Tichys Einblick
Sündenbock Christian Lindner

Bei Maischberger: Besuch von „Bambi“ oder auch „Herrscher des Waldes“

Der ehemalige Finanzminister Christan Lindner sitzt gefasst im Sessel gegenüber Sandra Maischberger. Die Entlassung habe er „seelisch verarbeitet“, er befinde sich nun im Wahlkampfmodus. Der Plan: auf der Karriereleiter von Bambi zum Herrscher des Waldes aufzusteigen. Maischberger lauert dabei im Hochstand.

Screenprint: ARD / Maischberger

Nachdem die Ampelkoalition auseinandergefallen ist, wird nun im öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) mit großem Aufsehen ein Sündenbock gejagt. Ist es Bundeskanzler Scholz? Nein, der ist doch von der SPD. Oder vielleicht Wirtschaftsminister Habeck? Nein, der ist ja von den Grünen. Na, dann kann es ja nur der entlassene Finanzminister Lindner gewesen sein – der ist eh von der FDP, also perfekt für die Rolle des Sündenbocks.

Die Einladung ist raus und Sandra Maischberger bereitet knallharte Fragen vor – im Sinne des ÖRR-Journalismus. Kommentiert wird das Spektakel von Comedian Michael Mittermeier, dem Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios Theo Koll und der Korrespondentin im ARD-Hauptstadtstudio Kerstin Palzer. Alles in allem eine klassische ÖRR-Farce.

Warum Lindner schuld ist

„Ist die FDP wirklich am Ampelbruch schuld?“ Maischberger beginnt, damit die Kollegen aus den ZDF- und ARD-Hauptstadtstudios zu befragen – für mehr Meinungsvielfalt. Tatsächlich findet immerhin Theo Koll, dass der Ton von Kanzler Scholz in seiner Rede zum Ampelbruch überhaupt nicht geht. Wie zur Verteidigung des Kanzlers spielt Maischberger einen Ausschnitt aus dem Interview von Kanzler Scholz mit Kollegin Caren Miosga ein. (Kritische Fragen hatte diese anscheinend für hinter der Kamera aufgehoben, denn im Interview war davon nichts zu bemerken.)

Er muss gehen
Olaf Scholz, der fiese Möpp
Olaf Scholz betonte in diesem Ausschnitt, dass er achtzig Stunden mit Haushaltsgesprächen verbracht hatte – und dann verraten worden sei. Die Zuschüsse an die DB und die Autobahngesellschaft sollten als Darlehen finanziert werden, was Lindner damals prüfte und im Anschluss als unmöglich deklarierte – öffentlich und in der Sommerpause! Unschön.

Unschön für Lindner dagegen ist, dass es doch ganz offensichtlich geplant war, ihn zu entlassen. Das zeigt ein aktuelles Interview mit seinem Nachfolger Jörg Kukies. Darin plauderte Kukies aus, dass er Lindners Stelle einen Tag zuvor angeboten bekommen hatte. Überführt das Scholz? Im ÖRR ist man sich sicher: Keineswegs würde der Kanzler lügen.

Der Comedian Michael Mittermeier – die lebende Definition von „fremdschämen“ – verteidigt den Kanzler und auch Palzer springt ein: „Also es soll ja übrigens drei Reden gegeben haben.“ Dann wird Scholz für die Rede auch noch gelobt. Koll sieht darin aber nur eine Wahlkampfmethode, der Kanzler sei ja von seiner Art doch „eher autistisch“.

Christian Lindner hat seine Entlassung „seelisch verarbeitet“

Im Interview mit Christian Lindner gibt Sandra Maischberger dann nochmal alles. An was er gedacht habe während seiner Entlassung durch Bundespräsident Steinmeier, fragt sie. „Im Kopf war ich da schon in der Wahlkampfphase des nächsten Jahres.“ „So cool sind sie?“ Eine unangenehme Stille folgt und Lindner zögert: „Das Wort cool hat seit dem vergangen Sonntag einen neuen Klang.“

Maischberger versucht weiter, den völlig entspannten Lindner zu provozieren. „Sie haben auch heute im Bundestag gesagt, die Entlassung war eine Befreiung. Manche sagen, Sie haben es ja darauf angelegt. Sie wollten auf keinen Fall selbst gehen, sonst hätten Sie quasi den Bruch wissentlich und willentlich herbeigeführt. Also kann man sagen, Operation gelungen.“ Lindner widerspricht und betont, er habe sich gegen das Amt und für seine Überzeugung entschieden, indem er dem Aussetzen der Schuldenbremse widersprach. Es hätte auch den gemeinsamen Weg gegeben: „Dann hätten wir gemeinsam, geordnet, in Würde den Weg zu Neuwahlen beschreiten können.“ Gemeinsam, geordnet und in Würde sind keine Adverbiale, die man der Ampelregierung zuschreiben würde, aber im Grunde hat Lindner recht.

