Tichys Einblick
Debatte um Energiepreise

Ausgewogenheit bei Maischberger: Wenn ein Roter mit einem Grünen diskutiert

Die Talkshow Maischberger ist wie das Neue Deutschland in der DDR: Spannend ist, was nicht vorkommt. Das Bild, wie schlecht es wirtschaftlich um Deutschland bestellt ist, wird dabei immer klarer.

Screenprint: ARD/maischberger

Das Neue Deutschland war vor 1989 eine durchaus interessante Zeitung. Man musste sie nur lesen können. Den ganzen Quatsch mit „Der Vorsitzende des Staatsrates … den Plan übererfüllt … optimistisch in die Zukunft …“ – den Quatsch musste man ignorieren und sich auf das Wesentliche konzentrieren: Nämlich auf das achten, was nicht im Neuen Deutschland steht. Welche Themen spart es aus, die dem Politbüro folglich unangenehm sind? Welcher Genosse wird oft erwähnt? Und welcher gar nicht mehr?

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Maischberger zu schauen ist so ähnlich, wie das Neue Deutschland zu lesen war. Es gruselt einen manchmal davor hinzusehen – oder zu hören. Aber wer auf die oben genannten Fragen achtet, dem öffnet die Talkshow dann doch manch Spannendes: Zum Beispiel sagt ihr Wirtschaftsexperte Marcel Fratzscher, dass Deutschland mehr Strom brauche und die erneuerbaren Energien ausbauen müsse. Zu Atomkraft könne sie Fratzscher jetzt auch befragen, sagt Sandra Maischberger. Aber sie lässt es: Das „würde zu lange dauern“.

Zeit ist bei Maischberger also für die bahnbrechende Erkenntnis, dass es im Winter in Deutschland an Strom mangeln könnte. Zeit ist bei Maischberger für die in der ARD so selten vertretene Meinung, dass die erneuerbaren Energien ausgebaut werden müssen. Maischberger zu schauen ist, wie das alte Neue Deutschland zu lesen. Spannend ist, was sie weglässt: hier die Notwendigkeit, die Atomkraftwerke länger laufen zu lassen.

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Auch die Gästewahl sagt viel mehr aus, als es die Gäste dann selbst tun. Fratzscher ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Sigmar Gabriel (SPD) machte ihn 2014 – damals als Wirtschaftsminister – zum Leiter einer Kommission, die sich um Investitionen kümmern sollte. Der Wirtschaftsjournalist Rainer Hank sagte 2017 über Fratzscher, dass er sich zu einem „lautstarken Claqueur der Sozialdemokraten gemausert“ habe. 2015 veröffentlichte Fratzscher eine Studie, die den Wert von Flüchtlingen für die Wirtschaft beweisen sollte. Der Ökonom Daniel Stelter kritisierte, diese beruhe auf „nicht belastbaren Annahmen“. Jüngst fiel Fratzscher dadurch auf, dass er die Forderung von Fridays for Future unterstützte, der Staat solle ein „Sondervermögen“ von 100 Milliarden Euro für den Klimaschutz anlegen. Allein, dass er den politischen Begriff „Sondervermögen“ statt Schulden verwendet, sagt alles über ihn als Wissenschaftler aus.

Wen setzt die Maischberger-Redaktion Fratzscher gegenüber? Hermann-Josef Tenhagen: Der Wirtschaftsjournalist hat Politikwissenschaften studiert. In den 90er Jahren arbeitete er für die Taz und gründete dort das Ressort „Wirtschaft und Umwelt“, war 1995 Sprecher des „Klimaforums ’95“ und ist seit 2014 Chefredakteur und Geschäftsführer von Finanztip, einem Ratgeberportal. Greenpeace Deutschland weist Tenhagen als Mitglied des Aufsichtsrates auf. Kurzum: Da sitzt bei Maischberger ein Grüner und diskutiert mit einem Roten. Ausgewogenheit nach Art der ARD.

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Über die politischen Hintergründe ihrer Experten informiert Maischberger ihre Zuschauer nicht. Sie verkauft diese als neutrale Experten. Aus politischen Forderungen werden so unausweichliche Wahrheiten. So darf Marcel Fratzscher eine Prognose abgeben, wie sich die Inflation künftig entwickelt: Neun bis zehn Prozent in diesem Jahr, nächstes Jahr nochmal acht bis neun Prozent. Sagt Fratzscher. Das ist lustig. Aber um den Witz dahinter zu verstehen, braucht man Informationen.

Maischberger verweigert ihren Zuschauern diese Informationen. Spannend ist, was bei ihr nicht gesagt wird. Fratzscher hat sich vor gut einem Jahr mit einer Prognose bis auf die Knochen blamiert: Die Inflation werde 2022 unter zwei Prozent sinken. Nun ist sie zweistellig, wie das Statistische Bundesamt mitteilt. Auch als Fratzscher die Prognose abgab, war sie bei knapp fünf Prozent. Es war politisch, nicht wissenschaftlich, begründet, warum er die später peinliche Prognose abgab. Wenn die SPD „die Wissenschaft“ braucht, um ihre Politik zu rechtfertigen, verkörpert Fratzscher „die Wissenschaft“.

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Fratzscher hatte sich im vergangenen Jahr ausdrücklich auf Schlagzeilen zur Inflation bezogen. Vor allem von Bild. Medien wie TE hatten mehrfach davor gewarnt, dass die Inflation komme und was sie bewirkt. Lange vor dem Kriegs-Ausbruch. Und ebenfalls vor dem Kriegs-Ausbruch war die Inflation auch da. Ist bei Maischberger aber jetzt kein Thema mehr. Die Inflation bringt sie nur noch im Kontext Krieg – Russland – Gas. Maischberger ist wie das alte Neue Deutschland: Spannend ist, was sie weglässt.

Der Mindestlohn werde helfen, die Inflation aufzufangen, sagt Fratzscher. Der Staat müsse „jetzt massiv“ in erneuerbare Energien und die Transformation der Wirtschaft investieren, sagt Fratzscher. Treibt das nicht die Inflation weiter an? Dazu sagt Fratzscher nichts. Das will Maischberger von der Wissenschaft nicht so genau wissen. Beide haben ihre Botschaften gesetzt. Und für die Zuschauer ist interessanter, was nicht in der Sendung vorkommt.

Tenhagen gibt ein „Best of“ der 100 Tipps gegen explodierende Strompreise. Was sollen die Verbraucher tun, wenn der Brief mit den höheren Abschlägen für Gas kommt? „Die sollen mal abwarten, bis der Gas-Anbieter einen neuen Brief schickt.“ Wie dann der „Doppel-Wumms“ dafür sorgen wird, dass die Kosten sinken, können die Experten letztlich auch nicht genau sagen. Das wird Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) – Stand jetzt – nicht vor Ende Oktober bekannt geben. Sicher ist einzig nur, dass es Fratzscher gut finden wird.

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