Lindner sagt, er wolle den Mittelstand entlasten, nennt Esken das „Steuergeschenke an die Reichen“, wenn Lindner „das Wachstum steigern“ will, statt die Schuldenbremse aufzuweichen, wirft Esken ihm vor, er wolle „das Land anzünden“. Lindner sagt: „Der Staatsapparat ist nahezu unkontrolliert gewachsen.“ Dort müsse man ebenso sparen wie bei „grünen Subventionen“. Daraus destilliert Esken, hier werde „der Sozialstaat rasiert“.
Sie selbst redet unendlich lang über die Vergangenheit, über das Ampel-Aus und den einzig Schuldigen – die FDP: „Rentner sollen bluten dafür, dass wir die Ukraine weiterhin unterstützen können. Das war für uns inakzeptabel.“ Am liebsten würde Esken noch das D-Day-Papier der FDP besprechen (das interessanterweise noch immer bei der FDP abrufbar ist), aber Maischberger lässt sie nicht. Der Abend solle doch bitte um die Zukunft gehen. Esken macht zu. Da ist sie raus.
Für die entscheidende Frage erntet Maischberger spontanen Applaus vom Publikum: „Die, die so ’ne Regierung an die Wand gefahren haben, warum stellen die sich eigentlich noch zur Wahl?“ Von Esken bekommt sie keine Antwort. Lindner findet, gerade der Ampel-Bruch und sein stabiles Verhalten würden ihn qualifizieren. Er sei schließlich „bereit gewesen, sich entlassen zu lassen“. Interessantes Leistungsprofil. Maischberger erinnert ihn: Lindner sei dreimal „weggelaufen“. Er habe „Jamaika nicht gemacht, die Ampel mit gecrasht.“ Und schon 2011 sei er als Generalsekretär „von der Fahne gegangen“. Dass er für den Atomausstieg votierte, sogar für eine allgemeine Corona-Impfpflicht – Schwamm drüber.
Es wird mal wieder so vieles nicht erwähnt, auch an diesem Abend. So darf sich im Einzelinterview der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj geradezu elegisch als mutig-menschelnder Macher präsentieren. Es geht um seinen elfjährigen Sohn, der ihn vermisst, und seine attraktive Frau, schnell mal ein Bild zeigen, seinen von Sorgen ergrauten Bart und darum, wann er endlich mal wieder einen Anzug tragen kann, der war doch damals so schick. Und dass er vor mehr als einem Jahrzehnt mal Synchronsprecher war und die ukrainische Stimme für einen niedlichen Zeichentrickbären namens Paddington.
Weniger flauschige Themen wie etwa Korruption oder das Netzwerk von Joe und Hunter Biden bleiben auf der Strecke. Dass Selenskyj nicht weiß, wo mehr als die Hälfte der 175 Ukraine-Hilfsmilliarden versickert ist, wird nicht besprochen. Wie er seine unzähligen privaten Immobilienkäufe in aller Welt, die selbst Faktenchecker nur noch kleinreden, aber nicht mehr wegleugnen können, mit seinem offiziell sehr überschaubaren Gehalt finanziert – auch dies kein Thema.
Maischberger hatte Selenskyj während der Münchner Sicherheitskonferenz für diesen kritikfernen Kuscheltalk abgefangen. Das Interview läuft daher als Aufzeichnung. Wie er die überraschenden Friedensgespräche zum Ukrainekrieg beurteilt? Die USA und Russland „können ganz sicher nicht über unsere Menschen und unsere Leben verhandeln“, sagt Selenskyj, und überhaupt: Die beiden Länder könnten ja gar keine gute Beziehung miteinander haben. „Das sind unterschiedliche Pole.“
Können die europäischen Länder die Ukraine ohne Hilfe der USA beschützen? Nein, sagt Selenskyj. „Europa ist heute schwach.“ Dabei teile sein Land doch dieselben Werte: „Wir sind Europa.“ Apropos Floskeln: Da bleibt noch etwas im Ohr hängen, das Selenskyjs sprachliches Geschick beweist. Er habe zu „Olaf“ (Scholz) und auch zu „Friedrich“ (Merz) „ein sehr gutes Verhältnis“. Auf die Frage, wer ihm denn als nächster deutscher Kanzler lieber wäre, antwortet er: „Unser Favorit ist derjenige, für den sich die Menschen bei der Wahl entscheiden.“
So geht Diplomatie! Oder, wie der kleine Paddington wohl etwas nüchterner sagen würde: Wenn Du nicht weißt, welche Hand Dich morgen füttert, halt lieber die Schnauze. Kluger, kleiner Bär.
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