Rauswurf des Finanzministers
Die Machtmaschine Olaf Scholz überrollt Christian Lindner
Lindner fügt souverän hinzu: „Wir hätten auch eine gewisse stilistische Besonderheit, die es in den letzten Tagen gegeben hat, den Bürgerinnen und Bürgern erspart.“ Allgemein versucht Lindner immer wieder durchblicken zu lassen, dass er sich immerhin respektvoll und höfflich ausdrücken kann. Jeden Vorwurf von Maischberger, dieses Ergebnis provoziert zu haben, lehnt er vehement ab. Auf den Vorwurf, dass er doch gewusst hätte, dass die SPD und die Grünen seine Vorschläge niemals akzeptieren würden, da diese gegen ihre Grundsätze sprechen, kontert er scharfsinnig: „Sie sind jetzt in Ihrer Betrachtung nicht hinreichend objektiv.“ Er erinnert sie daran, dass Habeck auch ein Papier vorgelegt habe.

Das sei aber nicht gegen die Grundsätze der FDP, meint Maischberger energisch. Lindner widerspricht: „Herr Habeck will jede Investition in der deutschen Wirtschaft pauschal mit 10 Prozent per Gießkanne fördern. Das könnte bis zu 48 Milliarden Euro zusätzliche Schulden bedeuten, für die dann die Bürgerinnen und Bürger Zinsen zahlen.“ Maischberger lenkt sofort ein, dass ja aber auch die Ukraine gefördert werden müsste. Sie wirft ihm weiter vor, dass er eine „ideologische Entscheidung“ getroffen hätte, indem er das Aussetzen der Schuldenbremse als Verfassungsbruch deklariere. Auch hier muss Lindner wieder einen Finanzcrashkurs anführen. Die Schuldenbremse für 3 Milliarden Euro auszusetzen wäre nicht nötig gewesen, wenn an Stellen wie dem Bürgergeld, irregulärer Einwanderung und Bürokratismus gespart würde.

Weitere Versuche, Lindner auf das Niveau von Scholz’ persönlichen Beleidigungen gegen ihn zu ziehen, bleiben vergebens. „Sie gehen in einen Wahlkampf, wollen Sie das so stehen lassen?“ „Ja, weil mir die politische Kultur dieses Landes wichtig ist, ich werde keinen Stein aufheben, der mir hinterhergeworfen ist und zurückwerfen.“ Frustriert über Lindners Standhaftigkeit fragt sie fast schon nörgelnd, wer an dem Bruch denn nun schuld war. Lindner antwortet kurz und knapp: „Ich bin entlassen worden.“ Punkt. Das ganze Interview ist eine rhetorische Meisterleistung von Christian Lindner.

Ob es denn nicht eine gemeinsame Schuld gäbe, bohrt sie wieder nach. Ganz im Wahlkampfmodus betont Lindner nun: „Wir haften mit unserer ganzen Existenz!“ Maischberger wirft schließlich das Handtuch. Ein letztes Mal fragt sie, wie es für ihn jetzt weitergeht und spielt auf seine Aussage von 2006 an. Jürgen Möllemann nannte ihn Bambi, worauf er damals sagte: „Ich habe mit dem Spitznamen Bambi, den mir Jürgen Möllemann angeheftet hat, gar kein Problem. Man muss den Film zu Ende schauen. Am Anfang ist Bambi zart und hilfsbedürftig, aber am Ende Herrscher des Waldes.“ Heute schließe er eine Kanzlerkandidatur aus, worauf Maischberger sichtlich erleichtert ist und ironisch hinzufügt „Wenigstens einer!“

Lügen, Spott und das politische debattieren

Noch einmal lehnt sich Maischberger in ihren Sessel zurück und befragt zwei weitere Gäste, den Podcast-Duo Jakob Augstein und Nikolaus Blome. Während Blome Scholz in Schutz nimmt und es nicht so schlimm findet, wenn die Wut einmal aus einem herausplatzt, verteidigt Augstein Lindner. Er verurteilt das Vorgehen von Scholz und endet sogar mit einem Loblied für Lindner. Die Treue seiner Prinzipien findet er lobenswert und er versteht auch, dass Lindner die Schuldenbremse nicht aussetzen wollte, um damit dann auch noch andere Grünen- und SPD-Projekte mitfinanzieren zu müssen.

Augstein geht sogar so weit, dass er Maischbergers Vorwurf, Lindner hätte ideologisch gehandelt, als ein „bisschen eigenartig“ kritisiert. Maischberger lacht nur gekünstelt. Für sie war der Abend ein Absitzen im Hochstand. Bambi tänzelt dagegen Richtung Sonnenuntergang. Ob die Sonne für die FDP noch einmal aufgeht, wird sich im Februar herausstellen.

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